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Hat die Heimaufsicht in Oderwitz versagt?

Mitarbeiter und Angehörige berichten von jahrelangen Mängeln und Problemen im Pflegeheim. Wie ist so etwas möglich?

Von Jana Ulbrich
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Für vier sächsische Pflegeheime hat die Heimaufsicht gegenwärtig einen Aufnahmestopp angeordnet, darunter auch für das Senioren- und Pflegeheim in Niederoderwitz.
Für vier sächsische Pflegeheime hat die Heimaufsicht gegenwärtig einen Aufnahmestopp angeordnet, darunter auch für das Senioren- und Pflegeheim in Niederoderwitz. © Symbolfoto: Klaus-Dieter Brühl

Maria S. kämpft mit der Tränen. Und sie macht sich immer noch Vorwürfe. Jahrelang hat sie dieses beklemmende Gefühl mit sich herumgetragen. Aber jetzt, sagt sie, jetzt will sie es loswerden. "Meinem Vater zuliebe. Aber vor allem auch, damit sich nun endlich etwas ändert."

Maria S. ist froh, als sie hört, dass die Sächsische Heimaufsicht für das Senioren- und Pflegeheim in Niederoderwitz nach einer Vor-Ort-Prüfung im Juni einen Aufnahmestopp verfügt hat. Sie hat keine guten Erinnerungen an die zwei Jahre, die ihr Vater dort verbringen muss. Nach einem Schlaganfall wird der damals 82-Jährige zum Pflegefall. Er kann nicht mehr sprechen und nicht mehr laufen und braucht Tag und Nacht Betreuung. Die Familie kann das nicht leisten. Einen sofort verfügbaren Pflegeheimplatz findet sie in Niederoderwitz.

"Mein erster Eindruck war dieser beißende Uringeruch", erzählt die Neugersdorferin. "Ich konnte ihn besuchen kommen, wann ich wollte, er hat so gut wie immer im Bett gelegen." Er weigere sich und wolle nicht in den Rollstuhl, hätten ihr die Mitarbeiter erklärt, er sei doch auch liegend ins Heim gekommen. "Ich glaube aber, so war es einfacher für sie." Sie habe immer den Eindruck gehabt, das die Pflegekräfte in Zeitnot waren, sagt Maria S. "Alles musste schnell gehen. Manchmal hatte mein Vater nachmittags noch die Marmelade vom Frühstück am Mund, er war auch oft nicht rasiert, und seine Haare rochen ungewaschen."

Zuletzt habe der Vater am Tropf gehangen, weil er nicht mehr getrunken habe, erzählt die Tochter. "Er war mal groß und kräftig, hat ein Leben Lang als Steinmetz schwer gearbeitet. Als wir entschieden haben, ihn noch mal in ein anderes Heim zu geben, hat er noch 44 Kilo gewogen." Im neuen Heim habe er innerhalb von zwei Wochen fünf Kilo zugenommen, erzählt Maria S. Die Mitarbeiter hätten sich selber mit gefreut. "Er hat getrunken und es hat ihm sichtlich gut getan, wenn er im Rollstuhl sitzen konnte." Ein Unterschied wie Tag und Nacht sei das gewesen, sagt Maria S., und sie frage sich, warum die Heimaufsicht in Niederoderwitz nicht schon früher eingeschritten ist. Und warum der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) dem Heim immer anstandslos die Note 1,0 bescheinigen konnte.

Bisher gibt es auf diese Fragen keine ausreichenden Antworten. Der MDK will sich in der kommenden Woche zum Benotungssystem äußern. Die Heimaufsicht verweist an den Träger der Einrichtung, eine private Gesellschaft, zu der bundesweit mehrere Heime gehören. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der inzwischen gekündigt hat, glaubt zu wissen, warum die Probleme bei den Besuchen der Mitarbeiter der Heimaufsicht nicht aufgefallen sind: "Die Heimleitung muss immer gewusst haben, wann die Prüfer kommen. Da war immer alles in Ordnung, und es waren ausreichend Fachkräfte da", sagt er. Auch, weil er das nicht mehr mittragen wollte, habe er gekündigt. Diese Aussagen werden auch von anderen Mitarbeitern bestätigt.

Mitte Juni hatte die sächsische Heimaufsicht nach einem Besuch vor Ort einen Aufnahmestopp für das Heim verhängt, weil es offenbar nicht genügend ausgebildete Fachkräfte gibt und gravierende organisatorische Mängel festgestellt wurden. Es dürfen nur noch die bereits angemeldeten Kurzzeitpflegen realisiert werden. Schon ein solcher Akt ist eine große Ausnahme in Sachsen, wie ein Blick in die Statistik zeigt. Außer für das Heim in Niederoderwitz hat die Heimaufsicht gegenwärtig noch für drei weitere Einrichtungen in ganz Sachsen einen Aufnahmestopp verfügt. 

Das Heim in Niederoderwitz sofort zu schließen, war für die Heimaufsicht offenbar keine Option. Dies wäre "das letzte Mittel der Wahl  und musste seit 2013 nicht vollzogen werden", erklärt die Sprecherin des Kommunalen Sozialverbands, Monika Pittasch.

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