SZ +
Merken

Entscheidung über Leben und Tod

Ein Kinofilm rückt die Frage ins Rampenlicht: Was ist, wenn das ungeborene Baby schwer krank oder behindert ist? Die Diakonie Löbau-Zittau berät schwangere Frauen.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Constanze Junghanß

Der Film „24 Wochen“ hält hochemotionalen, schweren Kinostoff bereit. Nicht jeder hält das aus. „Einige Besucher haben den Zittauer Theatersaal verlassen“, erzählt Anita Heinrich von der Beratungsstelle für Schwangere, Paare und Familien der Diakonie Löbau-Zittau. Dort wurde zur Eröffnung des Neißefilmfestivals das Drama über eine Familie, die vor der Entscheidung über Leben und Tod ihres noch ungeborenen Babys steht, gezeigt. Das Kind hat Trisomie 21 – auch Down-Syndrom genannt – und einen schweren Herzfehler. Der Film begleitet die Protagonisten bis zum Ende der Schwangerschaft und macht den hohen Druck und die psychische Belastung der Eltern deutlich.

Elke-Katrin Gilbert, Christiane Lammert, Beatrix Panitz und Anita Heinrich gehören zum Beratungsteam der Diakonie Löbau-Zittau. Sie müssen werdenden Eltern in oft schweren Stunden beistehen. Foto: Constanze Junghanß
Elke-Katrin Gilbert, Christiane Lammert, Beatrix Panitz und Anita Heinrich gehören zum Beratungsteam der Diakonie Löbau-Zittau. Sie müssen werdenden Eltern in oft schweren Stunden beistehen. Foto: Constanze Junghanß

Während man dem Filmgeschehen aus dem Weg gehen kann, ist Weglaufen in der Realität nicht möglich. Wohin können sich Betroffene wenden, die ein schwer krankes oder behindertes Kind erwarten? Auch im südlichen Landkreis gibt es Eltern, die vor der folgenschweren Entscheidungen stehen: Spätabtreibung ja oder nein?

Dank der immer weiter entwickelten Pränataldiagnostik in der Medizin können Ärzte heutzutage erkennen, ob mit dem Baby im Mutterleib alles in Ordnung ist. Oder eben auch nicht. „Jede Frau wünscht sich natürlich ein gesundes Kind“, sagt Christiane Lammert. Sie und ihre Kolleginnen von der Löbauer Beratungsstelle mit den Außenstellen in Eberbach-Neugersdorf und Zittau sind für die Schwangeren und ihre Familienangehörigen da. Auch in schweren Zeiten.

Rund 2100 Beratungen haben sie im Vorjahr bei 1350 Frauen und Familien durchgeführt. Davon ließen sich zehn Prozent zum Thema Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche beraten. Dazu sind die Frauen gesetzlich auch verpflichtet, wenn sie diesen Weg in Betracht ziehen und sich gegen ihr Kind entschließen.

Dazu kamen 40 Fälle zur Thematik vorgeburtliche Diagnostik. Diese Beratung nach der zwölften Schwangerschaftswoche ist nicht zwingend vorgeschrieben. Nicht alle diese Frauen erwarten ein behindertes oder schwer erkranktes Kind, sondern möchten wissen, was bei den Untersuchungen auf sie zukommt. Einige von ihnen bekommen dann aber die Diagnose, dass ihr Baby behindert oder nicht gesund sein wird. Wie damit umgehen?

Die Beraterinnen wissen, dass das für die Betroffenen ein großer Schock ist. Tränen fließen oft, ist ihre Erfahrung. In der Öffentlichkeit werde dieses Thema mit einem Tabu belegt. Bisher war das zumindest so. Der Kinofilm sorgt nun für mehr Öffentlichkeit. Zwar können die Mitarbeiterinnen der Diakonie Löbau-Zittau noch nicht abschätzen, ob sich durch „24 Wochen“ die Zahl derer, die sich künftig zum Umgang mit Ergebnissen der Pränataldiagnostik beraten lassen werden, tatsächlich erhöht. Dazu sei der Film erst zu kurz in den Kinos. Doch selbst dem Sächsischen Staatsministerium ist der Film eine Mitteilung wert. Darin informiert Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) mit dem Hinweis auf die fünf speziellen Kontaktadressen im Freistaat: „Wir lassen werdende Eltern in dieser schwierigen Situation nicht allein.“ Eine dieser Adressen ist die der Diakonie in Löbau.

Letztendlich lastet die Entscheidung, eine solche Schwangerschaft fortzuführen oder zu beenden, allein bei der Mutter. „Beenden“ heißt in dem Fall: Das Baby wird sterben. Doch wie kann da die Beratungsstelle unterstützen? Einen Leitspruch nennt Mitarbeiterin Elke-Katrin Gilbert: „Mit der Frau und nicht gegen sie“ lautet der. „Unsere Beratung ist wertfrei“, ergänzt Christiane Lammert. Zuhören gehört ebenso dazu wie die Vermittlung in ein Netzwerk. Dazu gehören zum Beispiele Kliniken, Ärzte, Frühförderstellen, aber auch Selbsthilfegruppen, wie die Gruppe „Sonnenwind 21“ in Oppach, bei dem sich Familien mit Down-Syndrom Kindern zusammenfanden. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle sind für die Frauen auch so lange da, wie diese das wünschen. Manchmal dauert ein erstes Gespräch mehrere Stunden. Manchen Betroffenen ist es wichtig, telefonisch immer wieder Kontakt zu halten. Andere benötigen das vertrauliche Gespräch unter vier Augen. Auch dann, wenn sie sich für ein vorzeitiges Ende der Schwangerschaft entschieden haben. Wie viele Mütter nach den Gesprächen und der Betreuung Ja zu ihrem behinderten Baby sagten, darüber führt die Diakonie Löbau-Zittau keine Statistik. Laut Statistischem Landesamt Sachsen gab es im Vorjahr im Freistaat 5 083 Schwangerschaftsabbrüche. Davon 235 nach medizinischer Indikation.