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Homöopathie & Co. wirken nicht

Alternativmedizin ist offen für jeden. Viele Konzepte basieren auf veraltetem, falschen Wissen und haben meist nur Placebo-Effekte.

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Von Jan Oude-Aost

Alternativmedizin gilt vielen Menschen als sanfte Möglichkeit, gesund zu werden oder zu bleiben. Alternativmedizin ist jedoch in erster Linie ein Marketingbegriff. Der Begriff ist offen für jeden, der sich ihn zu eigen macht. Vitalistische Methoden wie die Homöopathie oder spirituell begründete Verfahren wie Geistheilung werden ebenso als Alternativmedizin bezeichnet wie von beinahe jedem Arzt empfohlene präventive Maßnahmen wie Bewegung oder eine ausgewogene Ernährung. Methoden der Alternativmedizin bedienen die Weltanschauung einer bestimmten Zielgruppe und damit ein Marktsegment.

Bei der Wahl der alternativmedizinischen Methode ist für jeden etwas dabei. Viele Anhänger alternativmedizinischer Methoden kennen wahrscheinlich mindestens einen Anhänger einer anderen Methode, die sie selbst für unsinnig halten. Überzeugt sind jedoch beide. Dabei ist Homöopathie ein naturwissenschaftlich genauso unmögliches Konzept wie Geistheilung. Trotzdem ist Homöopathie weitgehend akzeptiert, Geistheilung gehört jedoch eher zu den Exoten.

Homöopathie ist das Paradebeispiel einer alternativmedizinischen Methode. Weil kein oder fast kein aktiver Wirkstoff enthalten ist, hat Homöopathie keine Nebenwirkungen und ist unwirksam. Vom ersten Doppelblindversuch 1835 in Nürnberg bis heute liefern Studien solide Hinweise, dass Homöopathie ausschließlich über Kontexteffekte wirkt. Damit ist unter anderem gemeint, dass sich jemand Zeit nimmt und eine vertrauensvolle Umgebung schafft, kurz: das therapeutische Ritual. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die Homöopathie. Ähnlich verhält es sich mit Methoden wie Akupunktur, Osteopathie, Irisdiagnostik oder Geistheilung, um nur die wenigsten zu nennen.

Viele alternativmedizinische Konzepte stammen aus einer Zeit, als das medizinische Wissen nicht nur begrenzt, sondern weitgehend falsch war. Als die Homöopathie vor 200 Jahren das Licht der Welt erblickte, war auch der Aderlass eine unter Ärzten beliebte „Therapie“. Bakterien und Viren als Krankheitserreger waren unbekannt. Der Aderlass, der viele Menschen das Leben gekostet hat, ist heute aus der Medizin fast verschwunden. Auch die Säftelehre, die dem Aderlass seine theoretische Grundlage gab, ist widerlegt. Der bestausgebildete Arzt der damaligen Zeit würde heute durch jede medizinische Prüfung fallen. Ein damals ausgebildeter Homöopath hingegen hätte gute Chancen, eine aktuelle Homöopathieprüfung zu bestehen. Auch viele andere alternativmedizinische Konzepte halten sich, teils mit modernem Anstrich, bis heute erfolgreich.

Ein zentraler Unterschied zwischen Medizin und Alternativmedizin ist die Möglichkeit, die Praxis an neue Daten anzupassen. Die Behandlung des Magengeschwürs hat sich innerhalb der letzten 25 Jahre grundlegend geändert. Alternativmedizin verändert sich kaum, Homöopathie ist seit 200 Jahren unverändert. Bis 1989 galten Magengeschwüre als überwiegend psychosomatisches Geschehen. Dann gelang es John Warren und Barry Marshall nachzuweisen, dass die meisten Magengeschwüre ursächlich durch das Bakterium Helicobacter Pylori (HP) hervorgerufen werden. Dafür erhielten beide 2005 den Nobelpreis in Physiologie und Medizin. Aus einer psychosomatischen Erkrankung, die teilweise chirurgisch behandelt werden musste, war eine relativ einfach zu behandelnde Infektionskrankheit geworden. Mittlerweile wird sogar an einer HP-Impfung geforscht.

