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Großenhainer helfen Roland K.

Der Obdachlose bekam eine Unterkunft, Kleidung und Essen. Einigen Mitmenschen war er einfach nicht mehr egal.

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© Anne Hübschmann

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Es ist schon von einer „Welle der Solidarität“ die Rede. Für einen Mann, vor dem kürzlich noch manche Frau Angst hatte, wenn sie im Stadtpark an ihm vorbeimusste, weil er dort im Grünen nächtigte. Und den man auch nicht gern mit dem Auto mitnehmen wollte, wenn er auf der Landstraße den Daumen hochhielt.

Doch Roland K. (58) ist weder gefährlich noch aufdringlich. Er ist einfach arm dran. Geschieden, obdachlos, mittellos. Die zuständigen Rathausmitarbeiter konnten ihm bisher so weit helfen, dass er wenn nötig medizinisch behandelt wird, obwohl er nicht krankenversichert ist. Die Obdachlosenwohnung in der Herrmannstraße, die ihm die Stadt zugewiesen haben soll, hätte er rasch wieder verlassen, so die Verwaltung. Roland K. stellt es anders dar.

Dass er sich angeblich nicht helfen lassen will – so hieß es offiziell – hat Yvonne Söllinger nicht davon abgehalten, dennoch auf ihn zuzugehen. Die 37-jährige Großenhainerin wohnt am Hauptmarkt und sieht ihn manchmal, wenn er am Dianabrunnen steht. „Ich habe ihm Essen und Getränke gegeben, worüber er sich sehr freute. Ihm kamen sogar die Tränen“, erzählt die junge Frau. „Wir hatten ein tolles Gespräch und der nette Mann ist bereit, Hilfe anzunehmen.“ Die gebürtige Thüringerin, die 2007 der Liebe wegen an die Röder kam, ist indes nicht die Einzige. Stephanie Lungkwitz hatte zuerst spontan den Einfall zu helfen und suchte nach Roland K. „Etwas Sachen geben und etwas zu essen“, schrieb sie auf Facebook. „Ich finde, wir schauen immer nur weg, statt zu helfen.“

Treff am Montag im San Marco

Das hat eine ganze Gruppe von Großenhainern nun hinter sich gelassen. Und sie organisierten sich zu einem Treffen im Eiscafé am Hauptmarkt am Montagabend. Da wurde nicht nur geredet – Roland K. war auch dabei – sondern effektiv gehandelt. „Jemand hat eine vorübergehende Unterkunft angeboten, wir haben eine Liste geschrieben, wo draufsteht, was Roland alles braucht, zum Beispiel Kleidung und ein Handy, damit er erreichbar ist“, sagt Yvonne Söllinger. Der Obdachlose weiß jetzt, wen er ansprechen kann. Ein paar junge Männer, die zufällig ins San Marco kamen, bezahlten spontan die Getränke der Helfer. Söllinger hat sich auch schon mit der Stadtverwaltung, der Betreuungsbehörde und sogar mit dem Gericht in Verbindung gesetzt. „Roland hat vielleicht nur drauf gewartet, dass ihm jemand Hilfe anbietet, und zwar nicht nur von offizieller Seite“, meint die 37-Jährige.

„Es wäre schön, wenn es immer so laufen würde und Menschlichkeit wieder vor allen anderen Dingen steht“, schreibt ein Nutzer dazu lobend auf Facebook. Stolz spricht aus seinen Worten: Stolz auf diese jungen Großenhainer und stolz auf dieses Signal, das von der Stadt ausgeht. „Ich bin begeistert, dass einige sich öffneten und ihre Scheuklappen ablegten.“

Was bringt diese Menschen dazu zu tun, was andere nicht fertigbringen? Eine richtige Antwort weiß Yvonne Söllinger gar nicht auf diese Frage. „Wo ich lebe, da will ich mich einfach engagieren“, sagt sie schließlich. Auch in ihrer alten Heimat Thüringen hätte sie schon mal einen jungen Mann „von der Straße weggeholt“. Das nennt man wohl Helfersyndrom, meint sie. Oder es ist einfach das Mitempfinden von Menschen, die finanziell auch nicht so gut dastehen. Yvonne Sollinger ist zum Beispiel erwerbsunfähig.

Er schämt sich so sehr

Doch bei der Hilfe von unten ist es mittlerweile nicht geblieben. Oberbürgermeister Sven Mißbach mischte sich am Montagabend zufällig unter die Helfer im San Marco. Er hörte sich an, was die Großenhainer zu erzählen haben und gab Hinweise. Die Stadtverwaltung prüfe, wie Roland K. eine Wohnung bekommen könnte. Doch dafür müssten Voraussetzungen erfüllt werden. Der Obdachlose muss mitziehen. Die Helfer wünschen sich, dass auch private Vermieter Interesse zeigen und versuchen zu unterstützen. „Wir bieten ihm doch auch eine Chance“, sagen sie.

Es soll Tränen gegeben haben bei diesem Helfertreff im Eiscafé – Tränen der Rührung. Als Roland K. erzählte, dass er Angst hat, in seinem Zustand auf Ämter zu gehen. Dass er sich schämt. Und trotzdem aus eigener Kraft nicht aus dieser Lage herauskommt. Fast sieht es so aus, als sei ihm deshalb sogar recht, dass die meisten Menschen einen großen Bogen um ihn machen. „Gerade deshalb war mir wichtig, dass wir hinschauen und nicht weggucken, wenn jemand in so einer Lage ist“, sagt Stephanie Lungkwitz. Die 31-jährige Mutter zweier kleiner Kinder brachte mit ihrer Anregung in Facebook den Stein der Anteilnahme ins Rollen. Eigentlich nur ein kleiner Schritt. Aber ein entscheidender. Einer, den auch das beste Amt nicht ersetzt.