SZ + Hoyerswerda
Merken

Fels in der Brandung

Pfarrer Peter Paul Gregor betreut als Notfallseelsorger die Betroffenen der Amoklauf-Drohung im Hoyerswerdaer BSZ.

Von Uwe Jordan
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Peter Paul Gregor
Peter Paul Gregor © Foto: Lausitz News/Jens Kaczmarek

Hoyerswerda. Peter Paul Gregor, Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde „Heilige Familie“ Hoyerswerda, ist Notfallseelsorger und Mitglied des Kriseninterventionsteams des Landkreises Bautzen. Er war als einer der Ersten vor Ort, als die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und medizinischem Dienst am Dienstag zum Beruflichen Schulzentrum „Konrad Zuse“ an der Käthe-Kollwitz-Straße 5 gerufen wurden, weil dort auf einem Zettel ein Amoklauf angekündigt wurde. Wir sprachen mit ihm:

Herr Pfarrer Gregor: Wie wurden Sie über den Notfall alarmiert?

Normalerweise geht so etwas über die Regionalleitstelle, aber in diesem Fall hat mich Dieter Kowark, der Chef der Hoyerswerdaer Feuerwehr, informiert. Der direkte Weg ist der schnellste, und hier war schnellstes Handeln vonnöten.

Haben Sie schon einmal in einem solchen Fall eingreifen müssen?

Nein. Ich bin zwar seit meiner Zeit bei der Bundeswehr in der Notfallseelsorge tätig und habe da auch schon eine Vielzahl von Einsätzen gefahren – aber einen angedrohten Amoklauf hatte ich noch nicht.

Was geht einem in solch einer Situation als Erstes durch den Kopf?

Ehrlich gesagt, gar nichts. Das ist ein Mechanismus: die grüne Weste anziehen, hinfahren, Informationen sammeln, auf Grund derer man tätig werden kann, „sich einmischen“, Gespräche suchen, bei der Organisation mitwirken und schauen, wo man wie helfen kann – und es tun.

Gibt es eingeübte Strategien für unterschiedliche Szenarien? Mit einem „Hochhausspringer“ wird man sicher anders reden müssen als mit Betroffenen oder Zeugen eines Unfalls, mit Hinterbliebenen oder eben Menschen im Falle eines angedrohten Amoklaufes.

Ja, natürlich gibt es in der Krisenintervention solche Muster. Aber Theorie und Praxis sind ja dann doch meist zwei verschiedene Dinge. Man muss auch Fähigkeiten mitbringen, die man nicht „antrainieren“ kann, die muss man einfach haben: Informationen sammeln, verwerten, schnell verarbeiten, um zu wissen: Was kann, was muss ich tun? Vor allem muss man sich einfügen können ins Team, das im Notfall zusammenarbeitet. Man darf sich nicht profilieren wollen, sondern muss sich integrieren. Krisenmanagement ist immer eine Gemeinschaftsarbeit – wenn es Erfolg haben will.

Was haben Sie den betroffenen Schülern und Lehrern am Berufsschulzentrum gesagt? Gibt es eine „General-Ansprache“ oder ist alles individuell je nach dem Anzusprechenden?

Nein, eine Standard-Ansprache gibt es nicht. Das geht nur individuell oder in kleinen Gruppen. Wichtig sind in der Ausnahmesituation klare Ansagen, denn die werden von den Betroffenen erwartet auf ihre Fragen: Was passiert nun?, Wie muss ich mich verhalten?, Was geschieht mit mir? Wie geht es weiter? Da sind ganz klare Sätze notwendig – die kann ich aber nur sagen, wenn ich alle entsprechenden Informationen habe. Ganz anders sieht es am nächsten Tag aus; da ist dann das Gespräch notwendig, um den Betroffenen zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Ich war heute (Mittwoch) drei Stunden im BSZ und habe dort mit Schülern und Lehrern gesprochen; in der grünen Jacke übrigens, damit ich sofort als derjenige erkennbar war, der auch „gestern schon da war“.

Gibt es eine „Nachsorge“ für die, die es wünschen, nach solchen Ereignissen?

