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Guck mal, wer da piepst

Die Kohlmeise ist der häufigste Wintervogel in Pirna und dem Landkreis. Woher wissen das die Vogelkundler so genau?

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Von Ulrike Keller

Ein eisiger Wind pfeift im Dohmaer Ortsteil Goes. Doch echte Vogelkundler machen ihre Beobachtungen auch unter widrigen Umständen nicht vom Stubenfenster aus, sondern draußen, in der Natur. Stefan Jurgeit und Töchterchen Johanna sind dick eingepackt. Im Garten hinterm Haus halten sie Ausschau nach gefiedertem Besuch. Das Fernglas ist so schwer, dass es der Papa für die Vierjährige noch halten muss. Zum fünften Geburtstag bekommt sie ihr eigenes, ein kleines. „Das Fernglas ist ein Muss“, meint Stefan Jurgeit. „Das gehört zur Standardausrüstung.“

Sehen lässt sich gerade nichts. „Der Wind ist ungünstig. Da bleiben sie im Baum“, weiß der 33-jährige Hobbyornithologe, der im wahren Leben Kalibriertechniker ist. Doch zumindest akustisch hat er im Nu eine Kohlmeise ausgemacht. „Das sind die Männchen, die rufen“, sagt er. „Sie besetzen die Reviere.“ Und woran erkennt er den Ruf des Meiserichs so genau? „Zizidi, zizidi“, spricht er analytisch vor und lächelt. Für Stefan Jurgeit ist die singende Kohlmeise jedoch vor allem auch eines: ein Vorbote in puncto Lenz. „Wenn ich sie höre, stellen sich Frühlingsgefühle ein.“

Mit ihrem markanten schwarz-weißen Köpfchen hat sich die Kohlmeise dieses Jahr im Landkreis zum Star unter den Wintervögeln gemausert. Kein anderer gefiederter Artgenosse in der Region wurde zur bundesweiten Aktion „Stunde der Wintervögel“ im Januar häufiger gesichtet als sie. 185 Vogelfreunde zählten in 130 Gärten 717 Kohlmeisen. Unter reichlich 5 200 Vögeln insgesamt. Wie der Naturschutzbund Nabu auf seiner Internetseite in einer Tabelle auflistet, kam die Kohlmeise in 90 Prozent aller beobachteten Gärten vor. Im Schnitt wurden sechs der kleinen Kerlchen pro Grundstück gesehen. Im vergangenen Jahr war es rechnerisch sogar eine mehr pro Garten gewesen.

Auch das Vogelkundler-Gespann aus Goes hat im Januar emsig mitgezählt und selbst zwei Kohlmeisen im Kirschbaum erspäht. Ganz wichtig beim Erfassen: Die einzelnen gesichteten Tiere wurden nicht während der Beobachtungsstunde addiert. Das hätte Mehrfachzählungen begünstigt. Gemeldet wurde hingegen die maximale Zahl von Vögeln einer Art, die in der Stunde an einer Stelle zusammen auftauchten.

Vor dem Fernglas von Stefan Jurgeit und Töchterchen Johanna tummelten sich an jenem Sonntagvormittag deutlich mehr Amseln und Haussperlinge als Kohlmeisen. Unter diesem Arten-Trio vermutete der Hobbyornithologe daher auch sicher den Sieger. Tatsächlich landete die Amsel auf Platz drei, hinter dem Feld- und vor dem Haussperling.

Husch, vom Garten hinein ins Warme. Auch in der Wohnung zeigt sich der Vogel-Faible der jungen Familie. Zur vollen Stunde ertönt nicht etwa ein Gong aus der Wanduhr, sondern ein Zwitschern. 15 Uhr meldet sich die Kohlmeise zu Wort, 16 Uhr trommelt der Buntspecht. Die umfassendere Rufsammlung kann Stefan Jurgeit am Laptop vorführen. Seit seiner Kindheit befasst er sich damit. „Man ist so reingewachsen“, sagt er. Schon jetzt freut er sich auf die öffentliche Vogelstimmenwanderung, die er am 30. April als Mitglied der Pirnaer Fachgruppe Ornithologie für andere Interessierte leitet. Treff: 19.30 Uhr auf der Pirnaer Mühlenstraße 3. Die Morgen- und Abendstunden gelten als beste Zeiten zum Lauschen. Stefan Jurgeit zählt eher nicht zu den Frühaufstehern, gesteht er, aber manchmal am Wochenende packt es ihn doch. Und wenn es nicht zum Ohrenaufspannen ist, dann geht er auf Beobachtungstour. Am liebsten zum Pirnaer Kohlberg. Sein Rucksack steht allzeit gepackt bereit: mit Stativ, Fernrohr und Bestimmungsbuch. „Das ist absolute Erholung für mich“, erzählt er. „Wenn ich das nicht mache, werde ich verrückt.“

Besondere Beobachtungen trägt er auf einer Ornithologen-Internetseite ein. Wie jüngst die etwa 1 000 Goldammern auf einem nicht abgeernteten Getreidefeld Richtung Zehista. Naturschützer nutzen diese Informationen, wenn es zum Beispiel darum geht, Schutzmaßnahmen zu treffen.

Auf dem Küchentisch veranstaltet Klein-Johanna eine nachträgliche Sonder-Wintervogelzählung. Sie hat eine Tüte Gummitier-Pinguine geschenkt bekommen. Erst befreit sie alle essbaren Frackträger aus der Verpackung, dann sortiert sie die einzelnen Exemplare nach Farben. Damit fertig, holt sie ein zusammenklappbares Plastikhöckerchen aus dem Flur, entfaltet es vor dem Küchenfenster und stellt beim Hinausschauen fest: „Die haben alles vollgekleckert.“ Gemeint sind die Gäste, die sich draußen regelmäßig am Vogelhäuschen laben. Im Moment sind keine da.

Stefan Jurgeit will sich als Nächstes um Nistkästen im Garten kümmern. Nicht zuletzt bei der Zählung im Januar hat er Kohlmeisen schon paarweise zusammen gesehen. Er weiß: Ab März fangen sie mit dem Nestbau an. Vergangenes Jahr hatten sie einen von sechs Nistkästen besetzt.