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Ein Görlitzer wie aus dem Buche

Hans-Joachim Tietz war Lehrer, Heimatforscher und Künstler. Jetzt starb er 88-Jährig.

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Von Bernd Kremser

Seine Wiege stand nicht in Görlitz. Aber wenn man sich einen Görlitzer vorstellen müsste, dann wäre es vielleicht jemand wie Hans-Joachim Tietz: Der großen Geschichte der Stadt verbunden, der Kunst zugetan und mit großem Engagement für die Allgemeinheit. Das war Hans-Joachim Tietz, und es schmerzt, tatsächlich „war“ schreiben zu müssen. Vor wenigen Tagen ist der Pädagoge, Heimatforscher und Künstler 88-jährig gestorben.

Bis ins hohe Alter hat er am Leben der Stadt teilgenommen, immer wieder sah man ihn in den Straßen, beim Adventskalender erklärte er vor Jahren den Staunenden den schönen Diana-Saal im Schrickelschen Haus auf der Langenstraße, das in seiner Zeit als Leiter des „Zirkels Görlitzer Heimatforscher“ zum vorzeigbaren Domizil der Vereinigung wurde und eine Sammlung zur Görlitzer Geschichte beherbergt. Dem Neuen aufgeschlossen, kam bis zuletzt seine Lebenseinstellung darin zum Ausdruck: „Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen“.

In Königsberg geboren, zog die Familie bald nach Dresden. Sein Vater, der jede freie Minute neben seinem Konditorhandwerk nutzte, um zu malen und zu zeichnen und viele namhafte Dresdner Künstler kannte, machte den „Dresdner Malerwinkel“ zu seiner zweiten Werkstatt. Selbstredend wurde der kleine Hans sein „Malergehilfe“ und ließ sich von der Leidenschaft des Vaters anstecken. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft sicherte sich der Sohn dann mit künstlerischen Aufträgen das Überleben.

Seine Leidenschaft für das Malen und Zeichnen, sein Bildungshunger und der Gedanke, mit der Kunst der verunsicherten jungen Generation nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen, eröffneten ihm neue Perspektiven. Mit seiner jungen Frau Brigitte widmete er sich nun in Görlitz dem Lehren „von der Pike auf“. Als Fachschuldozent prägte der akademisch ausgebildete Kunsterzieher und Psychologe am Institut für Lehrerbildung Löbau mehrere Studentengenerationen bis in den Dresdner Raum. Seine ehrliche, souveräne und humorvolle Art und Weise mit den verschiedenen Anforderungen umzugehen, ließen ihn zu einem Vorbild werden, dem es nachzufolgen galt.

Nach Schließung seiner Löbauer Wirkungsstätte 1991 arbeitete er im Archiv der Stadt Görlitz und wirkte mehrere Jahre als Sekretär der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. Besonders tiefe Spuren hat er als Leiter des „Zirkels Görlitzer Heimatforscher“ hinterlassen. Mit ähnlich engagierten Görlitzer Bürgern wurde der Nikolaiturm saniert und für historische Ausstellungen nutzbar gemacht.

In vorgerücktem Alter war es nun sein Wunsch, sich seiner Leidenschaft, dem Malen und Zeichnen, mit aller Kraft widmen zu können. Ausdruck dessen war sein Beitritt 2004 in den Oberlausitzer Kunstverein. Ein kleines Atelier in der Berliner Straße wurde schnell eingerichtet, nachdem bis dahin eine Dachkammer als Werkstatt und Raum der künstlerischen Zurückgezogenheit dienen musste. Beispielhaftes entstand. Aber fortschreitende Krankheit ließ die Verwirklichung seiner Träume letztlich doch nicht zu. Vor allem sein inniges Verhältnis zur Natur, zur Schönheit unserer Heimat in all ihren Facetten sowie seine humorvollen Kleinplastiken sind sein materielles künstlerisches Vermächtnis. Alle, die diesen aufrechten Mann kennen und schätzen lernen durften, werden ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.