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Geheime Sprengung

Vor gut 30 Jahren entsteht in Altenberg eine der teuersten Sportstätten der Welt. Doch der Bau gerät zum Desaster.

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© Archiv Flehmig

Von Uwe Karte

Alles in Butter! Wessen Idee es war, lässt sich nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall war das Motto beim offiziellen Empfang vor der Weltcup-Premiere in Altenberg gewagt. November 1987 – noch geht in der späten DDR alles seinen Gang. Die hochrangigen Ehrengäste im FDGB-Ferienheim „Otto Buchwitz“ in Schellerhau sollen ebenso staunen wie die Athleten aus 17 Nationen in den folgenden Tagen beim „AERO-Cup“ im neuen Eiskanal der DDR. Zum feierlichen Akt wird ein Modell der neuen Bobbahn präsentiert. Es ist komplett aus Butter!

Der Eiskanal ist ein millionenschweres Prestige-Objekt – und trotzdem oder gerade deshalb auch Handarbeit gefragt.
Der Eiskanal ist ein millionenschweres Prestige-Objekt – und trotzdem oder gerade deshalb auch Handarbeit gefragt. © Archiv Flehmig
Wolfgang Hoppe und Dietmar Schauerhammer sind im Oktober 1983 die ersten Testfahrer – und danach entsetzt.
Wolfgang Hoppe und Dietmar Schauerhammer sind im Oktober 1983 die ersten Testfahrer – und danach entsetzt. © Archiv Flehmig

Der Stolz über die schräge Idee weicht aber schnell einer ohnmächtigen Wut. Die Spitzenfunktionäre schäumen, auf der Butterbahn fehlt die Kurve 8! Diese war, von wem auch immer, herausgeschnitten worden. Es ist das perfekte Symbol für den vermutlich größten Skandal im DDR-Sportstättenbau.

Altenberg in diesem Sommer. Wir sind verabredet mit Ortschronist Peter Flehmig. Vor mehr als 30 Jahren gehörte er zu den wenigen Augenzeugen beim unter größtmöglicher Geheimhaltung erfolgten Umbau der gerade fertiggestellten Bobbahn. Oder besser gesagt der Sprengung von Teilen der Bahn. Unterm Arm trägt der Hobby-Heimatforscher ein Fotoalbum. Durch einen blöden Zufall sei er auf diese sensible Baustelle gekommen, sagt Flehmig.

Seinen Armeedienst hatte er bei der VP-Bereitschaft in Dresden abzuleisten. Eine unbedachte Handlung, er war mit einer Plastiktüte mit westlicher Zigarettenwerbung in die Kaserne marschiert, brachte ihm die Strafversetzung. Ausgerechnet nach Altenberg und mit nun völlig ungewohnten Aufgaben: „Wir waren da zum Objektschutz und als Heizer eingeteilt“, erzählt er. Inzwischen stehen wir an der Übersichtstafel der Bahn direkt am Kreisel. Peter Flehmig zeigt, mit welchen Kurven es nach der vermeintlichen Fertigstellung die größten Probleme gab und welche deshalb gesprengt werden mussten. Trotz strengster Verbote gelang es ihm, heimlich ein paar Fotos von diesen Umbau-Maßnahmen zu machen. Einmalige Dokumente, die den Gigantismus der Sportpolitik in der ehemaligen DDR eindrucksvoll belegen.

Wie aber konnte es dazu kommen? Nach den Winterspielen 1980 in Lake Placid hatte das SED-Politbüro den Bau einer zweiten Kunsteisbahn in der DDR beschlossen. So sollte die renovierungsbedürftige Anlage beim Armeesportklub in Oberhof entlastet und die Vormachtstellung der DDR-Kufenflitzer behauptet werden. Dahinter steckte aber auch ein Konkurrenzkampf zweier mächtiger Männer: Armeegeneral Heinz Hoffmann und Stasi-Boss Erich Mielke. Der Sicherheitschef neidete seinem Widersacher die Erfolge der Rodler und Bobsportler. So wird das Projekt in Altenberg für Mielke und sein Ministerium zum Prestigeobjekt. Geplante Baukosten: rund 60 Millionen Ost-Mark. Keine drei Jahre später soll alles fertig sein. Um bereits die Olympischen Winterspiele 1984 auf der neuen Kunsteispiste vorzubereiten.

Herbst 1983. Die Bahn ist tatsächlich fertig, die ersten Testfahrten stehen an. Wolfgang Hoppe, in dieser Zeit der beste Pilot der Welt, erinnert sich heute noch sehr gut wie entsetzt er über die – laut Bauauftrag – „anspruchsvollste“ und „schwierigste“ Bahn der Welt war.

Vernichtendes Urteil von Hoppe

„Mit 200 Prozent erfüllt: Nicht zu beherrschen!“, lautet sein vernichtendes Urteil. Dabei ist Hoppe erst von der halben Starthöhe losgefahren. Die Piloten haben das Problem der Bahn schnell erkannt: die Radien der Kurven waren völlig falsch berechnet worden. Doch zunächst trifft der Vorwurf die Sportler selbst. Sie bekommen von den Konstrukteuren die Ideallinie auf die Bahn gemalt, sollen der einfach folgen.

Das Thema ist erst durch, als die Piloten ihre Kritiker zur Mitfahrt auffordern. In einer Vorlage an die Parteiführung kommen die DDR-Sportbosse schließlich zum Fazit: „So, wie die Bahn jetzt steht, ist sie für den Leistungssport nicht nutzbar. Von 17 Kurven müssen 10 völlig und 6 teilweise korrigiert werden.“

Peter Flehmig hat sein Fotoalbum geöffnet. Wir stehen unterhalb der Zielkurve und vergleichen. Die Aufnahme von damals zeigt die Kurve unmittelbar nach der Sprengung. „Man wollte die zu entfernenden Kurventeile zunächst mit schwerer Technik rausziehen, entschied sich dann aber doch zu sprengen“, erinnert sich Flehmig. Zuvor war die Bahn vor und nach dem Segment praktisch durchgesägt worden.

Die ungewöhnlichen Umbau-Maßnahmen sind erst 1986 abgeschlossen. Das Prestigeobjekt ist nun fertig – mit über zwei Jahren Verspätung. Über die tatsächlichen Baukosten redet niemand, in den Akten vermerkt: 130 Millionen. Schätzungen liegen weit darüber. Geld, das der Stadt Altenberg und dem Bezirk Dresden einfach entzogen wurde. Und die Bahn selbst? Bis heute gilt: Wer Altenberg meistert, kann auf jeder Bahn der Welt fahren.

Seit der Wiedervereinigung haben hier insgesamt 13 Weltmeisterschaften stattgefunden. Heute ist die Anlage mit den drei anderen deutschen Kunsteisbahnen der Garant für die Vormachtstellung der deutschen Bobfahrer und Rodler in der Welt.

TV-Tipp: WDR Sport inside heute um 22.45 Uhr unter anderem mit dem Beitrag „Wir bauen eine Bobbahn“.