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Eine Frau in ihrem Element

Kerstin Günther ist eine außergewöhnliche Chemielehrerin, findet die Industrie und ehrt sie deshalb.

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Von Antje Steglich

Mit routinierten Handgriffen spatelt Kerstin Günther etwas vom haushaltsüblichen Oxi-Reiniger in ein Reagenzglas und hält es in die Flamme des Bunsenbrenners, während sie mit der anderen Hand bereits einen Holzspan entzündet. Sie pustet kurz die Flamme aus und steckt das glühende Holz in das Reagenzglas. Flupp. Der Span entflammt wieder. Das Experiment ist gelungen, die Flamme hat der Fotograf jedoch nicht auf dem Bild bannen können. Egal. „Sauerstoff ist das einzige Gas, das einen glühenden Span wieder entflammen kann“, erklärt die Chemielehrerin der Oberschule Nünchritz noch schnell und bereitet schon den nächsten Streich fürs Foto vor. Nach der Span- kommt jetzt die Knallgasprobe, danach eine Redoxreaktion – und eigentlich könnte Kerstin Günther den ganzen Tag weiter experimentieren. Ihre Vorliebe dafür und ihr außergewöhnliches Engagement für die Chemie haben ihr jetzt den Titel „ChemChamp 2014“ eingebracht.

Glaspokal wird erstmals verliehen

Der Preis, ein gläserner Pokal, wurde erstmals von den Mitgliedsunternehmen der Nordostchemie ausgelobt, um eine besondere Chemielehrkraft zu würdigen. Aus den insgesamt 14 nominierten Lehrern entschied sich die unabhängige Jury – unter anderem mit Vertretern der Universität Rostock, der Hochschule Merseburg oder des Bildungswerkes der Sächsischen Wirtschaft – einstimmig für Kerstin Günther. „Frau Günther ist eine außergewöhnlich engagierte Chemielehrerin, bei der die Begeisterung für die Chemie auch auf die Schüler überspringt“, erklärt die Sprecherin der Wacker Chemie AG Nünchritz Asta Tehnzen-Heinrich. Ihre Leistungen für den Chemieunterricht seien enorm und kaum alle aufzuzählen: So hat sie schon 2007 an der Erarbeitung einer Handreichung für das experimentelle Arbeiten im naturwissenschaftlichen Unterricht mitgearbeitet und beim Neubau der Oberschule für ein neues Chemiekabinett gekämpft. Sie bietet kontinuierlich einen Neigungskurs Chemie für die neunten Klassen an, organisiert seit zehn Jahren die fachübergreifende Lernpatenschaft zwischen der Oberschule, Wacker und der ASG – den „Kurs 21 – Schulen unternehmen Zukunft“. Sie bietet den Schülern in den Ferien die Möglichkeit, im Schullabor ihre Experimente durchzuführen und damit an Wettbewerben wie „Chemkids“ teilzunehmen, den sie auch als Jury-Mitglied begleitet. Kerstin Günther ist zudem, unterstützt von der Uni Leipzig, in der Lehrerfortbildung tätig, arbeitet als Sprecherin der Fachberater Chemie der Oberschulen, ist Ansprechpartnerin in der Sächsischen Bildungsagentur Dresden für die Förder- und die Freien Schulen sowie Gutachterin bei der schriftlichen Realschulabschlussprüfung im Fach Chemie.

All die Aktivitäten aufzuzählen, fällt selbst Kerstin Günther nicht leicht. So viele seien es in den vergangenen Jahren geworden, lacht die 50-Jährige. Und dabei wollte die Großenhainerin nicht mal unbedingt Chemielehrerin werden. Mit einem Maschinenbauingenieur als Vater und einer Sachbearbeiterin als Mutter war sie in dieser Hinsicht familiär sowieso nicht vorbelastet. „Mich hat es aber immer gereizt, anderen was beibringen zu können“, sagt sie, „ich wollte schon immer Lehrerin werden. Aber eigentlich für Mathe.“ Im Studium suchte sie nach einer geeigneten Kombination, neben Mathe waren damals Geografie, Kunst, Physik und Chemie möglich. Doch da sie Mitte der 1980er kaum in fremde Länder reisen durfte, reizte sie Ersteres nicht. Als Künstlerin sah sie sich nicht. „Und mit Physik stand ich immer auf Kriegsfuß. Das ist für mich überhaupt nicht logisch. Dort habe ich zu Schulzeiten nur überlebt, weil man viel berechnen konnte“, erinnert sie sich. Es blieb die Chemie.

Erst unterrichtete Kerstin Günther auf der heutigen Kupferberg-Schule in Großenhain, dann in Skäßchen, später in Priestewitz und seit 2005 an der Oberschule Nünchritz. „Mit der Zeit hat sich meine Begeisterung für die Chemie erst richtig entwickelt“, sagt sie über sich und kommt vor allem über Säure-Base-Salze ins Schwärmen. Alles sei so logisch. „Hier steckt ja alles drin“, ist Kerstin Günther überzeugt und zeigt auf das Periodensystem. „Dann muss ich nur noch Zuhause schauen, wo ich welche Stoffe finde und was ich damit machen kann.“ Und fertig ist eine gute Chemie-Note – wenn da nicht die vielen Vorbehalte gegen das Fach wären. „Ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden. Womit ich aber nicht klar komme, ist, wenn die Schüler gleich abblocken.“ Das Schlussfolgern mache vielen große Probleme, weiß sie. Und dennoch seien die Prüfungsergebnisse recht ordentlich. „Das ist meine Bestätigung“, sagt die Lehrerin, die bereits wieder mitten im Prüfungsstress steckt.

Doch Zeit für ein paar kleine Experimente muss sein. „Wenn es zu sehr knallt, finde ich das nicht so gut. Da erschrecke ich mehr als meine Schüler“, lacht Kerstin Günther und holt lieber ein paar Gewürzstreuer hervor. Noch einmal dreht sie den Bunsenbrenner auf und zeigt etwas von der Magie der Chemie. Ein bisschen Paprika – rotes Kupferpulver – und die Flamme wird grün. Etwa Pfeffer – schwarzes Eisenpulver – und die Flamme sprüht Funken. Zuletzt ein wenig Salz – weißes Magnesiumpulver – und durch die Flamme zischen kleine Blitze.