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Eine Stunde Glück

Amanda Lear, Elvis Presley, Vaclav Neckar und sein Krokodil feiern im Seniorenheim eine große Faschingsparty.

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© Christian Juppe

Von Anna Hoben

Draußen, zwischen Gorbitzer Häuserfassaden, mag es regnen, aber drinnen, im Speisesaal des Seniorenheimes, geht die Sonne auf. „Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen, Sonnenschein“, zwitschert die Dame, langes schwarzes Haar, blaues Kleid, rechteckige Brille mit markantem Rahmen auf der Nase. Die Menge wippt mit. „Das war Nana Mouskouri“, ruft die Moderatorin nach dem Lied, „direkt aus Griechenland“.

Die Moderatorin heißt Ilona Lehmann, sie ist in dem Heim des Arbeiter-Samariter-Bundes für die Kultur zuständig. Heimzeitung, Heimradio, Geburtstagsfeiern und was sonst noch so alles an Veranstaltungen anfällt. Fasching haben sie immer schon gefeiert hier, auch eine zehnminütige Showeinlage hat es da mal gegeben. Doch dieses Mal ist es ein bisschen anders gelaufen. „Lasst uns eine Play-back-Show machen“, sagte eine Mitarbeiterin eines Tages. Das war im vergangenen Herbst.

Sie fingen an, Ideen zu spinnen. Wen könnten sie auf der Bühne imitieren oder gar zu neuem Leben erwecken? Klar, Frank Schöbel müsste dabei sein. Karel Gott und seine Darinka. Al Bano und Romina Power. Helga Hahnemann. Amanda Lear. Vaclav Neckar und sein Krokodil Theophil. Und nicht zuletzt: der König des Rock’n’Roll, Elvis Presley. Eine Kollegin erklärte sich fürs Nähen und Schneidern zuständig, der Hausmeister übernahm die Technik. Wer moderieren würde, war ohnehin klar: Ilona Lehmann führt seit 23 Jahren durch die heimeigene Radiosendung und ist das Sprechen vor Publikum gewohnt.

Also schneiderten sie Kostüme, probten und probten. Das gemeinsame Vorhaben, erzählt Ilona Lehmann, habe das Team noch mehr zusammengeschweißt. Irgendwann kam der Rosenmontag, und sie verspürten: Aufregung. Erst mit Lampenfieber ist die Sache komplett; ob ein Künstler in der New Yorker Carnegie Hall singt oder im Gorbitzer Altenheim so tut, als sänge er, spielt da überhaupt keine Rolle.

„Immer den Geräuschen nach“, hat der Mann am Empfang auf die Frage geantwortet, wo es denn zum Fasching geht. Vorbei am improvisierten Rollatorenparkplatz im Speisesaal, dann ist man mittendrin. Luftschlangen und Ballons schmücken den Raum, Tischreihe an Tischreihe sitzen die alten Männer und Frauen. Auf den Köpfen tragen sie runde Filzhütchen, spitze Papierhütchen und jene Chinesenhütchen, die aussehen wie zerlaufene Kegel. Es gibt Bowle, Kaffee, Krapfen. Und jetzt gibt es von der Moderatorin die Ankündigung, dass Al Bano und Romina Power, das alte Traumpaar, sich auf der Bühne wieder vereinen werden. Ein Raunen geht herum, als die beiden ihren Hit „Felicità“ anstimmen. Das Wort bedeutet Glück, und man schaut jetzt in viele glückliche Gesichter.

Nur dort vorne rechts, die Frau mit dem weißen Haar und dem rosafarbenen Pullover – sie weint. Ein Betreuer reicht ihr ein Taschentuch. Ist sie überwältigt von einer schönen Erinnerung? Oder verbindet sie das Lied mit etwas Traurigem? Wer weiß das schon? „Die Hälfte unserer Bewohner ist dement“, sagt Ilona Lehmann. Auch deshalb sind Tage wie dieser so wichtig: Sie lassen die Bewohner den Wechsel der Jahreszeiten bewusst erleben. Besondere Eckpunkte wie Fasching, Ostern, Erntedank oder Weihnachten helfen den Demenzkranken dabei, sich zu orientieren.

Auch wenn mal jemand eine Träne verdrückt, überwiegt das Lachen an diesem Nachmittag bei Weitem. Und manchmal liegt beides ganz nah beieinander. Abgang Al Bano und Romina Power. Stolz recken sie die Arme in die Höhe, als wäre dies nicht der Mittelgang im Speisesaal des Seniorenheimes in Gorbitz, sondern eben doch die Carnegie Hall in New York. Es folgt: Frank Schöbel. „Mit mir können Sie’s ja machen“, singt der Mann, der in diesem Fall eine Frau ist, und das gefällt nun der Dame mit dem weißen Haar und dem rosafarbenen Pullover, sie lacht und klatscht. „Dann vergiss nicht, dass jemand da ist, der dich liebt“, erinnert anschließend Karel Gott. Großes Gelächter gibt es bei Helga Hahnemann: „Hugo, kannst du mal runterkommen und das Haus festhalten? Ich kann das Schlüsselloch nicht finden.“ Nun kommt Elvis Presley, er trägt einen weißen Anzug mit bunten Glitzersteinchen und hat ein wenig zugelegt, doch das stört die Damen nicht, an die er sich anschmiegt. Vaclav Neckar hat das Krokodil Theophil im Schlepptau, und schon ist es Zeit für den Stargast: Amanda Lear.

Die Sängerin wird verkörpert von einem jungen Mitarbeiter, der sich in ein Kleid mit Leopardenprint geworfen hat und auf 20-Zentimeter-Absätzen so gekonnt stolziert, als würde er das nicht zum ersten Mal machen. Eine Stunde hat es gedauert, bis er so geschminkt war. Dem Publikum ist es egal, ob Mann oder Frau, bei Amanda Lear war das schließlich auch nicht so ganz klar. Hinten im Raum johlen die Kollegen, Amanda Lear alias Raphael hat jetzt einen neuen Fanklub.

„Risch drauf zu auf die Leute und rein in die Menge, so muss das sein“, sagt der Betreuungsassistent Klaus nach der Vorführung in der Künstlergarderobe. Er strahlt. Am Rollatorenparkplatz herrscht Stau. Die Bewohnerin Vera Paukert, 85, hat ihre Gehhilfe gefunden und will noch „Danke“ sagen. „Sonst habe ich immer so viele Sorgen und Probleme“, sagt sie. „aber heute war ich mal so richtig glücklich“.