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Gerettete Dornröschenschlösser

Manch ein Haus in Görlitz wartet noch auf bessere Zeiten. Doch es gibt auch ganz viele Perlen, die schon saniert sind. Eine kleine Auswahl zeigen wir heute.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Görlitz. Just gestern war es so weit: Der alte Wehrturm im Ochsenzwinger hat eine neue Tür nach historischem Vorbild erhalten. Die Alte war nicht nur verbeult, sondern auch beschmiert. „Vor Kurzem haben wir auch die Wetterfahne auf dem Wehrturm erneuert“, sagt Ronny Spitzhofer. Ihm gehört der Wehrturm, denn der steht mit auf dem Grundstück der Villa Bergstraße 1, die Spitzhofer vor reichlich fünf Jahren gekauft hat. Und die er seither mit viel Engagement und Zeit gerettet hat. Über Geld will der Versicherungsagent aus der Weberstraße lieber nicht im Detail reden. „Allein schon die Bepflanzung der Außenanlagen nach dem historischen Konzept im vorigen Jahr hat eine sechsstellige Summe gekostet“, sagt der 52-Jährige.

Versteckt im Hinterhof der Neißstraße 27 steht dieses Haus. Es beherbergte einst eine Brauerei, heute eine Wohnung.
Versteckt im Hinterhof der Neißstraße 27 steht dieses Haus. Es beherbergte einst eine Brauerei, heute eine Wohnung. © Nikolai Schmidt
Die ehemalige Augenklinik in der Joliot-Curie-Straße 12 ist heute ein Altenheim.
Die ehemalige Augenklinik in der Joliot-Curie-Straße 12 ist heute ein Altenheim. © Nikolai Schmidt
Der Burghof in Biesnitz verfiel über viele Jahre – und beherbergt nun ein Hotel.
Der Burghof in Biesnitz verfiel über viele Jahre – und beherbergt nun ein Hotel. © Nikolai Schmidt
In seiner Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ zeigte der Fotograf Jörg Schöner das Haus Peterstraße 7 in der Altstadt vor ...
In seiner Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ zeigte der Fotograf Jörg Schöner das Haus Peterstraße 7 in der Altstadt vor ... © Jörg Schöner
... und nach der Sanierung.
... und nach der Sanierung. © Jörg Schöner

Doch das, was hier in den vergangenen Jahren passiert ist, kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Vermutlich ist die Villa mit dem markanten Türmchen und der aufwendigen Holzvertäfelung im Inneren heute in einem so guten Zustand wie schon seit dem Bau im Jahr 1895 nicht mehr. Der wohlhabende Textilfabrikant Siegfried Kaufmann ließ Villa und Gartenhäuschen für sich und seine Familie in exponierter Lage neben dem Wehrturm von 1598 erbauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Villa zum Mehrfamilienhaus, dann zog ein Kindergarten im Parterre ein, darüber gab es weiterhin Wohnungen.

Nach der Wende stand die Villa leer und verfiel. Ein windiger Geschäftsmann wollte sie zwar um die Jahrtausendwende zur Seniorenresidenz umbauen, doch er erwies sich als Seniorenbetrüger, wanderte hinter Gitter – und ließ die unsanierte Villa zurück. „Wenigstens hat sie seit jener Zeit einen neuen Dachstuhl“, sagt Spitzhofer. Dadurch seien weitere Einregenschäden zumindest eingedämmt worden. Der nächste Besitzer sorgte endgültig dafür, dass Dach, Fenster und Türen wieder dicht sind. Saniert aber wurde sie erst unter Spitzhofers Regie. „Im ersten Stock laufen noch die letzten Arbeiten, wir wollen sie dieses Jahr abschließen“, sagt der Eigentümer, der selbst im Parterre wohnt. Im ersten Stock zieht ebenfalls Familie von ihm ein, das Dachgeschoss will er nicht ausbauen. „Villa Josefina“, nennt er das Haus, nach seiner Enkeltochter. Im Volksmund heißt es oft „Villa Anna“, aber der Name sei nicht historisch verbürgt: „Den hat sich der Geschäftsmann einfallen lassen, der hier eine Seniorenresidenz geplant hat“, sagt Spitzhofer.

Die Villa ist eines der markantesten Beispiele für gerettete Görlitzer Märchenschlösser. Nachdem wir in den vergangenen Wochen jene Gebäude vorgestellt haben, die noch auf ihren Retter warten, wollen wir heute zum Abschluss der Serie Mut machen und zeigen, was schon passiert ist. Innerhalb von knapp 30 Jahren, so schätzt Bürgermeister Michael Wieler, sind eine Milliarde Euro öffentlicher und privater Gelder in die Stadtsanierung geflossen. Das Ergebnis bewundern Görlitzer und Touristen im gesamten Stadtgebiet. Der Fotograf Jörg Schöner hat der Sanierung sogar die Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ gewidmet, die im Jahr 2015 in der früheren Kema und später an verschiedenen Orten in ganz Deutschland gezeigt wurde. Zwei von Schöners Fotos sind auch auf dieser Seite zu sehen.

