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Fünf Gründe, nicht wählen zu gehen

Es finden sich leicht Argumente, am Sonntag zu verzichten. Allerdings haben alle einen Haken.

Von Domokos Szabó
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Vorhang zu, mir egal? Auch wer am Sonntag seine Stimme nicht abgibt, trifft eine Wahl. Eine tendenziell schlechte.
Vorhang zu, mir egal? Auch wer am Sonntag seine Stimme nicht abgibt, trifft eine Wahl. Eine tendenziell schlechte. © Foto: dpa

Die Wahl vor der Wahl ist für viele das Schwierigste. Nämlich die Wahl, ob man am Sonntag überhaupt seine Stimme abgeben soll. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge stehen immerhin gut 200 000 Wahlberechtigte vor der Entscheidung: wählen – oder nicht wählen, wenn es darum geht, über die Zusammensetzung des Europa-Parlaments mitzuentscheiden, Vertreter in die Stadträte, Gemeinderäte und den Kreistag oder die Ortschaftsräte zu schicken. Oder wenn in Dippoldiswalde und Gohrisch ein neuer Oberbürgermeister beziehungsweise ein neuer Bürgermeister bestimmt wird.

Die SZ wagt kurz vor der Wahl ein Gedankenexperiment und sammelt Gründe, trotz allem um die Abstimmung einen Bogen zu machen. Allerdings gibt es stärkere Argumente, und zwar dafür.

Es bleibt nach den Wahlen sowieso alles, wie es ist

Das ist eine gewagte These. Gerade bei der Europa-Wahl geht es um Grundsätzliches. Stärker als in der Vergangenheit wird das bisher Erreichte in einem vereinten Europa infrage gestellt: der Euro, mit dem wir in Deutschland genauso bezahlen können wie in Spanien oder in Holland. Die offenen Grenzen, die uns nicht nur Urlaubsreisen leichter machen, sondern durch den unkomplizierten Warenaustausch zum Wohlstand beitragen. Oder die Möglichkeit, gegenüber Großmächten wie China oder den USA mit einer Stimme zu sprechen. Stattdessen kann man aber auch stärker bewachte Grenzen für mehr Sicherheit, weniger europäische Zusammenarbeit und damit mehr Möglichkeiten für die Nationalstaaten wählen; verbunden mit der Hoffnung, jedes EU-Land kann in einer globalisierten Welt doch allein für sich das Beste rausholen. Da bleibt allenfalls für den, der nicht wählen geht, alles beim Alten: Er schaut von der Seitenlinie zu, wie Entscheidungen getroffen werden.

Bei wichtigen Fragen sind Bürgerentscheide ohnehin sinnvoller

Direkte Demokratie hat zweifelsohne Charme. Warum sollte man bei Weichenstellungen nicht gezielt die Bürger einer Stadt oder eines Landes fragen? Bürgerentscheide sind in den letzten Jahren einfacher geworden und bei populären Themen steigt die Lust an politischer Mitwirkung wie ein Gasballon in den Himmel.

Doch aus gutem Grund ist unsere Demokratie grundsätzlich eine repräsentative. Das Mandat für ehrenamtliche und Berufspolitiker macht das Ringen um beste Lösungen effektiver und schneller. Zumal die Zusammensetzung der Stadt- und Gemeinderäte die Bevölkerung vor Ort gut abbildet. Es fällt auf: Oft werden Bürgerentscheide initiiert, um etwas zu verhindern, und nicht, um etwas voranzubringen. Schwer vorstellbar, dass weniger parlamentarische Demokratie zugunsten von mehr direkter Demokratie eine wirkungsvollere Politik hervorbringen würde. Daher sollten Kandidaten für Lokalparlamente das Vertrauen des Wahlvolkes bekommen – und zwar jetzt und an der Wahlurne.

Andere Länder funktionieren auch ohne echte demokratische Wahlen

Das stimmt sicherlich. Man kann auch in einem Land mit „gelenkter Demokratie“ oder mit „illiberaler Demokratie“ leben, seinen Alltag gestalten und privat glücklich sein. Wir sollten aber einfach mal unendlich stolz sein, Entscheidungen in unserem Land direkt beeinflussen zu können.

Sicher wird es immer Politiker geben, die bereit sind, für etwas Wahlkampfhilfe ihr Land zu verkaufen, oder die sich von Lobbyinteressen leiten lassen. Aber eine Demokratie mit freier Presse bietet immer noch die beste Garantie dafür, dass so etwas bekannt wird und die Wähler die Konsequenzen ziehen können. Wie? An der Wahlurne.

Auf eine einzige Stimme kommt es bei den Wahlen nicht an

Das hängt davon ab. Bei der letzten Oberbürgermeisterwahl in Freital waren die Stimmen von knapp 200 Bürgern entscheidend dafür, dass es bereits in der ersten Runde einen klaren Sieger gab. In Bad Schandau fehlten dagegen sechs Stimmen, damit es im ersten Wahlgang klappte. Noch mehr zählt aber, dass die Gesamtheit der Stimmen die Wählerschaft möglichst genau repräsentiert. Das macht die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in Stadt- und Gemeinderäten oder im Kreistag besser. Dort werden übrigens die allermeisten Entscheidungen nach der Abwägung von Für und Wider einstimmig getroffen. Dieses System funktioniert aber nur dann zuverlässig, wenn möglichst viele ihre Stimme abgeben.

Kein Problem wird durch Wahlen gelöst

Die Vermutung liegt nahe: Wer mit der Erwartung an die Wahlurne geht, dass es danach regelmäßig Freibier für alle und in der Kantine seltener Gräupchen gibt, dürfte tatsächlich schnell enttäuscht werden. Aber immerhin können die Gewählten an Lösungen arbeiten – zumindest für jene Probleme, die realistisch lösbar sind. Sicher ist aber: Nichtwählen löst keine öffentlichen Probleme und trägt in keiner Weise dazu bei, mit ihnen fertig zu werden.

Trotz aller Argumente dafür, wählen zu gehen, muss man aber auch akzeptieren, wenn sich jemand bewusst dagegen entscheidet. Das ist ein klares Signal: Demjenigen ist es recht, wenn andere über ihn entscheiden, und er ist bereit und willens, damit zu leben. Nur sollte er sich hinterher auch nicht beschweren.

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