Natürlich! Ich sagte ja, dass ich gerade vom BSZ komme. Ich stehe auch für individuelle Gespräche im Anschluss zur Verfügung – und ich habe viele Visitenkarten verteilt; es wird ganz gewiss noch eine Reihe solcher Gespräche geben.

Was ist der schwierigste Moment bei einem solchen Einsatz wie am Dienstag?

Wenn ich keine Informationen habe, also selbst nicht weiß, was zu tun ist. Aber in Hoyerswerda, das muss man ausdrücklich sagen, hat das alles perfekt funktioniert mit Koordination und Informationsfluss; das war mustergültig. Wenn man das so sagen darf, bin ich auch stolz darauf, wie beherrscht und ruhig die Betroffenen, also Schüler und Lehrer regiert haben. Nicht zuletzt haben auch die Journalisten so gehandelt, wie sie es sollen: Sie haben uns arbeiten lassen, nicht „auf den Füßen gestanden“ wie etwa 1991; da war es ganz schlimm, das war eine Katastrophe. Aber diesmal – vorbildlich. Das Einzige, was ich mir wünschte: Wenn wir doch bloß Hubschrauber hätten! Auf dass in so einem Fall manche Einsatzkräfte nicht mit dem Auto zwei Stunden von Görlitz nach Hoyerswerda unterwegs sein müssen; in diesen zwei Stunden kann doch so viel passieren! Aber das ist ein Strukturproblem, das man den Handelnden vor Ort in gar keinem Falle anlasten darf.

Spielt der religiöse Aspekt bei Ihrer Tätigkeit als Notfallseelsorger und Kriseninterventions-Mann die bestimmende Rolle – oder ist das eher eine weltliche Rolle, zumindestens im Moment der akuten Gefahr?

Für mich ist jeder ein Geschöpf Gottes, hat seine Würde und daher will ich ihm helfen. Das „Helfen“ gilt, selbstverständlich im Sinne des Verhinderns eines Unglücks oder dessen weiterer Ausbreitung, auch wenn ich mit dem Täter, den es ja in diesem Drohungs-Falle glücklicherweise nicht gab, gesprochen hätte ...

Wann ist ein Einsatz für Sie zu Ende?

Nie! Aber es geht nicht um Bewältigung, sondern darum, wie ich damit lebe. Jeder Einsatz gehört zu meiner Biografie – auch, dass ich daraus lernen kann für den nächsten Fall. Von dem man sich natürlich wünscht, dass er nicht eintritt.

Kann man sich in gefühlten Extremsituationen auch direkt als Betroffener oder einfach Verzweifelter an Sie wenden – oder ist das eher eine Frage für die Telefonseelsorge?

Natürlich kann man das. Aber lassen Sie es mich ganz klar sagen: Wir sind keine Wundertäter, sondern diejenigen, die zuhören, sich hineinversetzen und Möglichkeiten anbieten. Doch die Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen. Er muss im Gespräch stets das Gefühl haben, dass er eine selbstbestimmte Persönlichkeit ist und bleibt. Keinesfalls darf sich eine Abhängigkeit aufbauen nach dem Muster: „Das soll mal der Pfarrer für mich regeln ...“ Dazu gehört für uns auch, dass wir die Entscheidung des Gegenübers letztlich akzeptieren; egal, wie sie fällt. Wir können zu bedenken geben, was dafür oder dagegen spricht – aber nochmals: Die Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen.

Pfarrer Peter Paul Gregor erhielt eine CISM-Ausbildung bei der Bundeswehr und ist seit 1999 in der Notfallseelsorge tätig. CISM steht für „Critical Incident Stress Management“ (deutsch etwa: „Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“, kurz „Krisenintervention“).

„Alle CISM-Maßnahmen stellen keine Therapie dar, sondern dienen ausschließlich der Gesunderhaltung normal reagierender gesunder Menschen auf unnormale Ereignisse (Critical Incidents). CISM steht zur Psychotherapie in einer ähnlichen Relation wie «Erste Hilfe» zu einem chirurgischen Eingriff.“ (Quelle: Wikipedia)