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„Ich bin aus seinem Schatten getreten“

Gisela Engeln-Müllges ist die Lebensgefährtin des Künstlers Benno Werth. Ihre erste eigene Ausstellung zeigt sie in Riesa.

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Von Britta Veltzke

Manchmal liegen die Dinge näher beieinander, als man denkt: Gisela Engeln-Müllges ist Mathematikerin – ihre künstlerische Seite ist ab Sonntag im Haus am Poppitzer Platz zu sehen. Für sie kein Widerspruch: „Mathematik ist von der Kunst gar nicht so weit weg. Das abstrakte Denkvermögen hilft mir ungemein bei meiner Arbeit im Atelier, besonders bei den Skulpturen. Dabei muss ich mir die fertige Plastik als Negativ vorstellen, bevor ich sie fertigen kann“, sagt sie. Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie als Professorin am Fachbereich Maschinenbau, Fachhochschule Aachen. Ihr Lehrgebiet: numerische Mathematik. An Kunst sei sie aber schon immer interessiert gewesen. Ihr Weg zum eigenen Werk führte über die Liebe zu Benno Werth.

Benno Werth? Richtig. Der in Riesa geborene Künstler, der den Brunnen auf dem Mannheimer Platz ebenso geschaffen hat, wie viele Bilder und Skulpturen im Stadtmuseum. Seit seiner ersten großen Ausstellung in seiner Heimatstadt ist auch der große Saal im Erdgeschoss nach ihm benannt. Aufmerksam wurde Werth auf seine zukünftige Lebensgefährtin vor mehr als zwei Jahrzehnten. „Als Prorektorin für Forschung an der Fachhochschule Aachen hielt ich einen Vortrag über die Notwendigkeit von Kunst im Design“, erzählt sie. ’Diese Frau muss ich mir merken‘, habe er sich damals gesagt. Und er hat sie sich gemerkt: Gisela Engeln-Müllges und er wurden ein Paar – und sie seine Schülerin. Dass sie beide Sachsen sind: reiner Zufall. Engeln-Müllges verließ ihre Geburtsstadt Leipzig Anfang der 60er Jahre. Werth verschlug es bereits wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von der Elbe an den Rhein, um in Düsseldorf Malerei und Bildhauerei zu studieren. Was Werth dort lernte, gab er später auch an Engeln-Müllges weiter: „Alles, was ich in der Ausstellung zeige, habe ich bei ihm gelernt“, sagt sie voll Hochachtung und hält einen Moment inne, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. Zwanzig Jahre lang begleitete sie den Künstler und unterstützte ihn bei seiner Arbeit im Atelier und bei der Vorbereitung seiner Ausstellungen. Mit der Zeit begann sie aber auch eigene Arbeiten zu schaffen – jedoch stets im Hintergrund. Seit etwa drei Jahren steht sie allein im Atelier: Der inzwischen 85-jährige Werth ist schwer krank: Alzheimer. „Leider nimmt er schon gar nicht mehr richtig teil an unserem Leben“, sagt Engeln-Müllges.

„Hommage an Benno Werth“ hat sie ihre Ausstellung getauft – ihre erste Einzelausstellung, die sie bewusst außerhalb Aachens zeigt, wo Werth und sie leben. „Ich will nicht mit seinem Namen kokettieren“, erklärt sie. In Aachen wisse kaum jemand von ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit. Museumsleiterin Maritta Prätzel hält die Befürchtung ihrer Bekannten für unbegründet. „Sie hat ihren ganz eigenen, wundervollen Stil entwickelt“, sagt sie. Über die jahrelange Bekanntschaft mit Benno Werth hat Prätzel auch Gisela Engeln-Müllges kennengelernt – und sie schließlich davon überzeugt, ihre Arbeiten öffentlich zu zeigen. Die Werke – abstrakte Ölmalereien und Skulpturen in Bronze, Eisen und Aluminium – sind vor allem in den letzten drei Jahren entstanden. „Ich arbeite wie eine Besessene“, sagt sie. Und das nicht nur mit einer, sondern mit beiden Händen: „Ich war als Kind Linkshänderin und musste, wie damals üblich, umlernen. Daher geht das.“ Vor allem nachts steht sie im Atelier. Tagsüber kümmert sie sich vor allem um ihren Partner. „Er hätte sich sehr gefreut, das hier zu sehen“, sagt die Künstlerin in der frisch aufgebauten Ausstellung, die ab Sonntag für Besucher zugänglich ist. Hinten in der Ecke verbirgt sich ihre Lieblingsmalerei. In mehreren Schichten ist die Ölfarbe aufgetragen, die sie später wieder abgezogen oder abgekratzt hat. Dadurch sind in dem abstrakten Werk bei genauerem Hinsehen Landschaften entstanden – Flüsse, Berge, Bäume, Brücken. „Ich male nicht gegenständlich, aber das, was ich male, regt dazu an, sich etwas Gegenständliches vorzustellen“, sagt Engeln-Müllges. Nicht umsonst hat sie das Bild „Verdeckte Welten“ genannt. Für Maritta Prätzel macht genau das eine gute Kunstausstellung aus: „Hier kann man auf Entdeckungsreise gehen. Man bleibt an den Werken hängen, statt einfach durchzuhuschen.“