Jeden Tag kommen für unzählige Erkrankungen neue Informationen dazu. Heutige Ärzte stehen auf den Schultern von Riesen, sodass wir heute die beste Medizin aller Zeiten haben. Damit das so bleibt, wird sie sich morgen neuen Erkenntnissen anpassen müssen.

Im Gegensatz zur Medizin bleibt in der Alternativmedizin alles beim Alten. Die Prinzipien der Homöopathie beispielsweise stehen dem Wissen aus der Physik, Chemie und Biologie zum Großteil entgegen. Auch in Experimenten mit Zellen, Pflanzen und Tieren lässt sich keine Wirksamkeit nachweisen. Einzelne Studien, die positiv ausfallen, lassen sich nicht wiederholen. Ein wichtiger Schritt, um zu überprüfen, ob Ergebnisse zufällig entstanden sind oder der Realität entsprechen.

Dieses Schicksal teilt sie mit der überwiegenden Zahl alternativmedizinischer Methoden. Die Studienlage hat in der Alternativmedizin keinen Einfluss auf die Praxis – weder in der Homöopathie noch in der Geistheilung oder der Akupunktur. Es gibt aber außer Wissenschaft keinen rationalen Maßstab, um die Grenze zwischen wirksamen und unwirksamen Methoden zu unterscheiden. Wissenschaftsbasierte Mediziner ziehen die Grenze nicht selbst, sie richten sich nach der Datenlage. Das ist nicht nur verlässlich und überall auf der Welt gleich, es ist auch transparent. Für informierte Patienten ist Transparenz essentiell.

Trotzdem scheinen viele Menschen das Gefühl zu haben, bestimmte Methoden dienten ihrer Gesundheit. Sonst würden diese ja nicht benutzt. Alternativmedizin wirkt heute so wie vor 200 Jahren. Warum zu helfen scheint, was nicht helfen kann, hat viele Ursachen, die hier nur angerissen werden können. Dabei ist Medizinern klar, dass dieselben Mechanismen in jeder medizinischen Behandlung zum Tragen kommen. Am häufigsten werden Placeboeffekte genannt und ebenso häufig missverstanden. Placeboeffekte sind real und haben mit Einbildung nichts zu tun. Doch ihre Wirkung ist begrenzt. Sie können die Symptome zum Teil bekämpfen, in der Regel jedoch nicht die Ursache einer Erkrankung. Und sie setzen Vertrauen voraus – in die Therapie und die Behandelnden.

Es spricht nichts gegen eine Therapie auf Placebo-Niveau. Es spricht jedoch etwas dagegen zu behaupten, eine Placebo-Therapie könne mehr. Die beste Medizin kombiniert die spezifische Wirkung einer Therapie mit Placeboeffekten. Die meisten Methoden der sogenannten Alternativmedizin haben nicht mehr zu bieten als Placeboeffekte. Auch der natürliche Verlauf einer Erkrankung kann eine Therapie wirksam erscheinen lassen. Viele Erkrankungen verschwinden von alleine. Wer mit Rückenschmerzen erfolglos zum Hausarzt, dann zum Orthopäden und zum Neurologen wandert, hat gute Chancen, dass nach einem Wochenende beim Schamanen in der Schwitzhütte die Schmerzen weg sind. Das hat dann aber nichts mit einer ominösen Entschlackung zu tun, sondern mit dem natürlichen Verlauf einer Erkrankung. Marketing hat bei der Entscheidung für eine medizinische Behandlung nichts verloren. Wenn es um „echte“ Medikamente geht, ist das jedem klar. Seit Jahren werden Anstrengungen unternommen, den Einfluss der Marketingabteilungen großer Pharmakonzerne deutlich zu beschneiden. Ziel ist, zum Wohle der Patienten wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen. Würden diese Anstrengungen auf die Alternativmedizin ausgedehnt, wäre klar: Der Kaiser ist nackt.

Der Beitrag erscheint im Rahmen der SZ-Serie „Anders heilen“. Lesen Sie dazu heute auf der Seite 29 Teil 4: Darmspülung und Montag Teil 5: Die Kraft der Kügelchen.