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Herzlich willkommen in Vaters Kaufhaus

Der Sohn des Architekten war jetzt da. Die Familie könnte hier erneut aktiv werden.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Bedächtig lenkt Karl Reimar Schmanns an diesem Freitagmittag seine Schritte durch das Görlitzer Kaufhaus. Stürzen möchte der 89-Jährige nicht auf der Baustelle mit all ihren Bodenunebenheiten und Hindernissen. Immerhin will er am Montag wieder zurück in seinem Büro in Köln sein, wo er noch immer gebraucht wird: Zusammen mit seiner Schwiegertochter leitet er eine Anwaltskanzlei.

In die beruflichen Fußstapfen seines Vaters ist er nicht getreten: Carl Schmanns war Architekt – und lieferte im Jahr 1912 die Baupläne für das damalige „Kaufhaus zum Strauß“ am Görlitzer Demianiplatz. Da war an den Sohn noch nicht zu denken: Karl Reimar Schmanns wurde erst 1925 in Berlin geboren. Mit seinem 1960 verstorbenen Vater hat er nie dessen Gebäude besucht. Die einzige Ausnahme, an die er sich erinnern kann, war das Kaufhaus Held in Berlin. Als Kind und Jugendlichen haben ihn die Gebäude noch nicht besonders interessiert – und nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Vater zwar weiter in Berlin, der Sohn aber nicht. Er war stattdessen nach der Rückkehr aus dem Krieg Gleisarbeiter in Hamburg, danach machte er sein Ergänzungsabitur in Braunschweig und studierte Jura und Psychologie in Würzburg. „Neben der Uni, denn die war ein Trümmerhaufen“, erklärt er. Sein Lehrer dort war kein Geringerer als Kurt Georg Kiesinger, der später, von 1966 bis 1969, als Bundeskanzler die Geschicke der BRD lenkte.

Im Jahr 1952 verschlugen ihn seine Wege dann nach Köln, wo er bis heute lebt. „Dort habe ich schon vor langer Zeit erstmals vom Görlitzer Kaufhaus gehört. Das muss wohl zwischen 1970 und 1980 gewesen sein“, erinnert er sich. Ein Cousin hatte ihm einen langen Zeitungsartikel mit Fotos von dem Gebäude geschickt. Selbst nach Görlitz zu reisen kam damals allerdings nicht infrage. Dafür brauchte es bis zum Jahr 2014. Rainer Müller von der Kaufhausinitiative ist dazu seit Längerem mit Schmanns im E-Mail-Kontakt. „Eigentlich hatte er zugesagt, zur 100-Jahr-Feier des Kaufhauses im vergangenen Dezember nach Görlitz zu kommen“, so Müller. Eine Woche vor dem Termin aber kam die Absage aus beruflichen Gründen: Schmanns musste zu einer Gerichtsverhandlung.

Nach ein paar weiteren Anläufen hatte Müller dann Erfolg. Am Donnerstagabend reiste der Anwalt mit seinen Söhnen Joachim (48) und Michael (47) nach Görlitz. Das Trio blieb für zwei Nächte an der Neiße – und nutzte den Freitag, um sich nicht nur im Kaufhaus, sondern in beiden Teilen der Europastadt umzuschauen. Es sei „gewaltig“, jetzt hier zu sein und eines der beiden wichtigsten Bauwerke seines Vaters zu sehen. Das andere ist ebenfalls ein Kaufhaus und steht in Wroclaw (Breslau). Auch dort war der 89-Jährige noch nie. Leider sei auch nicht mehr viel von seinem Vater im Familienbesitz: „Wir sind 1938 von einer großen Wohnung mit Atelier in eine kleinere Wohnung umgezogen.“ Da seien viele Modelle, mit denen Schmanns sogar als Kind gespielt hat, weggeworfen worden. Vieles andere verbrannte 1943. Außer ein paar Zirkeln und Holzlinealen ist nicht viel geblieben, bedauert Michael Schmanns: „Wir haben gar keine Pläne mehr.“

In Görlitz dürften noch einige Pläne im Ratsarchiv lagern, vermutet Ralf Thies. Der Berliner, der aus dem Gebäude mithilfe einer Genossenschaft ein Europa-Kaufhaus machen wollte, gehörte am Freitag ebenfalls zu denen, die die Familie Schmanns durch das Haus führten. Bis 1968, so Thies, sei das Haus im Originalzustand erhalten geblieben: „Dann wurde bei der Modernisierung die Holzvertäfelung herausgerissen.“ Ebenso bedauerlich sei das Loch in der gläsernen Kuppel des Gebäudes: „Das hat ein früherer Direktor hineingeschlagen, um dort einen Adventskranz aufzuhängen.“ Sogar Kindheits-Erinnerungen des heutigen Kaufhaus-Investors Winfried Stöcker konnte Thies zum Besten geben. Der habe hier nach dem Krieg Weintrauben ohne Lebensmittelmarken erhalten. Solche Erinnerungen an das Kaufhaus seien ein Grund gewesen, das Gebäude 2013 zu kaufen und bis 2016 sanieren zu wollen.

Die Familie Schmanns könnte dank Stöcker in Görlitz ein zweites Mal aktiv werden: Michael Schmanns ist Architekt. Und Stöcker plant, im zweiten Bauabschnitt von hinten einen Anbau an das Kaufhaus zu setzen. „Dazu wäre ich gern bereit“, sagt der Kölner, der bisher noch keine bekannten Gebäude entworfen, sondern sich vor allem mit Umbauten und Sanierungen befasst hat. Doch auch Karl Reimar Schmanns will dem Görlitzer Kaufhaus verbunden bleiben. Immerhin ist er seit einem Jahr Mitglied in Müllers Kaufhausinitiative. Und von seinem Besuch am Freitag hat er zahlreiche Bilder mit nach Köln genommen – Bilder im Kopf, aber auch im Kaufhaus-Kalender 2015 und der bunten Broschüre, die ihm Thies zum Abschied mitgegeben hat. Vielleicht hängt er den Kalender in sein Büro. Ein Ende seines Arbeitslebens hat er schließlich noch nicht geplant. „Die meisten meiner Mandanten sind allerdings schon gestorben“, bedauert er.