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Görlitzer hätten gern mehr Geld

Die SZ-Glücksumfrage nennt beim Einkommen Mittelmaß bis Unzufriedenheit. Nicht alle verstehen das.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Geht so. Langt nicht. Ich komme zurecht, aber mehr wäre besser. Die Antworten ähneln sich, wen immer man auch danach fragt, wie dick seine Brieftasche ist.

Antwort darauf gibt die SZ-Glücksumfrage: Ihr Einkommen bewerten Görlitzer mit 5,5. Bei dieser Wertung steht die Zehn für superzufrieden. Die Eins wäre obermies. Wie angemessen sie ihr Einkommen betrachten, benoten Görlitzer im Schnitt ebenso. So richtig glücklich also ist damit fast keiner. Konkret befragt treffen wir aber niemanden, der erklärt, wie viele Euro ihm nun genau zum Glück fehlen. Und schon gar keiner will sich zu diesem Thema fotografieren lassen. Je individueller wir uns der Statistik nähern, umso weniger geben Befragte dazu preis.

Dabei sind die Eckdaten überall nachlesbar. Das monatliche Nettoeinkommen privater Haushalte liegt bundesweit bei etwa 2.700 Euro. Im Landkreis Görlitz kommen nur 1.550 Euro in die Tüte. Insofern sind die Görlitzer noch mild gestimmt, wenn 54 Prozent von ihnen bei der Einkommenszufriedenheit einen Mittelwert ankreuzen und nur 11,5 Prozent ihre Einküfte als zu niedrig bewerten. Was sofort auffällt ist eine Übereinstimmung zwischen allen Alters- und Einkommensgruppen. Ob Gut- oder Schlechtverdiener: Mehr Münzen und Scheine hätten alle gern.

Das sieht auch Elke Fuchs so, Siemens-Sprecherin für die Region Ost: „Der Mensch strebt stets nach mehr.“ Deshalb ist die Lohnsituation bei Siemens kein Thema: „Wir legen mehr Wert auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf Arbeitszeiten und Verkehrsanbindung.“ So sehen das viele Tarif zahlende Betrieben und der öffentliche Dienst. Dabei haben die Firmen freilich eine Aktie an der Einkommenszufriedenheit. Wenn der durchschnittliche Stundenlohn eines Arbeiters im Westen zwischen 18 und 22 Euro liegt, sind rund 15 Euro in Sachsen durchaus ein Klagegrund – nicht aber für die Arbeitgeber. Immerhin warb sogar der Freistaat offiziell mit „moderaten Löhnen“, um Investoren eine Ansiedlung schmackhaft zu machen, die Europastadt Görlitz-Zgorzelec GmbH griff das 2007 auf. Das sei Wirtschaftsförderung auf Kosten der Arbeitnehmer, kritisierten damals die „Bürger für Görlitz“.

Außerhalb tarifgebundener Betriebe überrascht das Umfrageergebnis kaum. „Es bestätigt, dass der Kreis Görlitz über die niedrigste Kaufkraft in Deutschland verfügt, 26 Prozent unter dem Bundesschnitt“, sagt Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer. Man müsse eine „beachtliche Spreizung der Einkommen im Kreis berücksichtigen, differenzieren zwischen großem Energieerzeuger und kleinen Dienstleistern, Händlern, Handwerkern, Gastronomen.“ Geringe Löhne sind für die IHK weniger werbend für neue Firmen, sondern unterstreichen eher, warum Fachkräfte fehlen: Sie wandern in Besserverdiener-Bundesländer ab. Dazu gehöre aktuell aber auch gerade in unserer Region mit niedrigem Einkommensniveau „die Diskussion um Betroffenheit von Unternehmen vom Mindestlohn“, ergänzt Fiehler.

Diese Diskrepanz spürt auch Daniela Kocksch von der Gewerkschaft verdi für Ostsachsen und berichtet von „der Frustration der Arbeitnehmer über niedrige Löhne. Viele machen eine gute Arbeit und werden doch schlechter entlohnt, als die Kolleginnen und Kollegen in Dresden, Leipzig oder gar in Westdeutschland.“ Für eine Besserung gibt es aus Sicht von Daniela Kocksch nur eine Möglichkeit: „Gute Arbeit muss per Tarifvertrag ordentlich bezahlt werden. Dann wird auch die Einkommenssituation in Görlitz besser.“

Wenn in Görlitz die meisten ihre finanzielle Situation mit Mittelwerten angeben, könnte das auch daran liegen, dass man sich fürs Geld im Osten mehr leisten kann als im Westen – das jedenfalls fand das Institut der deutschen Wirtschaft heraus. Oder man interpretiert die Umfragen so: Viele Menschen haben zwar nur ein mittleres Einkommen, finden das aber halbwegs angemessen – oder sich einfach damit ab.