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Gestrandet

Neben den Männern leben in der Einrichtung auch drei Frauen. Eine von ihnen seit vielen Jahren.

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© SZ Thomas Eichler

Von Constanze Junghanß

Idyllische Aussicht aus dem Fenster: Steve Müller blickt gern auf den Löbauer Berg, die Bäume, das Grün rundherum. Wenn sein Blick zurück ins Zimmer fällt, schaut der 22-Jährige auf eine dunkelbraune Schrankwand aus tiefsten DDR-Zeiten. Zwei Betten sind bezogen. Am kleinen Tisch steht ein alter Sessel. Farbe blättert von der hellgrünen Wand. Spartanisch ist die Einrichtung, die dem jungen Mann ein Dach über dem Kopf bietet. Für immer möchte Steve hier nicht wohnen bleiben. Doch jetzt ist er dankbar, Unterschlupf gefunden zu haben. So, wie neben ihm noch 20 weitere Menschen, die derzeit im „Haus Regenbogen“ leben. Das ist das Obdachlosenheim auf der Moltke-Straße. Seit 2005 ist das Rote Kreuz Löbau Eigentümer und Betreiber der Einrichtung. Vorerst bis 2020 gibt es die Zweckbindung für den sozialen Bereich.

Die langen Haare streicht Steve routiniert aus dem Gesicht. Hellwache Augen blitzen hervor. Die Stimme ist fest, als er erzählt, wie er herkam. Nur mit einer Plastetüte, in die seine wenigen Sachen verstaut waren, stand er vor der Tür. „Zuhause bin ich rausgeworfen worden“, sagt er. Mit der Lehrstelle klappte es nicht so, wie eigentlich geplant. Bei einem Unfall verletzte sich der Jugendliche am Arm. Leichte Folgeschäden blieben. Sein Absturz: „Alkohol“, sagt er knapp. Entgiftung, Langzeittherapie. Ein Rückfall folgte. Soweit soll es nicht wieder kommen. Steve hat Zukunftspläne. Und Holger Köpp, der Sozialarbeiter, hilft ihm dabei. „Wir haben gemeinsam ausgearbeitet, wie es nun weitergeht“, sagt der DRK-Angestellte. Therapien und die Suche nach einem Praktikumsplatz stehen auf dem Plan. Steve ist zuversichtlich: Er möchte seine Situation ändern, sich ein eigenständiges Leben aufbauen.

Das Obdachlosenheim ist nicht nur ein Ort der selbst Gestrauchelten. Wobei bei einigen Bewohnern Drogen und Alkohol schon eine Rolle spielten. Crystal war mal ein Problem, erzählt der Sozialarbeiter. Und harte Getränke. Derzeit sind solche Probleme nicht akut. Andere Bewohner hatten einfach Pech, verloren den Job, die Familie, wurden durch unvorhergesehene Schicksalsschläge gebeutelt. „Das kann ganz schnell gehen“, erzählt ein Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Seit einem Monat wohnt er nun im Haus Regenbogen. Bemüht sich um eigenen Wohnraum und eine Arbeitsstelle. Und hofft, die Unterkunft bald wieder verlassen zu können.

Neben den Männern leben in der Einrichtung auch drei Frauen. Eine von ihnen seit vielen Jahren. „Ich fühle mich sehr gut hier“, erzählt sie. Weg möchte sie nicht mehr. Mittlerweile hat das DRK geholfen, für die Seniorin Rente zu beantragen. Allein würde sie es in den eigenen vier Wänden nicht schaffen, mit dem Leben klar zu kommen. Versuche gab es. Sie scheiterten.

Für die Bewohner zahlt das Amt die Miete. Es gibt einen Tagessatz von 9,57 Euro. Damit sind die Wohn- und Nebenkosten abgedeckt. Für die Betroffenen wird der Hartz-IV-Regelsatz ausgezahlt. Von dem kaufen sie sich Essen, Hygieneartikel und die Kleidung. Letztere oft im Sozialkaufhaus. Manche gehen zur Löbauer Tafel. Andere kochen selbst. Es gibt im Objekt Gemeinschaftsküchen. Möbel und Geschirr wurden gespendet, meist aus Haushaltsauflösungen. Dementsprechend karg und altmodisch ist alles eingerichtet. „Das Dach vom Haus müsste saniert werden“, sagt der Sozialarbeiter. In der oberen Küche machen sich Feuchtigkeit und Schimmel breit. Tapete blättert. Für umfangreiche Renovierungsarbeiten fehlt das Geld. Ebenso für neue Kühlschränke und Waschmaschinen. Auf Sachspenden sind das DRK und die Bewohner angewiesen. „Aktuell suchen wir Geschirr, Töpfe, Pfannen und Besteck sowie dringend einen Kühlschrank und eine Waschmaschine“, zählt Holger Köpp auf. Gebraucht, aber gut erhalten sollten die Sachen sein.

Trotz der spartanischen Lebensweise sind die Bewohner im Heim zufrieden. Niemand von ihnen muss auf der Straße leben, hungern oder frieren.

Die Zimmer der Obdachlosen sind etwa zwölf Quadratmeter groß. Für jeweils zwei Leute. Dazu gibt es Aufenthaltsräume mit Fernseher. Im Obdachlosenheim wohnen auf einer Etage seit Februar zwölf Männer aus Syrien. „Da gibt es keine Probleme. Sie nehmen uns ja nichts weg hier“, erzählt Steve. Benachteiligt sieht er sich nicht durch die Asylbewerber. Das bestätigt auch der Sozialarbeiter. Die Syrer seien friedliche Menschen und dankbar für die Unterkunft. Im gegenüber liegenden Asylbewerberheim war kein Platz mehr für sie.

Fehlen durch die Belegung mit Asylbewerbern Plätze für deutsche Obdachlose? Holger Köpp antwortet diplomatisch und erklärt, für welches Gebiet die Einrichtung zuständig ist: „Einweisungsberechtigt sind die Region Herrnhut, Ebersbach-Neugersdorf, Kottmar, Bernstadt, Oderwitz, Großschweidnitz, Neusalz und Löbau.“ Derzeit sind bis auf ein freies Bett alle Plätze belegt. Im Ernstfall wird es also eng mit der Notunterbringung auf Zeit. Doch da es auch immer wieder Auszüge der Betroffenen in eigene Wohnungen gibt, sei die Situation stemmbar. Zumal das DRK alle Hebel in Bewegung setzt, bei der Vermittlung von Wohnraum zu helfen. Allerdings würden gerade die kleinen Sozialwohnungen in Löbau immer knapper. Steve Müller hat jedenfalls noch keine passende Sozialwohnung gefunden.