SZ +
Merken

Ein Görlitzer vermarktet Wiesbaden

Martin Michel zog von der Neiße an den Rhein und machte Karriere. Dabei wollte er nur für ein Praktikum bleiben.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Sebastian Beutler

Zum ersten Mal erlebte Martin Michel jüngst seine Heimatstadt Görlitz aus der Touristenperspektive. Er übernachtete im Altstadthotel „Emmerich“ am Untermarkt. Dessem Flair, aus historischer Anmutung und freiliegenden Sichtbetondecken und -wänden konnte er sich, wie viele andere Gäste, nicht entziehen. Sehr freundliche Mitarbeiter und eine ungemein entspannte Atmosphäre sind dem 38-Jährigen im Gedächtnis haften geblieben. Michels Urteil ist durchaus eines mit Kennerblick: Er leitet die Wiesbaden Marketing GmbH und ist auch Chef einer städtischen Holding, unter deren Dach neben der Marketing GmbH auch noch das Wiesbadener Kurhaus und die Rhein-Main-Hallen vereint sind.

Ein Görlitzer vermarktet Wiesbaden. Obwohl: Michel würde an dieser Stelle immer gleich einhaken und darauf pochen, dass er in Prag geboren wurde. Seine Eltern lebten damals in der tschechischen Hauptstadt, seine Mutter ist Tschechin. Noch heute gehört dem Onkel der Familien-Bauernhof vor den Toren von Prag. In seiner Kindheit verbrachte Michel unbeschwerte Ferientage dort. „Da war die Welt in Ordnung, meine Oma war wirklich der Mittelpunkt unserer Familie.“ Sein Bruder David hat von dieser Mitgift profitiert: Er leitet das Kontaktbüro des Freistaates Sachsen in Prag. Vater Wolfgang Michel, der nach 1990 in der Stadt Görlitz für Tourismus zuständig war, die heutige Görlitzinformation aufbaute und nun ehrenamtlicher Chef des Neißeland-Tourismus ist, sagt dazu in seiner betont zurückhaltenden Art: „Da kann man doch schon stolz sein.“

Auch Martin Michel wuchs zweisprachig auf, obwohl seine Familie bereits nach Görlitz umzog, als er erst ein Jahr alt war. An der Neiße wuchs er auf, machte das Abitur auf dem kurzzeitigen Gymnasium in Königshufen. Noch heute kehrt er mindestens für eine Woche im Jahr nach Görlitz zurück, sucht die Orte seiner Kindheit und Jugend auf, erlebt, wie sich Görlitz gerade für den Tourismus entwickelt. Von großem Potenzial spricht er, das nun nur ausgenutzt werden müsse. Doch dafür würde er nicht mehr nach Görlitz zurückkehren, er fand mittlerweile in Wiesbaden eine neue Heimat, wohnt mit seiner Lebensgefährtin in der Nähe der Stadt, und hat vor allem mit dem Marketing der Landeshauptstadt eine riesige Aufgabe geschultert. Während die Görlitzer Europastadt GmbH im Jahr rund 1,3 Millionen Euro Umsatz machte, liegt der Etat der Wiesbadener Vermarktungsgesellschaft bei 5,7 Millionen Euro. Die Stadt Görlitz zahlt 860 000 Euro im Jahr, die Stadt Wiesbaden 2,5 Millionen Euro. Und während sich Görlitz über 230 000 Übernachtungen freut, hat Wiesbaden nun die Millionengrenze überwunden. Es sind eben doch zwei Welten zwischen beiden Städten.

Dabei wollte Martin Michel ursprünglich gar nicht in die Wirtschaft gehen. Arzt war lange Zeit sein Traumberuf. Dafür absolvierte er sogar nach dem Abitur den Zivildienst im Görlitzer Wichernhaus. Sein damaliger Chef, der heutige Vorsitzende des Aktionskreises für Görlitz, Joachim Rudolph, erinnert sich gern an den seinerzeit jungen Mann. „Der war richtig gut“, sagt er. „Vor allem ist ihm eine soziale Ader gegeben, auf die Menschen zugehen zu können.“ Michel gefiel es im Wichernhaus so sehr, dass er den Dienst sogar verlängerte. Trotzdem verfolgte er seine Arztpläne nicht weiter, seine Physik-Leistungen seien dafür zu schlecht gewesen.

Dem Arzttraum muss er nicht nachtrauern. Michels Arbeit gilt in der Landeshauptstadt Hessens als erfolgreich, als das Stadtmarketing jüngst das zehnjährige Bestehen feierte, erntete Michel Lobeshymnen. An dem Erfolg hat er von Anfang an mitgewirkt. Die hessische Landeshauptstadt hatte ein ziemlich verschlafenes Image um die Jahrhundertwende. Damals kam Michel, der in Wernigerode Betriebs- und Tourismuswirtschaft studierte, nach Wiesbaden. Für ein befristetes Praktikum bei Henning Wossidlo, dem Chef des Wiesbadener Kurhauses. Daraus wurde eine Assistentenstelle, später der Marketingchefposten bei den Wiesbadener Kurbetrieben. Schließlich arbeitete Michel daran, wie aus einem städtischen Eigenbetrieb eine GmbH werden könnte. Als sie dann gegründet wurde, war er ihr erster Chef. Bis heute.

Als Sprecher der Stadt-Holding, in der die städtische Rhein-Main-Halle und das Kurhaus zusammengefasst sind, ist Michel nun der Chef von rund 160 Mitarbeitern. Gerade die Rhein-Main-Hallen als das moderne Kongress- und Veranstaltungszentrum der Stadt machen derzeit Furore. Sie entsprachen nicht mehr dem Stand der Technik, so wurden sie kurzerhand abgerissen, nächsten Montag legt der Wiesbadener OB den Grundstein für deren Neubau. Investitionssumme: 196 Millionen Euro. Eröffnungstermin: Februar 2018 mit dem bundesweiten „Ball des Sports“.

Schon heute wird die noch überhaupt nicht vorhandene Halle vermarktet, erste Konzerte und Kongresse gebucht. „Wir hoffen, dass die Hallen ein Motor für den Tourismus sind“, sagt Michel. Bereits jetzt zeichne sich ab, dass spätestens dann auch neue zusätzliche Hotels notwendig werden. Verstummt sind damit auch die Kritiker, die einst Sorge hatten, dass die Flaute während des Neubaus der Hotelwirtschaft arg zusetzen wird. Das Gegenteil sei der Fall, jährlich kommen mehr Gäste nach Wiesbaden, vor allem aus dem Ausland.

Dafür tut Michel aber auch emsig die Werbetrommel rühren, produziert Beilagen in der FAZ, vermarktet die Stadt mit Rostock und Erfurt gemeinsam international, betont das internationale Flair bei einer Ausländerquote von 30 Prozent und wandelt somit das Image von Wiesbaden peu a peu vom netten Kurort zu einer Stadt mit Tempo und Kultur. Dabei ist sie in seinen Augen eine für das neue Jahrtausend. „Vieles ist per Fuß zu erreichen, die Stadt liegt zentral im prosperierenden Rhein-Main-Gebiet, viele große Kulturveranstaltungen finden hier statt“, sagt Michel. „Diese Lebensqualität hat auch mich überzeugt. Ich habe die Stadt lieben gelernt.“