Generationenwechsel am Elbsandstein

Bitterkeit ist aus seiner Stimme nicht herauszuhören – trotz der zwei Operationen am Rücken. Bernd Arnold ist zufrieden, obwohl er jetzt mit Schrauben an den Wirbeln lebt. Doch klettern kann der Hohnsteiner weiter. Das ist das Wichtigste. Und dass er die 70 Jahre schon überschritten hat, stört sowieso nicht. „Beweglichkeit war immer meine Stärke“, sagt die Kletterlegende und blinzelt durch die Brille. „Jetzt bin ich bisschen eingeschränkt. Man klettert ja immer am Limit“, sagt er lakonisch und fügt trocken hinzu: „Nur, jetzt ist das Limit woanders. Trotzdem habe ich noch Freude am Klettern und darf nur nicht daran denken, wie es mal war. Ich lebe im Jetzt, nicht im Gestern.“
Sein Jetzt hat sich verändert. Auch die Weggefährten sind älter geworden, und junge, verständnisvolle kamen hinzu. Außerdem gibt es die Familie mit Enkeln. „Jetzt wachse ich in eine andere Ebene rein“, sagt der Opa, der diese Rolle gern angenommen hat und gesteht: „Es gibt immer viel zu tun, denn das Bedürfnis, sich mitzuteilen, ist geblieben.“

Arnold macht sich schon immer einen Kopf über das Leben überhaupt und seines im Besonderen. „Als ich jünger war, ging es einfach los, ohne viel darüber nachzudenken“, erzählt er im Interview mit der Sächsischen Zeitung. Dabei war Arnold schon immer ein Grübler am Felsen. Bereits zu DDR-Zeiten hatte er in Hohnstein einen Treff der Kletterszene etabliert, der sich bis heute als Bergsommerabend erhalten hat. Dabei wurden historische und aktuelle Themen behandelt, im vergangenen Jahr war es „Bergsport und Risiko“. Das stärkste Interesse fanden aber immer Vorträge internationaler Klettergrößen wie Lynn Hill oder Alexander Huber.
Diesmal ist das anders. Warum so in die Ferne schweifen, fragte sich Arnold, wenn die Leistung liegt so nah. Die jungen Sachsen vollbringen großartige Leistungen, sind weltweit unterwegs und haben Ausstrahlung. Das Thema an diesem Wochenende lautet also: „Junge Sachsen weltweit unterwegs.“ Schon bei der vorjährigen Auflage reifte bei Arnold der Entschluss, der Jugend eine Bühne zu geben, weil sie es ist, die den Klettersport auch in Sachsen weiterführen muss: „Es ist angenehm, sich mit den Jungen auszutauschen. Da spüre ich Begeisterung und freue mich darüber.“
Austausch mit "jungen" Ausnahmekletterern
Robert Leistner ist so „eine interessante Person, die ihre Wurzeln im sächsischen Klettern hat. Er ist extra von Chemnitz nach Dresden gezogen, weil hier die Felsen näher sind“, erzählt Arnold und schwärmt über den 36-Jährigen und dessen „steile Entwicklungskurve, die auf einer breiten Basis beruht. Ihm gelangen am Elbsandstein Erstbegehungen im 10. Grad und darüber hinaus. Hin und wieder wechselt er erfolgreich zum Bouldern. Und er ist als Routenschrauber bei internationalen Wettbewerben wie bei den Weltcups in München und Moskau unterwegs.“ Es klingt wie eine Laudatio.
Da hat einer sein Können im Elbsandstein erworben und bekommt jetzt internationalen Einfluss. Leistner führt außerdem auch direkt Arnolds Anfänge fort. „Mit der ,Vertreibung der letzten Idealisten‘, Schwierigkeit Xc, gelang ihm am Nonnengärtner eine Erstbegehung, die ich vor Jahren begonnen hatte. So geht die Entwicklung weiter. Eine Generation baut auf der anderen auf. Es ist wie eine Stabübergabe, und wir fühlen uns wohl, wenn wir uns sehen“, sagt Arnold über Leistner, der am Freitag beim Bergsommerabend auftritt.
Den zweiten Teil des Hohnsteiner Traditionstermins übernehmen dann am Samstagabend der 39-jährige Tobias Wolf und Chris-Jan Stiller, 40 Jahre alt. Auch mit diesen beiden Ausnahmekletterern tauscht sich Arnold gern aus.
Spuren in Madagaskar hinterlassen
Trotz des Altersunterschieds geschieht dies in gegenseitiger Anerkennung und auf Augenhöhe. „Tobias ist weltweit tolle Routen in obersten Schwierigkeitsgraden geklettert. Dabei bevorzugt er Mehrseillängen-Routen. Seine Tourenliste reicht von den Alpen bis ins Yosemite“, weiß Arnold zu berichten und fügt hinzu: „Chris-Jan ist ein Dauer-Erstbegeher im Sandstein, nun mehr auf der böhmischen Seite, wo das Potenzial noch größer ist.“ Zudem war Stiller in vielen Sportklettergebieten Europas in oberen Schwierigkeitsgraden unterwegs. Und als Team gelangen beiden in geteilter Führung über 20 herausragende und extrem anspruchsvolle Erstbegehungen im Elbsandstein. „Hier steht also ihre Wiege. Ihnen gelang es, die hier erworbenen Fähigkeiten in der weiten Kletterwelt umzusetzen und sogar in Madagaskar Spuren zu hinterlassen“, betont Arnold.
Auch das ist eine Parallele zu seiner Historie. 1994, gemeinsam mit Kurt Albert, war er der erste Kletterer auf der Afrika-Insel, als dort noch gar nicht geklettert wurde. „Es war eine eindrückliche Begebenheit“, sagt Arnold fast euphorisch. „Ein großartiger Felsberg, eine markante Linie, oben am Gipfelplateau ein Blumenmeer – wir wähnten uns im Paradies. Und wir als erste Menschen mittendrin. Dieses Erlebnis war wie eine Neugeburt, dazu noch kombiniert mit einer einzigartigen Kletterroute.“ Inzwischen ist Madagaskar für Kletterer eine gute Adresse.
Wolf und Stiller gelang, sozusagen in guter Gesellschaft, dort mittlerweile ebenfalls eine Erstbegehung – was für Arnold einer Staffelstab-Übergabe gleichkommt. „Mir gefällt, dass die jungen Leute auch diesen Drang haben und ins Abenteuer aufbrechen. Ein Klettererlebnis ist eben nicht nur sportlich begrenzt, sondern es geht darüber hinaus. Da ist immer auch Abenteuer- und Pioniergeist im Spiel“, sagt der Kletter-Senior.
Die Alten und die Jungen: Im Inneren ticken sie ähnlich. Das genießt Arnold, wenn er sich mit seinen Nachfolgern unterhält. Ihm macht es nichts aus, dass sie manches anders angehen, andere Sichten haben. „Ich will da nicht mit dem Zeigefinger wackeln. Es ergeben sich neue Voraussetzungen. Es gibt andere Bedingungen. Die Dinge verändern sich. Schon durch die modernere Ausrüstung macht sich in der Logistik eine andere Denkweise erforderlich. Das muss ja nicht schlecht sein. Aber das Grundanliegen bleibt: Sie wollen Abenteuer erleben.“