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„Eine nicht hinnehmbare Art von Selbstjustiz“

Staatsanwalt Sebastian Matthieu über die schwierigen Ermittlungen zu Wolfstötungen in Sachsen, fehlende Tatorte und fehlende Zeugen.

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wolfsfreunde sind noch immer erschüttert: Vor wenigen Wochen wurde in der Lieberose Heide bei Cottbus ein illegal abgeschossener Wolf gefunden. Ihm war obendrein der Kopf abgetrennt worden. Seitdem befasst sich die Staatsanwaltschaft Cottbus mit dem Fall – bislang konnte aber kein Täter ermittelt werden. Der Abschuss in Brandenburg ist der schlimme Höhepunkt einer ganzen Reihe von illegalen Wolfstötungen. In Sachsen ermittelt die Staatsanwaltschaft Görlitz derzeit in drei Fällen – jedes Mal geht es um einen Abschuss ohne Sondergenehmigung. Die SZ sprach mit dem Görlitzer Staatsanwalt Sebastian Matthieu über die Vorkommnisse.

Im Visier von Feinden: Bereits sechs illegale Wolfstötungen wurden in Ostsachsen registriert. Foto: dpa/Armin Weigel
Im Visier von Feinden: Bereits sechs illegale Wolfstötungen wurden in Ostsachsen registriert. Foto: dpa/Armin Weigel © picture-alliance / dpa/dpaweb

Wer Krimis schaut, hat den Eindruck, eine Ermittlung bei einem Abschuss kann nicht allzu schwer sein. Man hat ein Geschoss oder Projektil oder zumindest Teile davon, vergleicht das mit Waffen in Datenbanken, und schon ist ein möglicher Täter gefunden. So einfach scheint es dann aber doch nicht zu sein – warum nicht?

Im Fernsehen müssen die Fälle nach circa 90 Minuten Sendezeit gelöst sein. Deshalb – und um potenzielle Täter nicht zu sehr in der tatsächlichen kriminalistischen Arbeit zu unterweisen – läuft alles recht problemlos. Im realen Leben dauert das alles etwas länger und funktioniert auch anders. Übrigens: Voraussetzung, ein Projektil überhaupt untersuchen zu können, ist dessen Vorhandensein. Bei Durchschüssen sind Projektile regelmäßig nicht aufzufinden.

Hat die Polizei im Fall der zuletzt geschossenen Wölfe Projektile gefunden?

Über Details möchten wir uns aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern. Man muss grundsätzlich sagen, ob wir Projektile finden, hängt auch davon ab, ob wir den Tatort ermitteln können. Ein Wolf kann angeschossen werden und dann noch weiterlaufen. Dann ist der Fundort ein anderer als der Tatort.

Insgesamt gab es sechs illegale Wolfstötungen in Ostsachsen. Es geht um einen Wolfswelpen, der im Dezember 2013 im Raum Hermsdorf geschossen wurde, einen Wolf, der im März bei Weißkeißel tot aufgefunden wurde sowie um ein weibliches Tier, das im Juli an einer Kreisstraße nördlich von Bautzen gefunden worden ist. Bei keinem der Fälle konnte bislang ein Täter ermittelt werden. Wie stehen denn die Chancen?

Grundsätzlich gibt es immer eine Chance. Die Frage ist, welche Informationen bei den ersten Ermittlung – wir sprechen von der Phase des ersten Angriffs – zusammenkommen. Haben wir den Ort, an dem auf den Wolf geschossen wurde, oder nur den Fundort des verendeten Tieres? Ist nur der Fundort bekannt, dann fehlt das Projektil, falls es zu einem Durchschuss kam. Also sind dann Ermittlungen dazu nötig, wo der Ort des Abschusses lag. Wir ermitteln in allen Fällen mit hohem Aufwand.

Und die Gerüchteküche hilft nicht weiter – niemand meldet sich und sagt, ich habe da was gehört?

