Von Manfred Müller
Es gehört schon eine Portion Courage dazu, sich von einem entfesselten Publikum rohe Eier an den Kopf werfen zu lassen. „Wenn du eins direkt auf den Scheitel kriegst, tut das schon ganz schön weh“, sagt Dennis aus Großenhain, während ihm die schleimige Suppe noch vom Kinn heruntertropft. Aber immerhin wollen ihn die Kumpels für die bestandene Mutprobe den Rest des Tages freihalten. Der deftige Scherz war nur einer von vielen beim Mittelalterfest in Zottewitz. „Der Delinquent hat doch noch Glück gehabt“, findet Veranstalter Gerd Schreiber. „Vor 500 Jahren bekam man am Pranger alles ins Gesicht, was an Ekligem und Matschigem auf dem Markt herumlag: vergammeltes Gemüse, faule Eier, Pferdeäpfel – und das ohne Schutzbrille.“


MDR-Wetterfee Michaela Koschak hatte am Mittwochabend verkündet, dass in Sachsen zu Himmelfahrt jeder ein bisschen Nässe abkriegen werde. Zottewitz erwischte es schon um die Mittagszeit. Die Radler, die aus Richtung Medessen zur Männertagsparty unterwegs waren, flüchteten vor dem Platzregen unter die Bäume des Scheibe-Wäldchens und wurden trotzdem klatschnass. Dann aber brach die Sonne durch und brachte das Gehöft in der Dorfmitte von Zottewitz zum Dampfen. Wer schnell trocknen wollte, konnte den Körper mit einem Glas „Gottes Zorn“ auf Betriebstemperatur bringen. Mönch Spiritus setzte dem als Kaffee firmierten Getränk ordentlich Rotwein und Wodka zu. Als Alternativen standen der „Papstkuss“, die „Mönchsweihe“ und der „Äbtissinnentraum“ zur Verfügung, letzterer alkoholfrei mit Kokosmilch und kaltem Kaffee. „Die Namen und Rezepte haben wir nach einer durchzechten Nacht erfunden“, erinnert sich Bruder Spiritus, der im richtigen Leben als Steuerberater arbeitet.
Auch die Bratwürste beim Zottewitzer Mittelalterfest werden nach einer ganz speziellen Rezeptur zubereitet – mit Ingwer, Kardamom und Mandelblüte. „Bevor es so richtig schmeckte, sind mir etliche Chargen danebengegangen“, erzählt Fleischer Frank Naumann. Der junge Zottewitzer ist einer von vielen freiwilligen Helfern, die die Männertagsparty in dem kleinen Ortsteil von Priestewitz unterstützen. „Unsere Bratwurst ist schon etwas Besonderes“, schwärmt er. „Schweineschulter, Schweinebauch, Naturdarm – und alles mit viel Gefühl gewürzt.“
Die kulturelle Würze kam vom Struppener Musikanten-Duo Asa-tru, das mit Dudelsack und historischen Sauf- und Raufliedern für gute Laune sorgte. Oder mit frivolen Songs wie jenem von der kleinen Zofe, die alles durcheinander und alles kreuz und quer belegt. Einen besonders schweren Stand hatten Frauen in gelben Jacken oder Röcken. Sie mussten sich von den Musikern – unter dem Gelächter der versammelten Männerwelt – belehren lassen, dass sie in mittelalterlicher Hurentracht zum Fest erschienen waren. Auch sonst ging es bei der Männertagsparty auf dem Schreiberhof nicht besonders christlich zu. Es sei denn, man ging zurück bis zur Inquisition, an die eine kleine Ausstellung nachgebauter Folterinstrumente erinnerte. Beim „Storch“ zum Beispiel wurden Hand- und Fußgelenke in Eisen gelegt, und zwar in so unbequemer Haltung, dass das Opfer bereits nach kurzer Zeit Krämpfe bekam. „Bitte nicht alleine ausprobieren“, verkündete ein Schild.
Folter zum Ausprobieren
Stattdessen die Kerkermeister Gerd und Volker rufen, sie seien zu jeder Schandtat bereit. „Wir haben uns vom heidnischen Dorf beim Leipziger Gothic-Treffen inspirieren lassen“, erklärt Volker Börner, der das Zottewitzer Fest mit initiiert hat. „Unsere nachgebauten Folterinstrumente sind alle funktionsfähig und tun richtig weh.“ Daumenschrauben, Sitzpranger und Schandmasken fanden bei den Besuchern reges Interesse, ausprobieren wollten sie allerdings nur wenige.
Seit dem Jahr 2009 wird der Himmelfahrtstag in Zottewitz mit einem zünftigen Mittelalterfest begangen. Auf dem Schreiberhof traten schon Ritter zum Schwertkampf an, wurden Feuershows inszeniert.
Das bunte Treiben hatte ursprünglich einen ernsthaften Hintergrund: Im Dorf gab es früher tatsächlich ein Schloss, das 1947 abgerissen wurde. Das rief zunächst eine Gruppe von einheimischen Hobby-Historikern auf den Plan. Die Geschichtsbegeisterung steckte viele Dorfbewohner an. Und da die Zottewitzer ein lebenslustiges Völkchen sind, wurde der Gedanke bis hin zu Ritterspielen und einem Ritterverein weitergesponnen. Die beabsichtigte Vereinsgründung fiel zwar wegen der damit verbundenen Bürokratie aus, aber die Vorliebe für mittelalterliche Volksbelustigung blieb. Nachdem der Heiratsmarkt im benachbarten Diesbar-Seußlitz weggebrochen war, kamen immer mehr Männertags-Ausflügler. Im vorigen Jahr waren es an die 800 Besucher, und auch gestern dürften es nicht weniger gewesen sein. Mit den Musikern der Kapstädter Brass Band, die gerade in Großenhain gastiert, war sogar Publikum aus Übersee vertreten. Trauungen für einen Tag gab es allerdings keine, weil der fromme Mönch Ignatius diesmal verhindert war. „Der muss mittlerweile so viele Veranstaltungen bestreiten, dass ihn seine Frau nicht mehr weggelassen hat“, sagt Gerd Schreiber.