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Aus Wut über den Brexit

Ian McEwan schreibt eine Romansatire über eine Kakerlake, die Premier wird.

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Der Bestsellerautor Ian McEwan hat  mit Boris Johnson einen Konkurrenten: Auch der kann Satire.
Der Bestsellerautor Ian McEwan hat mit Boris Johnson einen Konkurrenten: Auch der kann Satire. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Ulrich Steinmetzger

An und für sich ist es ja begrüßenswert, wenn sich Großschriftsteller mit belletristischen Werken unmittelbar einmischen in Entwicklungen ihres Landes, wenn sie die als falsch ansehen. Gar zu oft passiert das nicht. Insofern war es eine gute Nachricht, dass sich Ian McEwan mit seinem satirischen Roman „The Cockroach“ in der Brexit-Debatte zu Wort meldet. Allein die Kürze des Werks legte schon die Vermutung nahe, es könne mit heißer Nadel gestrickt sein. Die Lektüre tut es nun umso mehr. „Die Kakerlake“ kreist um ein paar wenige neckische Ideen, die so sehr überstrapaziert sind, dass man die Lust verliert. Insofern taugt das Buch für all diejenigen, die meinen, seit „Abbitte“ und „Saturday“ schreibe der Brite seiner Höchstform hinterher, zum Beweis ihrer These.

Kurioses Referendum

Alles beginnt mit einem deutlichen Verweis auf Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, in der sich der Handelsreisende Gregor Samsa eines Morgens in ein Ungeziefer verwandelt findet. Nicht Samsa, sondern Sams heißt McEwans Protagonist. Er geht den umgekehrten Weg und verwandelt sich vom Ungeziefer in einen Menschen. Vielleicht haben seine Probleme beim morgendlichen Finden des aufrechten Gangs aber auch nur mit dem übermäßigen Genuss von Scotch zu tun. Die leere Flasche steht noch im Raum, als ihn die junge Frau im Hosenanzug mit Premierminister anredet und sich als seine persönliche Referentin zu erkennen gibt. Bald fallen ihm die Kabinettssitzungen wieder ein, die er wie Operetten betrachtet, in denen er gern der Hauptdarsteller ist. Dann ist sie weg, ebenso wie alle Kafka-Grundierung, denn ganz und gar eindimensional müht sich der Text von nun an über die Seiten.

Sams steht für Boris Johnson. Er muss zurück nach Westminster und ist noch ein bisschen verkatert. Nach einem kurios verlaufenen Referendum nimmt mittlerweile im Volk der Unwille über sich selbst ein wenig zu. Die Morgenzeitungen thematisieren die „Besorgnis darüber, wofür sie gestimmt, was sie entfesselt haben“. Die Mehrheit ist knapp, da haben Polizeistiefel etwas durchaus Beruhigendes. Jedenfalls für diesen James oder Jim Sams.

Stammelnde Kanzlerin

Kein einziges Mal im Text fällt die Vokabel Brexit. Um das Absurde des Vorgangs zu steigern, teilt der Autor Ian McEwan sein Parlaments-Personal in Vordreher und Rückdreher. Sams ist einer der Letzteren, und die wollen den Geldfluss umkehren. Konkret bedeutet das, man bezahlt dafür, arbeiten zu dürfen, und wird bezahlt beim Erwerb von Waren. Wenn McEwan die Folgen davon in ein paar kuriosen Zuspitzungen verdeutlicht, ist der Text wirklich witzig. Aber nur dann.

Tatsächlich hatte im 17. Jahrhundert der kurz reich gewesene Ökonom Josiah Child mal mit solchen Gedanken gespielt. Und als nach dem Zweiten Weltkrieg in Bretton Woods die Weltwährung neu geordnet wurde, hatte ein Delegierter aus Paraguay derlei Verdrehung ins Gespräch bringen wollen, ohne allerdings Gehör zu finden. Der Gedanke glimmt nach bei wenigen Querulanten rechts der Mitte, ist aber so abwegig, dass in den EU-Richtlinien nicht einmal erwähnt ist, wie man mit so etwas umgehen sollte.

Deswegen passen Verfechter des Reversalismus auch nicht in die EU. Mit Frankreich ist nach ein paar diplomatischen Hakeleien der Feind der Briten da, den man braucht in schwierigen Zeiten. Gegen die Gegner im eigenen Land lässt sich immer etwas inszenieren. Und nachdem Sams sein Rückdrehertum der deutschen Kanzlerin zu erklären versuchte, stammelt die nur befremdet: „Warum?“ Da reagiert der amerikanische Präsident Archie Tupper viel zugeneigter, als man ihn ein wenig angefüttert hat. Als Sams ihn anruft, hört er Gläserklirren und TV-Geräusche. Später erfährt er, wie Twitter als Mittel der Propaganda funktioniert: je simpler, desto wirksamer. Tupper macht mit, weil er für Überraschungen gut sein will und alles ihm hilft, was der EU schadet. Und immer so weiter.

Manchmal blitzt etwas auf in dem Text, doch insgesamt wirkt er, als hätte McEwan oft gleich dem ersten Gedanken vertraut und nachgegeben. Der komplette Text wirkt wie den bekannten Ereignissen hinterhergeschrieben, deswegen schafft er auch nicht, was man von Satire erwarten darf: Dinge durch Spott und Überspitzung deutlicher zu machen. Vielleicht, das wäre dann immerhin eine Erklärung, ist ja Boris Johnson der viel bessere Satiriker.

Ian McEwan: Die Kakerlake. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes. 134 Seiten, 19 Euro