Natürlich sind wir immer dankbar für alle Informationen, die zur Klärung von Straftaten führen. Unsere Aufgabe besteht dann vor allem darin, die Hinweise aus der „Gerüchteküche“ auch mit Tatsachen zu untersetzen. Dabei sollte jeder, der etwas von Wolfstötungen weiß oder darüber erfahren hat, bedenken, dass das eine nicht hinnehmbare Art von Selbstjustiz ist. Niemand hat das Recht, nach Gutdünken zu entscheiden, ob ein wild lebendes Tier eine Daseinsberechtigung hat. Es hat der Natur noch nie gutgetan, wenn der Mensch in sie eingegriffen hat.

Was macht die Ermittlungen denn so schwierig?

In aller Regel dürfte es Zeugen zu den Abschüssen nicht geben. Zumindest waren bisher keine Zeugen diesbezüglich namhaft zu machen. Zudem wurden tote Tiere zum Teil noch vom Sterbeort weg verbracht oder bewegten sich angeschossen noch eine Zeit fort, weshalb die Ermittlungen eines Tatorts und eine Spurensicherung dort nicht selten unmöglich war.

In Brandenburg wurde kürzlich ein erschossener und geköpfter Wolf aufgefunden – prüfen Sie in solchen Fällen Zusammenhänge?

Ja, in derartigen Fällen gibt es bundesländerübergreifende Kontakte. Wir haben mit den Kollegen dort gesprochen, auch in anderen Fällen. Wir sind nahe an der Landesgrenze – natürlich findet Informationsaustausch statt. Beachtlich sind die verschiedenen Tötungsweisen. Es gab hier ja auch schon den Fall eines zu Tode gehetzten Wolfs – das hat mit den erschossenen Tieren erst einmal nichts zu tun. Dennoch wird auch nach Zusammenhängen zwischen den Taten gesucht.

Im Fall des gehetzten Wolfs und in zwei weiteren sächsischen Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt. Deutschlandweit gab es bislang zwölf illegale Wolfstötungen – nur dreimal wurden die Täter gefasst. Die Chancen auf Ermittlungserfolge scheinen in solchen Fällen also gering zu sein?

Die Ermittlungen sind tatsächlich schwierig und sehr aufwendig. Dennoch wird angesichts dessen, dass Wölfe in Deutschland unter strengem Schutz stehen und die illegalen Abschüsse auf eine Art „Selbstjustiz“ der Wolfsgegner hindeuten, mit Hochdruck und langem Atem ermittelt.

Sie hatten angedeutet, dass man sich bei den Ermittlungen auch mit dem Sozialverhalten von Wölfen beschäftigen muss. Was meinen Sie damit?

Die Motivation eines Täters kann sich beispielsweise aus dem Umstand ergeben, dass ein Wolf zuvor Nutztiere, die im Eigentum des Täters standen, gerissen hat. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, das Sozialverhalten der Wölfe, bekanntgewordene Nutztierrisse oder andere wahrgenommene Begebenheiten zu Wölfen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Zudem sollten die Ermittler den Wolf auch dahingehend „verstehen“, dass sie zum Beispiel wissen, wie sich ein krankes oder verletztes Tier verhält, welche Strecken es dann noch zurücklegt, ob und wo es Unterschlupf sucht und so weiter, um mögliche Tatorte einzugrenzen.

Sollte ein nachweislich aus Polen oder Brandenburg stammender Wolf in Sachsen illegal getötet werden, sind dann die sächsischen Behörden oder die aus dem Nachbar- (bundes-) land zuständig?

Strafrechtliche Ermittlungen werden in aller Regel nach dem Tatortprinzip geführt. Bei Wolfstötungen bedeutet das im Klartext: Dort, wo ein totes Tier gefunden wird, wird zu den Todesumständen ermittelt.

Wie sieht das Strafmaß aus im Falle von illegalen Wolfstötungen?

Der Strafrahmen in den entsprechenden Paragrafen des Bundesnaturschutzgesetzes sowie Bundesjagdgesetzes sieht Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. Sowohl die Jagdwilderei nach dem Strafgesetzbuch als auch der Verstoß gegen das Tierschutzgesetz hat einen Strafrahmen, der Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren androht.

Das Interview führte Irmela Hennig.