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Groß Iser ist kein weißer Fleck

Aufarbeitung. Schüler aus Swieradow Zdroi haben ihre Heimatgeschichte erkundet – und den deutschen Iserleuten ein Denkmal gesetzt.

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Von Jana Ulbrich

Günter Möhwald steht oft hier oben auf den Wiesen am Isergebirgskamm. „Das hier ist mein Heimatdorf“, sagt der 71-Jährige und blickt im weiten Bogen in die malerische Landschaft. „Und hier“, zeigt er auf ein Fleckchen Grün, „genau hier stand unser Haus“. Wer genau sucht, kann noch ein paar Mauerreste finden. Mehr ist nicht übrig vom ehemaligen Zuhause der Möhwalds und auch nicht von den anderen 33 Häusern der kleinen Gebirgssiedlung Groß Iser, die es einmal gab, hier auf schlesischer Seite des Isergebirgskamms. Die Natur hat sich ausgebreitet über der Geschichte dieses kleinen Stückchens Erde.

Aber jetzt gibt es wenigstens ein Denkmal für Groß Iser, schlicht und außergewöhnlich: Schilder mit den Hausnummern erinnern an die Stellen, wo einst die Häuser standen. Schüler des Gymnasiums Swieradow Zdroi (Bad Flinsberg) haben sie im vorigen Jahr aufgestellt. Genauso wie eine große Tafel mit dem Ortsplan und der Geschichte der ehemaligen Bad Flinsberger Kolonie.

Bis dahin wurde Groß Iser totgeschwiegen. „Viele hier in Bad Flinsberg haben bis heute überhaupt nicht gewusst, dass es dort oben am Gebirgskamm dieses Dorf gab“, erzählt Arleta Wolanin in fehlerfreiem Deutsch. Die Germanistin aus Luban (Lauban) arbeitet als Deutschlehrerin am Bad Flinsberger Gymnasium. Als sie voriges Jahr als Dolmetscherin beim Heimattreffen der ehemaligen Bad Flinsberger dabei war, hat sie selber erst davon erfahren.

„Man kann doch nicht so tun, als hätte es diesen Ort gar nicht gegeben“, sagt die 35-Jährige. „Die Geschichte gehört doch dazu.“ Gemeinsam mit Günter Möhwald hatte sie die Idee für die Schilder im Wald. Möhwald, der nach der Vertreibung 1945 in Eckartsberg bei Zittau sein neues Zuhause fand, besorgte das Material und Kontakte zu den ehemaligen deutschen Einwohnern.

Schilder mit Hausnummern

„Es war richtig toll, mit wie viel Eifer sich die Schüler in das Projekt gestürzt haben“, erzählt Arleta Wolanin. Sie haben mit Zeitzeugen gesprochen, sind die anderthalb Stunden Fußweg hinauf gewandert, haben Bilder gemacht, historisches Material durchgearbeitet und eine Ausstellung in der Schule gestaltet. Viele Einwohner von Swieradow Zdroi haben sie gesehen.

Sie haben gelesen, dass die Siedlung nach der Vertreibung ihrer Bewohner 1945 von der roten Armee in Brand gesteckt worden war und dass all das, was danach noch übrig blieb, Anfang der 50er Jahre bei einem Manöver der polnischen Armee restlos in Trümmer gelegt wurde. Bis auf ein einziges Haus: Die neue Schule, die erst 1938 gebaut worden war. Sie diente als Unterkunft für die Soldaten und musste verschont bleiben. Die Schule ist heute eine Herberge, die bei Fernwanderern beliebte Chatka Górzystów, einsam gelegen am Rande des Hochmoores und nur noch über einen Wanderweg zugänglich.

„Die Schüler haben gestaunt“, erzählt die engagierte Lehrerin. „Sie wussten alle nicht, dass es hier zum Beispiel eine Sprungschanze gab und eine Rodelbahn, dass aus Groß Iser auch mal eine Europa-Meisterin im Rodeln kam.“

„Wir haben einen weißen Fleck in der Geschichte beseitigt“, sagt eine Schülerin stolz. Die 16-Jährige kann auch schon sehr gut Deutsch. Sie war schon mal zum Schüleraustausch an der Mittelschule in Seifhennersdorf und hat bei einer Gastfamilie gewohnt. Und jedes Jahr macht sie mit beim gemeinsamen Volleyball-Turnier mit den Seifhennersdorfern und Schülern aus dem tschechischen Rumburk (Rumburg). Beim letzten Mal haben die Polen gewonnen.

Schritte gegen Vorurteile

„Das sind alles kleine Schritte gegen die Vorurteile“, sagt Arleta Wolanin. Sie ist froh, dass sie etwas tun konnte: Für Günter Möhwald, der die Tränen unterdrücken musste, als er bei seinem letzten Besuch „dort oben auf der Iser“ die jungen Leute und die Schilder sah. Und für die Zukunft dieser von der Geschichte so schwer gezeichneten Region, die ihre Schüler eines Tages gestalten werden. Ohne Vorurteile und mit dem Wissen um die Vergangenheit.