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Glaubitzer Familie Logsch erlebt Schrecksekunde

Gestern früh, vier Uhr morgens, in Glaubitz. Freunde und Nachbarn sitzen in der Stube von Familie Logsch. Seit zwei Stunden warten sie auf den vierten Lauf ihrer Tochter Romy. Sie rangiert mit ihrer Bobpilotin Cathleen Martini vor dem abschließenden Rennen auf Platz vier.

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Von Jörg Richter

Gestern früh, vier Uhr morgens, in Glaubitz. Freunde und Nachbarn sitzen in der Stube von Familie Logsch. Seit zwei Stunden warten sie auf den vierten Lauf ihrer Tochter Romy. Sie rangiert mit ihrer Bobpilotin Cathleen Martini vor dem abschließenden Rennen auf Platz vier.

Nur drei Hundertstelsekunden Rückstand auf die zu dieser Zeit drittplatzierten Canadierinnen. Eine Medaille bei ihren ersten Olympischen Spielen ist drin. Nach dem dritten Lauf hatte Martini angekündigt, noch mal anzugreifen. „Jagen gefällt mir besser, als gejagt zu werden“, hatte sie noch im Fernsehen gesagt und damit für Jubel im Wohnzimmer gesorgt.

Der Beamer strahlt die Leinwand an. Vor dem haben es sich über ein Dutzend Romy-Fans auf Stühlen und Sesseln bequem gemacht. Häppchen werden gereicht und Martini-Sekt in die Gläser gefüllt. Den hat Familie Logsch extra besorgt. Alle sind gut gelaunt und aufgeregt. Dann endlich ist es so weit. Cathleen und Romy stehen am Start. Sofort ist Trubel in der Stube. Alle Augen strahlen. Vor allem bei den stolzen Eltern Elke und Wolfgang und bei Schwester Fränze. Daumen werden gedrückt, Anfeuerungsrufe ins weit entfernte Kanada geschickt.

Es geht los. Cathleen und Romy schieben den grünen Bob an. Die Startzeit ist vielversprechend, die erste Kurve auch. Wie ein Pfeil saust der Sachsenbob die Eisrinne von Whistler hinunter. Bereits nach dem ersten Drittel weiß jeder im Raum, dass Cathleen Martini ernst macht. Sie setzt alles auf Risiko und greift an. Die Bronzemedaille vor Augen.

Dann das Unfassbare: In Kurve elf kommt der grüne Bob von der Ideallinie ab, fährt zu hoch raus. In Kurve zwölf gerät er ins Schlingern. Und in der berüchtigten 13. Kurve kippt er um. Kurz darauf wird Romy aus dem Bob geschleudert. Cathleen Martini schlittert kopfüber den Eiskanal entlang. Entsetzen. Im Wohnzimmer ist es ganz still. Alle halten den Atem an. Wo ist Romy? Wie geht es ihr?

Die Kamera hat die Glaubitzerin wieder erfasst. Eine Zeitlupe zeigt, wie Romy auf dem Rücken die Bahn herunter rutscht. Beine und Arme sind ausgestreckt.

Freundinnen von Elke Logsch eilen zum Sofa, wo die Mutter starr vor Schreck sitzt. Sie halten sie, geben ihr Kraft.

Nach geschätzten 200 Metern kommt Romy zum Stehen. Bobbahnmitarbeiter helfen ihr auf. Gott sei Dank! Ihr geht es gut. Sie greift sich kurz an die Schulter und winkt in die Kamera, so als wolle sie sagen: „Keine Sorge, Mutti! Alles nur halb so schlimm.“

Allen im Raum fällt ein Stein vom Herzen. Keiner denkt mehr an die verpasste Bronzemedaille. „Jetzt geht es nicht um Sport, sondern nur um unser Kind“, sagt Elke Logsch. Vater Wolfgang verharrt noch minutenlang auf seinem Polstersitz: „Ich bin noch immer geschockt.“ „Romy hat das Ereignis Olympia miterlebt. Das ist doch was“, sagt Nachbarin Erika Dämmig. Elke Logsch stimmt ihr zu: „Ja, das ist ihr größter Traum von Kindheit an.“ Und Fränze Logsch, der der Sturz ihrer großen Schwester sehr nahe geht, findet die passenden Worte: „Für mich sind Romy und Cathleen die Siegerinnen der Herzen.“

Gegen 5 Uhr morgens klingelt das Handy von Elke Logsch. Romy ist dran und sagt, dass es ihr gut geht. Nur ihr Knöchel sei etwas dick. – Ein letztes Mal wird mit Sekt angestoßen und ein Toast ausgesprochen: „Auf die Gesundheit!“