SZ + Feuilleton
Merken

Zerstückelt die Männer!

Feridun Zaimoglu lässt in seinem Buch zehn Frauen zu Wort kommen, die weiter gehen als andere – und sogar vor Mord nicht zurückschrecken.

Von Karin Großmann
 5 Min.
Teilen
Folgen
© imago/Arkivi

Der Dichter steht vor der Kammertür der Hausmagd und flötet. Sie soll ihn doch bitte einlassen. Er will ihr goldenes Haar kämmen und ihr zu ewigem Ruhm verhelfen: „Nur das besungene Weib wird unsterblich.“ Die Magd verzichtet mit spöttischem Dank. Der feine Herr aus der Stadt soll ihr lieber die Wäsche zum Fluss tragen, statt die Zunge zu wetzen. Das tut er tatsächlich. So war die schöne Lore Lay bislang nicht zu sehen. Sie wirkt widerspenstig und alltagserprobt.

Damit gerät die viel besungene Jungfer vom Rhein in beste Gesellschaft. Feridun Zaimoglu lässt zehn Frauen zu Wort kommen, die weiter gehen als andere. Sie halten sich nicht an die gängigen Rollenmuster ihrer Zeit. Sie wagen den Widerspruch und schrecken selbst vor Mord nicht zurück. Die Hausmagd Lore bewaffnet sich mit dem Küchenmesser. Valerie Solanas trägt eine 32er-Beretta bei sich, als sie den Künstler Andy Warhol in seinem New Yorker Atelier zur Rede stellt. Offenbar hat er ihr Manuskript eines Theaterstückes verbummelt. Sie drückt ab – und zielt nicht nur auf den einen Mann, sondern auf alle. In einem Manifest fordert sie dazu auf, Männer zu zerstückeln. Der einzige Grund: Sie sind keine Frauen.

Die US-amerikanische Radikalfeministin und Attentäterin Solanas ist eine reale Figur. Sie wurde zu drei Jahren Haft verurteilt und saß im Hospital für kriminelle Geisteskranke. In Zaimoglus Buch wird sie zur rasenden Furie, obdachlos, hungrig und voller Verachtung für Männer, die etwa beim Fleischer nach Lamm anstehen. „Sie füllen die Backen mit Babyfleisch.“

Valerie Solanas sagt: „Ich bin hundert Hass.“ Mit ihr endet die Monologreihe im Jahr 1968. Der Autor Zaimoglu hat Frauen ausgewählt, die von Männern verletzt werden, verspottet, gedemütigt, missachtet oder herablassend belächelt. Er sucht die andere Perspektive. Was er beabsichtigt, ist nicht weniger als eine Korrektur der Geschichte aus weiblicher Sicht, gegen Lüge und Selbstlob der Männer. Zaimoglus Buch spannt den Bogen von der Vorzeit bis in die Gegenwart, zeigt eine als Hexe brennende Heilkundlerin in der Lutherzeit und die überlebenssüchtige Bewohnerin eines Kellerlochs in den letzten Kriegstagen in Kiel.

All die Frauen werden ausgegrenzt von einer männerdominierten Welt oder bestenfalls als Sexobjekt begehrt wie die Lore Lay. Sie sei ungeistig, meint der abgewiesene Dichter vergnatzt. Mehr oder weniger unerschrocken und unerbittlich setzen sich diese Frauen gegen Ignoranz und Übergriffe zur Wehr. Ihre Empfindsamkeit verbindet sich mit Hass und Verachtung. Sie zahlen mit gleicher Münze. Problemlos ließen sich weitere renitente Frauenfiguren finden, reale wie fiktive. „Ich bin die eine, die sich gegen die trüben Träume stellt“, sagt die Königstochter Antigone aus der griechischen Mythologie. „Ungestüm ist mir eigen.“ Sie wird ihren Ungehorsam bezahlen und in der Schädelgruft eingemauert bei lebendigem Leib.

© Kiepenheuer & Witsch

Feridun Zaimoglu, der als Sohn türkischer Gastarbeiter 1965 nach Deutschland kam, hat schon in früheren Büchern die Ausgegrenzten der Gesellschaft ins Zentrum gerückt. Manche Figuren wie Leyla aus der ersten Immigrantengeneration greift er hier wieder auf, eine literarische Liebeserklärung an seine Mutter.

Der Autor beginnt seine Porträtgalerie mit Zippora, in der Bibel äthiopische Priestertochter und Frau von Moses. Sie darf ihre gewohnten Bräuche nicht pflegen, darf nicht in ihrer Sprache reden und nicht um ihre Toten weinen. Sie ist die Besiegte. Misstrauisch wird sie von anderen Frauen beobachtet. Mit ihrer dunklen Hautfarbe fühlt sie sich doppelt ausgegrenzt. Sie passt sich an und bleibt doch erstaunlich souverän. „Bin ich das Ebenbild meines Mannes?“, fragt sie zweifelnd. Zippora verteidigt das Recht auf ein eigenes Bild. 

Der 54-jährige Autor liefert zu den reichlich vorhandenen Interpretationen dieser alttestamentarischen Geschichte seine eigene. Er deutet die Mythen neu und erfindet Figuren hinzu. Das gilt auch für Szenen des mittelalterlichen Nibelungenlieds. Es läge nahe, die Walküre Brünnhilde zu feiern, die sich dem Befehl von Urvater Wotan widersetzt. Feridun Zaimoglu interessiert sich mehr für die Fortsetzung der Geschichte. Er zeigt die Szene im Salon. Brunhild, wie das Riesenweib bei ihm heißt, weiß sich doppelt betrogen von Gunther und Siegfried. Nun rast sie vor Zorn, „ich bin gespickt mit Stacheln“. Die Sieger lassen ihre Überlegenheit spüren, fordern Unterordnung und Treueschwüre.

Feridun Zaimoglu
Feridun Zaimoglu © Wikimedia Commons/Arne List

Zaimoglu gibt Brunhild einen Sohn, dessen Leben sie mit ihrer Aggressivität gefährdet. Damit entsteht ein ganz neuer Konflikt – und ein Monolog, der Richard Wagner begeistern würde. Denn hier wabert das Wagalaweia wie im „Rheingold“, da wird geraunt von der Weiber Wahn, vom Blute der Brüder, von Kriegern und Kerkern, da badet der Autor im Sprachschwulst des Komponisten-Dichters.

Zu diesem Stoff passt das. Doch Feridun Zaimoglu stattet auch die anderen Frauen mit einer überbordenden Redefertigkeit aus. Obwohl sie in der Ichform erzählen und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Zeiten stammen, hört man den Autor stets mit. Zu gern schwelgt er in blumigen Bildern, als hätte Antigone noch in der größten Not einen Sinn für lyrischen Ausdruck: „Ich bin die Steingebärerin, gekrönt mit dem Kupferkranz ...“ Ein kühler und disziplinierter Schriftsteller war Zaimoglu nie, seit er mit „Kanak Sprak“ 1995 sein Debüt gab. Hier steht ihm seine sprachliche Kraftmeierei manchmal im Weg.

Für die Jury zum Preis der Leipziger Buchmesse gehört die Monologsammlung zu den fünf Favoriten. Der Preis ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert und wird in drei Kategorien am 21. März vergeben.

Feridun Zaimoglu: Die Geschichte der Frau. Kiepenheuer & Witsch, 395 Seiten, 24 Euro