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Experiment in der Ziegelscheune

Den Ausschank im Waldpark gibt es seit 135 Jahren. Als Hofnacht-Außenposten ist er immer für eine Überraschung gut.

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Von Thomas Möckel

Die Hofnacht in Pirna beginnt für Jens Schwemmer mit einem Experiment. Der Wirt der Gastwirtschaft „Ziegelscheune im Waldpark“ buchte für die Freiluft-Sause erstmals die Combo „Herbst in Zerbst“, um mal neue Töne in den Pirnaer Abendhimmel zu schicken. Einer der Musiker, Handwerker auf Montage, logierte eine Zeit lang bei Schwemmers, so kam der Kontakt zustande. Mehrere der Jungs spielen sonst Heavy Metal, in der gemäßigten Variante frönen sie eher dem Blues und leisen Tönen. Schwemmers Wagnis allerdings: Er hat die Gruppe noch nie live gehört. „Das“, sagt er, „wird sehr spannend.“

Eine historische Ansicht zeigt, wie romantisch und vergnüglich es schon früher im Pirnaer Waldpark war. Der Anbau links am Gebäude mit den vielen Werbeaufschriften existiert heute nicht mehr. Repro: Katja Frohberg
Eine historische Ansicht zeigt, wie romantisch und vergnüglich es schon früher im Pirnaer Waldpark war. Der Anbau links am Gebäude mit den vielen Werbeaufschriften existiert heute nicht mehr. Repro: Katja Frohberg

Musikalisch so richtig daneben gelegen hat er aber noch nie. Fast seit Beginn der Hofnacht lässt die Gastwirtschaft ein oder zwei Höfe bespielen, stets sind Gäste gekommen und geblieben. Das Lokal gehört zu den Hofnacht-Urgesteinen, es ist, schätzt Inhaberin Grit Schwemmer, wohl seit der dritten Hofnacht ohne Pause dabei.

Es war vor allem die Lage als gastronomischer Außenposten, die die Wirtsleute animierte, ihre Höfe zu öffnen. „Wir haben einfach angefangen, damit jemand mitkriegt, dass hier hinten noch was ist“, sagt Grit Schwemmer. Inzwischen wissen viele, dass sie jenseits der Stadt essen und trinken können. Aber wahrscheinlich wissen nur wenige, welch lange und bewegte Geschichte dem Lokal innewohnt.

Seit 135 Jahren gibt es nun Gastronomie im Waldpark, und die Lage im städtischen Abseits war damals wohldurchdachtes Kalkül. Früher, sagt Jens Schwemmer, fuhren die Leute in ihrer Freizeit nicht übers Land, sie gingen vielmehr in naher heimischer Umgebung spazieren. Oft entstanden, etwas abgelegen von den Orten, Schenken und Cafés, um die Menschen nach draußen zu locken. Und der Waldpark, einst Salon Legler und später betrieben von Oscar Janke, klotzte mit vielen Angeboten und buhlte mächtig um die Gästeschar. In dem Areal gab es einst eine Treppe in Richtung Sonnenstein hinauf mit Aussichtspunkt, eine Konzertmuschel, Schausteller stellten ihre Fahrgeschäfte auf, im Winter legten die Gastgeber eine Spritzeisbahn an. „Das war hier ein richtiges Vergnügungsviertel“, sagt Jens Schwemmer.

Aber auch als Herberge war der Waldpark gefragt. Früher fuhren viele Schiffe auf der Elbe, Kaufleute betrieben Handel, die vielen Durchreisenden mussten bei ihren Aufenthalten irgendwo wohnen. Weil die Städte oft nicht so viel Platz boten, logierten die Pausierenden häufig in weiter draußen gelegenen Gasthöfen.

Vereine zog es ebenfalls gern in den Waldpark. So gründeten in dem Haus 37 Gastwirte aus Pirna, Dresden sowie anderen Orten der Sächsischen Schweiz am 16. September 1881 den Gastwirtsverein. In ihr Statut schrieben sie beispielsweise folgende Ziele: „Wahrung und Förderung der gewerblichen und materiellen Interessen sowie Hebung der Standesehre, Zuführung nützlicher Erfindungen für das Gewerbe und Prämierung treuer Dienender.“

Mit allerlei Geschichten und Anekdoten zur Historie unterhält Schwemmer gern seine Gäste, auch forscht er nach Unbekanntem. Seine neueste Erkenntnis: Die Ziegelscheune am Waldpark diente während des Zweiten Weltkriegs einige Jahre als Lager für französische Kriegsgefangene. Das Geheimnis lüftete ein Bagger bei Flut-
reparaturen auf dem Gelände, als das Gerät in eine Klärgrube einbrach, von der niemand etwas wusste. Schwemmer recherchierte in Archiven und förderte diese Geschichte zutage. Allerdings fehlen noch viele Einzelheiten, den Wissensdurst danach will der Wirt aber noch stillen.

Woher der Name der Gastwirtschaft ursprünglich stammt, weiß Schwemmer aber längst. Einst stand auf dem Areal die alte Ziegelmeisterei, wohl ab 1389 wurde auf dem Gelände begonnen, Ziegel zu brennen. Die Ziegelscheune im hinteren Teil des Grundstücks diente früher als Trockenraum für die Ziegel, ehe sie gebrannt wurden. Heute betreiben Schwemmers in dem Haus Ferienwohnungen, anstelle der Ziegelmeisterei steht heute die große Gaststätte, die Grit und Jens Schwemmer seit 2010 gemeinsam betreiben.

Damit die Gäste auch zur Hofnacht ein Weilchen länger bleiben, hat sich der Gastwirt inzwischen auf der Videoplattform Youtube im Internet einige Videos der Band „Herbst in Zerbst“ angeschaut, um zumindest zu ahnen, wie sie klingt. „Das Experiment“, sagt Schwemmer nach der Hörprobe, „könnte glücken.“