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Gefälschtes Porzellan entlarvt

Immer wieder taucht angebliches Meissener mit Augustus-Rex-Marke auf. Das Geheimnis wird jetzt gelüftet.

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© Screenshots: SZ

Von Peter Anderson

Das klingt nach einem Schnäppchen. Echtes Meissener mit einer Augustus-Rex-Marke wird auf der britischen Ebay-Seite bis 27. März dieses Jahres angeboten. Wunderbar bemalt sei die Deckeltasse mit Blumen und flirtenden Paaren. Als Preis sind knapp 140 Euro veranschlagt. Nur am Rande ist die Malwerkstatt der Dresdnerin Helena Wolfsohn erwähnt. Der Kunde dürfte davon ausgehen, dass es sich bei ihr um eine für die Manufaktur arbeitende Spezialistin handelt.

Wer sich die hochaufgelösten Fotos genauer anschaut, sollte jedoch stutzig werden. Der Pinselstrich wirkt oft grob und ungelenk. Teilweise stimmen die Perspektiven nicht, erinnern die Motive eher an sogenannte Naive Kunst als an die hoch artifizielle Technik echter Meissen-Maler.

Dem früheren Leiter der Manufaktur-Schauhalle, Dr. Hans Sonntag, sind zahlreiche ähnliche Stücke vertraut. „Es ist immer wieder vorgekommen, dass Besucher Erbstücke oder Trödelfunde mitbrachten und diese von Experten begutachten lassen wollten“, sagt der Meissen-Kenner. Nicht selten gab die Augustus-Rex-Marke auf dem Boden Anlass zu Spekulationen, ob es sich vielleicht um ein Stück von der Tafel August des Starken handele.

Im Juni 2007 zum Beispiel schaffte es ein solcher Fall in die Bild-Zeitung. Von einem Sensationsfund in Meißen wurde dort berichtet. Eingemauert im Keller des Traditionshauses Vincenz Richter sei möglicherweise die Kakao-Tasse von August dem Starken entdeckt worden. Sorgte diese Tasse samt Heißgetränk für die sagenhafte Potenz und Körperkraft des Monarchen? Schnell stellte sich allerdings heraus, dass das Rokoko-Motiv auf der Tasse von Meissen erst nach dem Tod August des Starken verwendet wurde. Aus der Traum.

Hans Sonntag ließ das Rätsel um die AR-Marke keine Ruhe. In seinem jetzt beim Dresdner Hille-Verlag erschienenen Buch „Helena Wolfsohn & Co. Chronik einer jüdischen Händlerfamilie in Dresden“ fasst der Meissen-Spezialist den Stand der Forschung zusammen, bringt neue Erkenntnisse und korrigiert ältere Fehler. Im Jahr 1843 begann Helena Wolfsohn als Tochter eines Antiquitätenhändlers demnach, das AR-Monogramm auf von ihr vertriebenen Porzellanen einzusetzen. Ihr Geschäft lag in der Schössergasse, Ecke Rosmaringasse 5, unweit der Frauenkirche. Bestens situiert, um Reisende auf der Jagd nach Souvenirs zu bedienen. „Viele, vor allem ausländische Gäste, kauften dieses Porzellan in Dresden ... sicherlich als das europäische und in Dresden erfundene Porzellan, verbunden mit dem Namen des Erfinders Johann Friedrich Böttger“, schreibt Dr. Sonntag. Die Marke „Meissen“ kam letztlich erst im 19. Jahrhundert in den Gebrauch.

Das Geschäftsprinzip von Helena Wolfsohn war denkbar einfach. Ihre Firma kaufte sogenannte Weißware entweder direkt von der Manufaktur in Meißen auf, aber auch von anderen Herstellern, welche Meissener Formen nachahmten. Anschließend dekorierten Wolfsohn-Mitarbeiter die Porzellane mit gefragten Motiven der Manufaktur. Das erst späterhin für den königlichen Porzellanhersteller geschützte AR-Monogramm sorgte schließlich für die verkaufsfördernde Assoziation mit Augustus Rex, dem König von Polen und Kurfürsten von Sachsen. In der Literatur ist von bis zu 50 Malern die Rede, welche auf diese Weise ihr Auskommen fanden.

Hans Sonntags Buch zu Helena Wolfsohn liefert mit einer exakten Chronologie, Hintergrundinformationen zur ganzen Familie und ihrem Umkreis sowie Angaben zu den Marken nun die beste Grundlage, um den über Jahrzehnte hinweg wahrscheinlich zu Hunderttausenden entstandenen Meissen-Imitaten auf die Schliche zu kommen.

Bis heute fügt der Vertrieb von Imitaten und Fälschungen der Manufaktur Meissen alljährlich einen erheblichen Schaden zu. 2012 wollte der damalige Geschäftsführer Christian Kurtzke deshalb den Handel mit historischem Meissener über das eigene Haus abwickeln und mit einem selbst entwickelten Echtheitszertifikat für Sicherheit sorgen. Das Projekt kam jedoch nicht über die Anfangsphase hinaus.

Hans Sonntag: „Helena Wolfsohn & Co. Chronik einer jüdischen Händlerfamilie in Dresden“, Druckerei & Verlag Fabian Hille, 163 Seiten, zahlreiche Faksimile der Quellen und Fotos, 13,90 Euro, ISBN-Nummer: 9783939025764