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Ein junger Wilder geht

Kultur. Mit der Hauptrolle in „Dantons Tod“ sagt Shenja Lacher dem Zittauer Theater ade. Am heutigen Sonnabendabend ist Premiere.

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Von Sebastian Beutler

Nun verliert er auch noch seinen Kopf. Nach zwei Jahren in Zittau, mehr als einem Dutzend Rollen und unendlich vielen Vorstellungen gibt Shenja Lacher mit dem Danton seinen Abschied von Zittau. In Büchners Schauspiel ergeht es dem französischen Revolutionsführer nicht besser als im wahren Leben: Er wird geköpft. Lacher empfindet diese Rolle als einen schönen Abschied; schöner, als wenn es Hamlet gewesen wäre. Obwohl: „Solche Lebensverdrießer, gebrochenen Charaktere reizen mich schon“, sagt der gerade 27 gewordene junge Mann.

Der Mime strippte in „Ladies Night“, um zu überleben, schaute als Patrick in „American Psycho“ in die Abgründe menschlichen Daseins, verlieh dem Mörder Raskolnikow in „Schuld und Sühne“ eine banal-normale Fassade – doch mit keiner Rolle ist Lacher so im Gedächtnis haften geblieben wie mit seinem Hamlet. Das war ein ungestümer, aufbrausender, an den Ketten zerrender junger Mann – der scheitert und halb nackt auf der Bühne steht. Das Publikum schien daraufhin geteilt: Die große Mehrheit fand das nicht weiter schlimm. Und Lacher war, was er bis dahin vielleicht noch nicht wahrgenommen hatte, das Idol unter den Jüngeren.

Das hält seitdem an. Gymnasiastinnen brachten einen Kuchen bei ihm vorbei, andere laden ihn zu Geburtstagsfeiern ein und gegenwärtig bricht über dem Theater eine Serie von Mail-Nachrichten herein, deren Tenor einfach lautet: „Wir sind Deine Fans. Verlass’ uns nicht’.“

Doch Lacher geht. Nicht, weil es ihm in Zittau nicht mehr gefällt. Er mag kleine Städte, die anheimelnde Stimmung, ist unsicher, ob er in Mannheim genauso „einschlägt“ wie hier. „Doch ich muss wie alle anderen in bestimmten Abständen die Bühnen wechseln, um als Schauspieler weiterzukommen, um mich entwickeln zu können“, versucht er Verständnis für seine Entscheidung zu wecken. So ist das Schauspielerleben, so ist es, wenn ein Theater Sprungbrett für junge Talente ist. Lacher räumt seine Wohnung aus und wieder ein, muss auf Behörden und nach Mannheim, um eine Wohnung sich zu suchen. Ein scheinbar normales Leben für einen, der über sein eigenes sagt, es wäre bislang durchaus wild und ungestüm verlaufen. Sind es die Gene der Mutter, einer Tartarin, die das Feuer, die Glut in ihm entbrennen lassen?

Nach dem Abitur in Berlin, jobbt Lacher auf dem Bau, arbeitet als Zivildienstleistender in einem Altenheim in Berlin-Wannsee, sieht den Tod. Doch an seinem Berufswunsch hält er verbissen fest. Geäußert hat er ihn in der vierten Klasse. „Ich will Schauspieler im DDR-Fernsehen werden“ – und die Mitschüler brechen in heiteres Gelächter aus. Es stört den jungen Lacher nicht, er macht Schülertheater, spielt in den Ringkolonnaden in Marzahn, erlebt die ungeheure, verändernde Wirkung, die Theater bei Menschen haben kann. Die Rostocker Schauspielschule schließt sich an, wo „ihm Vertrauen mitgegeben wird, etwas zu können.“ Schließlich kommt er nach Zittau, nach einigen Gastrollen im festen Engagement seit Sommer 2003.

Hier findet er Möglichkeiten, die er nutzt: Er geht in Studentenclubs, studiert mit Alexander Schmidt ein Lieder-Programm ein, produziert eine CD, eignet sich Rio Reisers eigentümliche Art zu singen an, tanzt, spielt und hat den engen Kontakt zu den Zuschauern, „ohne den er nicht die Spannung, die Qualität halten kann.“ Daraus entspringt „eine große Liebe zum Publikum, das es kein zweites Mal gibt“. Am 12. Juni wird er sich mit dem Rio-Reiser-Abend von Zittau verabschieden. Am Tag darauf ist er bereits in Mannheim, wo er „nicht glänzen, aber Eindruck hinterlassen, auffallen, und den Menschen einen schönen Abend bereiten will.“ Ungeachtet aller Äußerlichkeiten ist es womöglich dieser Anspruch, den die Besucher spüren und um dessentwillen sie auch Lacher so mögen. Im tiefsten seiner Art ist er unsicher, verletztlich, sentimental: „Ich bin froh, wenn mir ab und zu was gelingt.“ In Zittau war es schon sehr viel.