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Ein japanischer Traum

Er ging in Frührente, um zu tun, was er stets wollte: Orgeln bauen. In Dresden holt Takashi Maruyama sich Anregungen.

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© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Dieser Mann ist ein Unikum. In Dresden trifft sich dieser Tage die Gesellschaft der Orgelfreunde, 350 Menschen sind dafür angereist, aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und acht weiteren europäischen Staaten. Und dann steht auf der Teilnehmerliste noch ein Herr namens Takashi Maruyama, 67 Jahre alt, Wohnort Tokio. Seit 15 Jahren reist er zu fast jeder Tagung des Vereins an, meist ist er der einzige Besucher aus Japan. Warum kommt dieser Mann Jahr für Jahr nach Deutschland, um sich Orgeln anzuschauen und mit anderen Enthusiasten auszutauschen?

Opus 3: Seit fünf Jahren baut Takashi Maruyama an dieser Heimorgel.
Opus 3: Seit fünf Jahren baut Takashi Maruyama an dieser Heimorgel. © privat
Bis zu zehn Stunden am Tag widmet der Japaner seinem exzentrischen Hobby.
Bis zu zehn Stunden am Tag widmet der Japaner seinem exzentrischen Hobby. © privat

In einem Café am Zwinger bestellt Maruyama, ein kleiner, bescheidener Mann mit leisem Witz, eine Apfelschorle und beginnt zu erzählen. Schon immer hat er Barockmusik geliebt, vor allem die von Johann Sebastian Bach, besonders die Kantaten. Als Kind hatte er Querflöte gespielt, später Akkordeon. In seinem Haus in Tokio steht heute eine Sammlung von rund 1 000 Schallplatten, die Hälfte davon mit Musik von Bach. Dazu weitere 1 000 CDs.

„Selbstspielende Flötenwerke“

Weil er die deutsche Musik so sehr liebte, entschied er sich in den 1970er-Jahren, ein Jahr seines Studiums in Deutschland zu verbringen, an der Universität Erlangen-Nürnberg. Eine Woche vor seiner Rückreise nach Japan kam es zu einer schicksalhaften Begegnung. „In München fiel mir ein Buch über Orgelbau in die Hand.“ Es handelte sich um das Standardwerk von Karl Bormann aus dem Jahr 1972: „Heimorgelbau: Eine Anleitung zum Selbstbau von mechanischen Pfeifenorgeln und selbstspielenden Flötenwerken für das Heim“. Takashi Maruyama kämpfte sich durch den Band und war fasziniert. Genau das wollte er einmal machen: kleine Orgeln bauen. Das war von nun an sein Traum.

In den darauffolgenden Jahrzehnten kam ihm jedoch sein Berufsleben dazwischen. Maruyama wurde Ingenieur beim japanischen öffentlichen Fernsehen. Ein Vierteljahrhundert befasste er sich mit der Herstellung von Satelliten, zwei Jahre lebte er dafür an der US-amerikanischen Ostküste. Doch der Gedanke ans Orgelbauen ließ ihn nicht los. Vor 15 Jahren trat er in die Gesellschaft der Orgelfreunde ein, Arbeitskreis Heimorgelbau. Er erfuhr, dass der Autor des Buches, das er damals gelesen hatte und das bis heute als die Orgelbau-Bibel gilt, dass also jener Karl Bormann den Arbeitskreis einst gegründet hatte.

Auch in Japan gibt es in vielen Kirchen Orgeln, und, so sagt Maruyama, wahrscheinlich auch in viel mehr Konzertsälen als in Deutschland. An japanischen Grundschulen habe in den 1950er- und 1960er-Jahren in jedem Klassenzimmer eine kleine Orgel gestanden. Die Instrumente spielten eine wichtige Rolle im Musikunterricht. Dennoch hat die japanische Gesellschaft der Orgelfreunde nur etwa ein Zehntel so viele Mitglieder wie die deutsche.

Als er 57 war, ging Takashi Maruyama in Frührente, um sich endlich seinem Traum widmen zu können. Jahrelang hatte er Werkzeug gekauft und Material gesammelt, hatte es zum Teil aus den USA nach Japan verschiffen lassen. Nun wollte er endlich anfangen zu basteln. Er richtete sich zwei Werkstätten ein: eine in seinem Stadthaus und eine in seinem Haus in den Bergen. Bis zu zehn Stunden am Tag verbringt er seitdem mit Tüfteln, Sägen und Schleifen. Manchmal steht er bis tief in die Nacht an der Werkbank. Während er baut, hört er einen Radiosender, der ausschließlich Barockmusik spielt. Wie seine Frau das Hobby finde? „Bevor wir geheiratet haben, habe ich ihr von meinem Traum erzählt, sie hat es erlaubt.“ Stilles Lächeln.

Über die Jahre hat er zwei Orgeln vollendet. Sie stehen jetzt in einem 100-Quadratmeter-Saal in seinem Haus. Ab und zu veranstaltet er private Konzerte, zu denen er Organisten einlädt und ein erlesenes Publikum von 40 oder 50 Menschen. Hauptsächlich frühbarocke Stücke gibt es dann zu hören, entstanden um 1600, für diese Musik sind seine Orgeln gemacht.

Für seine Zeit in Dresden hat er sich ein straffes Programm zusammengestellt: Besichtigungen, Konzerte, Vorträge. Besonders interessiert er sich für die Orgelwerkstatt Wegscheider. Und zum ersten Mal hat er in diesem Jahr entschieden, den anderen Mitgliedern seine Arbeit zu präsentieren. „Weil mein Deutsch nicht so gut ist, habe ich viele Bilder eingebaut.“ Die Resonanz auf den Vortrag war überwältigend, die Leute lobten, wie sauber und schön seine Orgeln gebaut seien. Maruyama greift zu seinem kleinen Übersetzungsgerät, tippt etwas und strahlt. „Hochgeschätzt!“

Konzerte während der Tagung der Gesellschaft der Orgelfreunde: Heute, 20 Uhr, Kreuzkirche, Orgelkonzert mit Ludger Lohmann, Eintritt 7 Euro (erm. 5); Sa., 1. August, 9.30 Uhr, Dreikönigskirche, Harmonium-Matinee mit Michael Karthäuser, Eintritt 5 Euro; anschließend 10.30 Uhr Ökumenischer Gottesdienst mit Kreuzorganist Holger Gehring und Domorganist Johannes Trümpler, Eintritt frei. Die Tageskassen öffnen jeweils 30 Minuten vor Beginn.