Blinkende, kunterbunte Lichter flirren am Mittwoch durch den Saal des Weifaer Erbgerichts. Die Bühne, gänzlich von einem dunklen Tuch umrahmt, wird von ultraviolettem Licht nur spärlich erleuchtet. Umso greller schreien die neonfarbenen Buchstaben ihre Botschaft von der tiefschwarzen Rückwand der Spielfläche: „50 Jahre kunterbunt ¨– wir feiern rund“ – das diesjährige Motto des Karnevalclubs Birkgut aus Steinigtwolmsdorf ist da zu lesen.
Weiter hinten im Saal, am Ende der langen, parallel platzierten Tischreihen, steht Katja Urban. Die Neukircherin wirkt in ihrem schwarz-roten Burlesque-Kostüm, den eleganten schwarzen Pumps und den eng anliegenden Spitzenhandschuhen, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Lächelnd beobachtet sie das Männerballett vor der Bühne. Das übt in diesem Moment mit Feuereifer einen Tanz zu Beyoncés „All the single ladies“. Ein wenig grotesk wirken die sechs gestandenen Männer dabei schon. Sie tragen Masken der Stormship Troopers aus der Star-Wars-Saga und wackeln gekonnt mit den Hüften – und den Bäuchen.
Unvermittelt fällt ein Satz, der in diesem ausgelassenen Setting völlig deplatziert wirkt: „Eigentlich bin ich ja ein Faschingsmuffel“, sagt Katja Urban mehr zu sich selber als an einen bestimmten Adressaten gerichtet. Dann beginnen die Augen der jungen Mutter zu leuchten: „Auf keiner anderen Tanzveranstaltung kann man so die Sau raus lassen wie beim Fasching.“ Grundsätzlich nehme sie sich für die fünfte Jahreszeit Urlaub von ihrem Job als Altenpflegerin, erzählt sie. Und das schon im sechsten Jahr in Folge, denn: „Nirgends kann ich den Alltag so gut vergessen, wie hier.“
Bis zur ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1920 lässt sich die Geschichte des Karnevalsclubs Birkgut (KCB) – benannt nach dem gleichnamigen Schafgut, an dessen Stelle bis heute eine der ältesten Linden der Lausitz steht – zurückverfolgen. Seit 50 Jahren organisiert der Verein lückenlos Programme und Veranstaltungen rund um die närrische fünfte Jahreszeit. Steffen Schmidt gestaltet das bunte Treiben seit über dreißig Jahren mit. Wenngleich man dem zurückhaltenden, grauhaarigen Mann seine Passion nicht unmittelbar ansieht, ist er ein alter Hase im Faschingsgeschäft und gibt seit 28 Jahren den Präsidenten des KCB. Wie kaum ein anderer weiß er, wie viel Arbeit der organisierte Frohsinn macht – und welche Nöte und Sorgen damit verbunden sind. Trotz der stolzen Zahl von aktuell 60 Mitgliedern plagen den Verein Nachwuchssorgen. „Vor allem Männer fehlen uns“, sagt Schmidt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und liegen vor allem in der Jugend begründet: „Es mangelt wahrscheinlich am Interesse“, mutmaßt er. „Viele verlassen die Gegend zum Studieren oder Arbeiten. Wer bleibt, muss erst die Kinder großziehen, bevor er Zeit für den Faschingsclub hat.“ Seine Hoffnung: „Männer für die Vereinsarbeit begeistern, die schon im Berufsleben stehen“ – und Lust haben, vor großer Öffentlichkeit Klischees zu bedienen.
So wie Karsten Müller, der Faschingsprinz des Jahres 2012. Seit drei Jahren steht er regelmäßig auf der Bühne des KCB. Sichtlich begeistert schwingt er das Tanzbein. Trifft den Takt von Shirley Basseys „Big Spender“ und macht den Backstreet Boys zu deren „Everybody“ Konkurrenz. „Die Karten für den Glamourball am Samstag sind so gut wie weg“, sagt er stolz. 150 Stück – der rege Zuspruch der Feierwütigen motiviert das bunte Treiben sichtlich. Das Highlight der Saison aber, das folgt für Müller erst beim Rosenmontagsball: „Wenn die anderen Vereine kommen, ist hier richtig Stimmung in der Bude.“
Männerballett tanzt nach den Funken-Pfeife
Mehr Zeit für einen Schwatz bleibt nicht. Ein schneller Schluck Bier. Ein derber Spruch in Richtung der Kumpels. Dann drängt Conny Hensel zum nächsten Probelauf. Sie ist Mitglied der Funkengarde und choreografiert das Männerballett. Nach ihrer Pfeife tanzen die Herren seit dem Probenbeginn im November klaglos.
Bis sich die Türen des Weifaer Erbgerichts am Samstag zur ersten großen Jubiläumsveranstaltung des Jahres öffnen und der KCB seine Zeitreise durch 50 Jahre Faschingsprogramm antreten kann, bleibt noch viel zu tun. Im Mai begannen die Planungen für die aktuelle Saison. „Seit 10 Tagen stehen wir jeden zweiten Tag hier und dekorieren den Saal“, erzählt Steffen Schmidt und deutet mit einer ausladenden Geste in den großen Raum. Dort baumeln kleine Wunderlichkeiten von einem Netz an der Decke: Kakteen kann man sehen, Hüte, Anker oder Gänse. Ein bunter Haufen Allerlei. Ringsum an den Wänden buhlen bunte Karikaturen um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Der Humor verläuft politisch höchst unkorrekt unter der Gürtellinie. Wer das nicht mag, der ist hier falsch.
Einmal Hofnarr sein
Und das ist ganz im Sinne von Präsident Steffen Schmidt. Für ihn liegt der Reiz an der Arbeit im Faschingsverein in der Möglichkeit, unverhohlen Kritik äußern zu dürfen: „Wir wollen der Hofnarr sein, der den Finger in die Wunde legt“, gibt er zu. Mit einem verschmitzten Grinsen reicht er seinem Vizepräsidenten Joachim Burkhardt daraufhin ein quietschgelbes Ortseingangsschild auf die Leiter. „Steinigtwolmsdorf – Friedliche, lustige, autonome Republik/Oberlausitz“ ist darauf zu lesen. „Zum Glück haben wir einen toleranten Bürgermeister“, fügt er schmunzelnd hinzu.
Noch bis ins Frühjahr hinein, wird das fröhliche Tro-Li-Bir, der Narrenruf der Steinigtwolmsdorfer Jecken, im Oberland zu hören sein. Erst am 25. Mai endet in diesem Jahr die Faschingssaison mit einer großen Jubiläumsfeier im Festzelt in Steinigtwolmsdorf. Sowohl am Freitag als auch am Sonnabend werden die Narren des KCB dann noch einmal ihr Programm aufführen, das in diesem Jahr eine Reminiszenz an fünfzig Jahre Vereinsgeschichte darstellt. Videos, Fotos, die Vereinschronik wurden im Vorfeld gewälzt, um die erfolgreichsten Sketche, Tänze und Showeinlagen erneut auf die Bühne bringen zu können – „natürlich in aktualisierter Fassung“, betont Schmidt, als ihn ein donnerndes „Kommst du jetzt?“ aus den Gedanken reißt. „Weiterproben!“
Beim Männerballett steht der Präsident selbstverständlich mit auf der Bühne. Hinten links ist sein Platz. Noch sitzen die Schritte nicht ganz. Nach reichlich drei Minuten sind alle außer Atem, aber zufrieden mit dem Ergebnis des Abends: „Das war doch gut“, ruft Karsten Müller strahlend.