Die Geschichten der Häuser sind indes auch immer die von Menschen. Zum Beispiel die von Manfred und Maria Laux aus dem Taunus. Die Vorfahren des Vaters von Maria Laux lebten in der Nähe von Breslau. „Meine Mutter hat mich nach der Wende mal dort hingeschickt“, erinnert sich die heute 74-Jährige. Und die Mutter riet ihr: „Mach Station in Görlitz, das lohnt sich.“ Die Tochter tat, wie ihr geheißen, stolperte in der Altstadt in ein tiefes Loch – und brach sich den Arm. Nun war sie nicht mehr in der Lage, zu fahren – und blieb spontan weitere 14 Tage in Görlitz, streifte mit Gipsarm durch die Altstadt, verliebte sich in die Ruinen, war schlichtweg fasziniert von der Altstadt: „Ich konnte mir schon damals vorstellen, wie die Häuser im sanierten Zustand aussehen könnten.“

Maria Laux schaffte es, auch ihren Mann für Görlitz zu begeistern – und so kauften sie gleich 1994 die Neißstraße 26, um das Jahr 2000 dann auch noch die Neißstraße 27. Letztere gab es aber nur im Paket mit dem Hinterhaus und den Häusern Handwerk 9 und 10. Alle Laux-Häuser hängen über einen gemeinsamen Hinterhof zusammen. Das Ehepaar machte sich nicht nur an die etappenweise Sanierung der teilweise sehr maroden Häuser, sondern Maria Laux erforschte auch die Geschichte des Areals. „Der Hof zwischen den Häusern war einst dicht bebaut“, hat sie herausgefunden. Heute steht dort nur noch das Hinterhaus, das auf dieser Seite ebenfalls zu sehen ist – vielleicht kein Märchenschloss, aber ein verstecktes Kleinod. „Es stammt von 1890 und war einst eine Brauerei, auf allen Etagen“, sagt Maria Laux, die mit ihrem mittlerweile 80-jährigen Mann noch immer in unregelmäßigen Abständen nach Görlitz pendelt. Im Erdgeschoss der einstigen Brauerei befindet sich heute die Küche des Restaurant Bürgerstübl, auf den anderen Etagen eine Wohnung. Maria Laux ist stolz auf das Hinter- und die vier Vorderhäuser – und kann sich dank der aufwendigen Sanierung über eine gute Nachfrage nach den Wohnungen freuen.

Doch nicht jedes Görlitzer Märchenschloss eignet sich mit seinen Grundrissen überhaupt für Wohnungen. Manchmal braucht es einfach ein komplett neues Nutzungskonzept, um ein einst schönes Gebäude aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken. Ein Beispiel ist die ehemalige Augenklinik in der Joliot-Curie-Straße 12, die von der Bauherrin Marianne Lutzenberger in den Jahren 2011/12 für etwa 2,5 Millionen Euro saniert und zum „Pflegeheim der vierten Generation“ umgebaut wurde. Hinter dem etwas sperrigen Begriff steckt ein neuartiges Pflegekonzept. „Die Menschen leben in Wohngemeinschaften zusammen, in denen sie ihren Alltag selbst mitgestalten können“, sagt Marianne Lutzenberger. So sei es durchaus erwünscht, dass rüstige Senioren beim Kochen und anderen Tätigkeiten helfen. Auf jeder der drei Etagen lebt eine solche Wohngemeinschaft mit je 13 bis 14 Bewohnern.

Beim Burghof am Fuße der Landeskrone war es der Allgemeinmediziner Ralph Tinzmann, der das Haus rettete. Dort war 1994 der Saal ausgebrannt, seither stand das Gebäude 15 Jahre lang leer – sehr zum Leidwesen vieler Görlitzer, die den Burghof zu DDR-Zeiten als Restaurant sehr geschätzt hatten und sich auch regelmäßig in Leserbriefen an die SZ über den Verfall beklagten. Doch eine Sanierung war schwierig, nicht nur wegen des Zustandes des Hauses, sondern auch, weil es ein geeignetes Nutzungskonzept brauchte. Tinzmann schließlich entschied sich für eine Kombination aus Pension und Café, heute firmiert der Burghof gar als Hotel. Auch wenn viele Görlitzer ein gutes Restaurant lieber gesehen hätten: Das Gebäude ist gerettet und erstrahlt wieder im alten Glanz. Genau wie das Touristenheim gegenüber, wo es heute überhaupt keine Gaststätte mehr gibt, sondern Wohnungen. Nicht weit von hier, an der Kastanienallee, stecken zwei Paare seit zwölf Jahren viel Zeit und Geld in die Sanierung des Loenschen Gutes. Die fertigen Räume im Herrenhaus sind mittlerweile ein beliebter Ort für Feiern jeder Art, seit Kurzem ist auch die lange geplante Pension eröffnet. Beim Biergarten dauert es noch, bei manchen Nebengebäuden ebenfalls, aber auch hier gilt: Große Teile des Märchenschlosses sind dank des Engagements der Bauherren gerettet.

Burghof, Touristenheim und Loensches Gut zeigen: Auch weit ab der Altstadt ist viel passiert. Spitzhofer indes hat sich fürs Stadtzentrum entschieden. Er freut sich über den nahen Abschluss der Arbeiten in der Bergstraße 1. Für den Wehrturm habe er zwar keine Nutzung, aber ein Schmuckstück ist er nun auch wieder. Ein Handwerker aus der Region hat die Wetterfahne in Handarbeit gefertigt, weil die alte abgebrochen war. Auch die Gitter an den Seitenfenstern hat er nach historischem Vorbild ersetzt. Nun stehen beide Gebäude wieder sicher – und verfallen hoffentlich nie mehr.

Mit dem Beitrag endet unsere Serie „Görlitzer Märchenschlösser“. Alle erschienenen Artikel haben wir hier in einem Dossier zusammengefasst.