„Es war für beide Länder ein Sklavenmodell“

Einige Fotos hat David Macau mitgebracht: Erwartungsvoll aufgereiht sind da junge Mosambikaner 1979 vor einem Haus im Hoyerswerdaer WK I, das ihnen als Wohnheim dienen wird. Ein weiteres Bild zeigt einen von ihnen mit Gitarre vor dem Block in der Zetkinstraße. Dann steht da der mosambikanische Präsident Samora Moisés Machel während seines Besuches in Hoyerswerda im September 1980 vor der Silhouette von Häusern im WK VIII. Ein viertes Bild ist in Maputo aufgenommen worden, der mosambikanischen Hauptstadt. Zu sehen ist eine Großdemonstration ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter. Ihre Landsleute nennen sie „Madgermanes“ – angelehnt an „Made in Germany“.
David Macau war noch keine 20, als er nach Hoyerswerda kam. Basis war ein Abkommen, das die DDR und Mosambik im Februar 1979 schlossen. Macau lernte hier in der Kohle – VEB Braunkohlenwerk Welzow – Werkstatt Burghammer. Er weiß noch den Namen des Direktors: Klaus Siebold. Der einstige Minister für Kohle und Energie war nach den harten Wintertagen 1978/79 mit weitreichenden Energieausfällen in die Produktion zurückgeschickt worden. Unter anderem von seinem beim BKW Welzow erworbenen Meisterbrief als Instandhaltungsmechaniker erzählte David Macau zu Wochenanfang im Café „Auszeit“ des Bürgerzentrums. Seine Stippvisite in Hoyerswerda war Teil einer Reise, deren Anlass eine Konferenz in Magdeburg gewesen ist. Ihr etwas sperriger Titel: „Internationale Tagung zur Entwicklungszusammenarbeit Mosambik – Deutschland mit dem Schwerpunkt Vertragsarbeit und Experten anlässlich des 40. Jahrestages des Staatsvertrages zwischen der Volksrepublik Mosambik und der DDR“.
Mitorganisatorin Julia Oelkers, die sich schon länger journalistisch mit dem Thema befasst und auch zu den Machern der Webdokumentation „Hoyerswerda-1991“ gehört, hatte ihm einen Abstecher in die Lausitz vorgeschlagen. „Wir sind völlig überrascht, dass so viele Leute gekommen sind“, eröffnete sie den Nachmittag. Da war zum Beispiel ein Elektriker, den die DDR nach Mosambik geschickt hatte, um dort im Bergbau zu helfen. Da war auch ein Mathematiklehrer, der an der Betriebsberufsschule „Ernst Thälmann“ in Schwarze Pumpe junge Mosambikaner unterrichtete. Und da waren auch ehemalige Mitglieder des 2015 aufgelösten Hoyerswerdaer Vereins „Projektarbeit Mosambik“.
Das erwähnte Wohnheim in der Zetkinstraße wurde in der Nacht zum 3. Oktober 1990 zum Ziel von Ausländerhassern. Als Deutschland in sein Wiedervereinigungsabenteuer startete, gab es im WK I zerbrochenes Glas, 15 Verhaftete und verängstigte Menschen. Man habe, erinnerte sich David Macau am Montag, „unangenehmen Besuch“ gehabt. Die Mosambikaner zogen aus dem WK I in die Albert-Schweitzer-Straße, wo schon eine andere Gruppe aus ihrem Land untergebracht war. Mit Berichten und Analysen dazu, wie das Ganze im September 1991 ausging, ließen sich inzwischen zahllose Aktenordner füllen.
David Macau war Anfang 30, als er Hoyerswerda zwangsweise verlassen musste. Es ist sicher nicht falsch, zu sagen, dass er die Blütejahre seines Lebens in der Stadt verbrachte. Man hatte ihm, wie allen anderen Vertragsarbeitern auch, zuvor 60 Prozent des Lohns abgezogen. Der Deal lautete: Die DDR behält das Geld, minimiert damit die mosambikanischen Staatsschulden und die Vertragsarbeiter, wenn sie als „Regressados“ – Rückkehrer – wieder daheim sind, bekommen das Äquivalent dann vom mosambikanischen Staat ausgezahlt. Da das bis heute nicht passiert ist, protestieren die „Madgermanes“ noch fast 30 Jahre später regelmäßig auf der Straße. Macau sagt, er habe nie eine richtige Anstellung in seinem Beruf gefunden. Er schlägt sich in Maputo mit Gelegenheitsjobs durch – dank eines aus Hoyerswerda mitgebrachten Elektroschweißgerätes. Seinen drei Kindern, erzählt er, könne er immerhin ein kleines Häuschen bieten. Andere „Regressados“ lebten regelrecht im Elend. „Es war für beide Länder ein Sklavenmodell“, lautet das harte Urteil von David Macau. Eines der Themen bei der Konferenz in Magdeburg umschrieb das etwas vorsichtiger, aber dennoch deutlich: „Der unklare Transfer – Was wurde gezahlt? Was wurde unterschlagen? Und von wem?“ David Macau ist optimistisch, dass er sein Geld bekommen wird. Es dürften, sagt er, um die 5 000 Dollar sein. Das ist schon etwas in einem Land, in dem die Hälfte der Menschen unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben muss.