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Epilepsie heißt nicht Brei im Kopf

Der Chefarzt des Kleinwachauer Epilepsiezentrums in Liegau-Augustusbad holt tausend Ärzte nach Dresden. Und heute ist Patiententag.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Europas Ärzteschaft schaut seit gestern neugierig nach Dresden – und das ist einem Liegauer zu verdanken. Dr. Thomas Mayer nämlich, dem Chefarzt des neurologischen Krankenhauses im Epilepsiezentrum Kleinwachau in Liegau. Er hat die jetzt gestartete 9. Drei-Länder-Tagung der Gesellschaft für Epileptologie im Internationalen Congress Center (ICC) in Dresden organisiert, zu der über 1 000 Mediziner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angereist sind. „Es ist natürlich auch für unser Epilepsiezentrum eine riesige Ehre, dass wir diese alle zwei Jahre in einer anderen Metropole stattfindende Tagung organisieren dürfen“, freut sich Dr. Thomas Mayer, der nicht nur Chefarzt in Kleinwachau ist, sondern auch Geschäftsführer im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie.

Die einstige Viva-Moderatorin Milka Loff Fernandes leidet an Epilepsie – und spricht längst offen über das Thema. Am Sonnabend zum Beispiel beim großen Patiententag im Dresdner ICC.
Die einstige Viva-Moderatorin Milka Loff Fernandes leidet an Epilepsie – und spricht längst offen über das Thema. Am Sonnabend zum Beispiel beim großen Patiententag im Dresdner ICC. © Jens Koch

Zum Programm gehört dabei auch der große Patiententag am Sonnabend. Von 9 bis 14.30 Uhr sind Betroffene, Angehörige und Interessierte ins ICC eingeladen, sich zu informieren und zu diskutieren. Passend übrigens zum seit Jahren in Kleinwachau verfolgten Weg der Öffnung des Epilepsiezentrums. Weg von der ein wenig versteckten „Anstalt“ am Rande Liegaus und auch ein wenig am Rande der Gesellschaft und der öffentlichen Wahrnehmung, zur offenen Einrichtung mit Außenwohngruppen mitten in Radeberg zum Beispiel. „Epilepsie kann ja wirklich jeden treffen – und doch ist diese Krankheit irgendwie ein Tabu in unserer Gesellschaft“, weiß der Liegauer Chefarzt. Und hat deshalb auch Prominente nach Dresden eingeladen, die ebenfalls betroffen sind – und die von ihren Erfahrungen mit der Krankheit berichten. Zum Beispiel die einstige Moderatorin des Musik-Fernseh-Kanals Viva, Milka Loff Fernandes. Vorab stand sie auch der Radeberger SZ Rede und Antwort zum Thema Epilepsie:

Frau Fernandes, welche Veränderung hat die Krankheit Epilepsie in ihrem Leben hervorgerufen?

Welche nicht? Immerhin kann ich sagen, dass ich mittlerweile keine Angst mehr vor Anfällen habe. Diese Angst lähmt gewaltig. Und vielleicht war es das, was ich am Schlimmsten fand an der Krankheit. Andererseits lebe ich nun viel bewusster. Ich nehme die Signale meines Körpers und meines Geistes viel ernster und ich spreche darüber, um eventuelle Knotenpunkte unmittelbar zu lösen.

Was machen Sie jetzt anders?

Ich achte zum Beispiel auf Nahrung, die mir gut tut. Auch Bewegung, an der ich mich freue, gehört dazu – und ausreichend Schlaf, sofern das meine Tochter zulässt. Das heißt alles, was man sonst noch so in den Magazinen für ein gesundes, langes und langweiliges Leben liest, sind für mich nun selbstverständlich. Man kann sagen, dass meine Anfälle mich eventuell vor einem späteren Herzinfarkt bewahrt haben.

Warum haben Sie 2014, obwohl Sie da bereits einige Jahre anfallsfrei waren, ihre Epilepsie öffentlich gemacht?

Zum einen fand ich das komisch, dass man als Epileptiker oft auf eine ganz eigenartige

Weise stigmatisiert wird – während man jemanden, der zum Beispiel einen Herzinfarkt hatte, schon fast als Märtyrer einer leistungsorientierten Gesellschaft feiert. Ich wollte irgendwie auch zeigen, dass es jede und jeden treffen kann und dass das nicht bedeutet, dass man Brei im Kopf hat. Andererseits hat mich auch die Frage genervt, warum ich so lange von der „Bildfläche“ verschwunden war. Ich hatte halt andere Prioritäten und jetzt habe ich den Kopf wieder frei.

Bedeutete die Erkrankung den Rückzug aus dem Geschäft vor der Kamera?

Eher indirekt. Meine Form der Epilepsie ist ja nicht wirklich eine Bedrohung für den reibungslosen „Sendungsablauf“. Ich hatte halt das Pech, dass es sehr lange gedauert hat, bis ich gut auf die Medikamente eingestellt gewesen bin. So hatte ich sehr mit den Nebenwirkungen zu kämpfen – und eben mit mir selbst. Ich bin förmlich erstarrt vor Angst und bin darüber sehr lethargisch geworden. Das ließ sich natürlich nicht gut mit Unterhaltungssendungen verbinden. Rückblickend glaube ich, dass ich einfach die Zeit für mich und meine persönliche Entwicklung brauchte.

Haben Sie heute eine andere Sichtweise auf das Leben?

Die Epilepsie hat einiges umgeworfen in meinem Kopf. Das ist auf jeden Fall klar. Genauso, wie jeder Andere auch, bin ich nicht gefeit vor dem Alter, Krankheiten oder dem Tod. Aber ich lebe jetzt und ich darf jeden Tag üben, dieses Leben zu schätzen und zu nutzen, so wie es derzeit in meinen Möglichkeiten liegt. Das gelingt mir nicht immer, aber ich komme immer wieder zurück zu diesem Punkt. Alle weiteren Punkte fallen da rein und es würde den Rahmen sprengen, sie hier aufzuzählen.

Sie bekennen sich öffentlich zur Erkrankung Epilepsie. Und werden auf dem Patiententag in Dresden vor einem breiten Publikum über Ihre Erkrankung sprechen. Warum ist es so wichtig, offen mit Epilepsie umzugehen?

Ich weiß nicht, was dadurch bewegt werden kann. Aber hauptsache ich bewege mich. Es hat mich schon echt Überwindung gekostet, so offen von und über meine Epilepsie zu sprechen. Das tut es immer noch. Ich rede nicht so gerne unangenehme Dinge. Doch ich möchte ermutigen. Ich möchte, dass wir als Epileptiker trotzdem mit Selbstbewusstsein in den Tag gehen können und jede Herausforderung meistern können, ob diese nun von außen oder innen kommt. Und ich möchte Aufmerksamkeit generieren für diese Krankheit. Und wer weiß, vielleicht fühlt sich ja jemand, der sonst nie damit zu tun hat, dadurch inspiriert, tatsächlich mehr darüber herauszufinden und fängt mit einem Betroffenen ein Gespräch an, das sonst nie stattgefunden hätte…

Gespräch: Alexander Nuck