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Ich habe tolle Menschen kennengelernt

In dieser Serie werden die Wege von Menschen verfolgt, die in und für Hoyerswerda einiges bewegt haben.

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Carmen Lötsch lebt und arbeitet heute in Offenburg. Dort leitet sie den Fachbereich Kultur der Stadt.
Carmen Lötsch lebt und arbeitet heute in Offenburg. Dort leitet sie den Fachbereich Kultur der Stadt. © Foto: privat

Von Angela Donath

Hoyerswerda/Offenburg. Carmen Lötsch, die ehemalige Leiterin der heutigen Zoo, Kultur & Bildung Hoyerswerda gGmbH, lebte von 1993 bis 2014 im 100-Seelendorf Säuritz, im sorbischen Siedlungsgebiet. Geboren ist sie 1966 in Stuttgart.

Wie kam es zu diesem (doch etwas ungewöhnlichen) Ortswechsel?

In Stuttgart bin ich nicht nur geboren, ich habe dort auch mein Abitur gemacht, am katholischen Mädchengymnasium St. Agnes. Es gab in den Achtzigern noch zwei Sorten von Schwaben: Die einen, die nach dem Prinzip leben „bleibe im Lande und nähre dich redlich“ und jeden Ortswechsel verschmähten. Und dann gab es auch damals schon die Neugierigen, die Tüftler, die es raus in die Welt zog – oder jedenfalls aus dem Schwabenlande fort. Dazu gehörte ich. Nach dem Abitur ging ich nach Berlin. Westberlin. Dort habe ich eine Ausbildung absolviert, gearbeitet, die heimliche Hauptstadt kennen und Hochdeutsch sprechen gelernt. Ich habe die Wende in Berlin hautnah miterlebt, und diese Zeit prägt mein Handeln bis heute. Recht früh hatte ich bereits Kontakt nach Sachsen, zunächst durch meinen damaligen Arbeitgeber.

Als mein Mann (der damals noch nicht mein Mann war und in München lebte) und ich entschieden, unser künftiges Leben gemeinsam zu verbringen, stellte sich die Frage nach dem gemeinsamen Lebensmittelpunkt. Für uns beide war schnell klar: Wir wollen dabei sein, wenn aus zwei Deutschlands wieder Eins wird. Wir wollen das Unsere dazu tun. Da mein Mann Journalist ist, bot sich die Gelegenheit vom Bayrischen Rundfunk zum MDR zu wechseln. Der Arbeitsmittelpunkt des MDR war in den Neunzigern in Dresden. Und, der Sprung von Berlin ins beschauliche Säuritz ergab sich durch meine Liebe zum Landleben. Wir kauften dort einen kleinen Hof.

Von 2006 bis 2014 waren Sie zunächst Leiterin des Eigenbetriebes Kultur- und Bildung, später der Zookultur Hoyerswerda. Was gehörte zu Ihren Aufgaben?

Das ist richtig. Nach meinem Studium in Dresden (parallel zu meiner Berufstätigkeit) hatte ich mich um die Leitung des Eigenbetriebes Kultur und Bildung beworben. Zunächst umfasste dieser Eigenbetrieb die Musikschule und die Volkshochschule, bald kamen die Stadtbibliothek und das Museum hinzu. Meine Aufgaben umfassten die strategische Ausrichtung der Einrichtungen, die Personalführung, die Gremienarbeit und – wichtig – die Finanzen. Außerdem durfte ich zahlreiche Umbaumaßnahmen begleiten. Musikschule und VHS sind in die Lausitzhalle gezogen. Zoo und Schloss legten wir zusammen. Das Zoorestaurant kam ins Eigentum der Stadt. Wir haben einen Indoor-Spielplatz eingebaut. Auch im Zooareal konnten wir mit Unterstützung des Zoovereins tolle Maßnahmen realisieren. Etwa den Spielplatz und das Braunbären-Gehege am Schlossgraben. Wir haben den Masterplan Zoo entwickelt und die ersten Schritte gemeinsam getan.

Dabei war die Zeit in Hoyerswerda geprägt von der hohen Prokopf-Verschuldung der Stadt, von der Kreisgebietsreform und damit von ständigen Veränderungen. Um an den Aufgaben wachsen zu können, habe ich sehr bald nach meinem Start in Hoyerswerda noch ein berufsbegleitendes Studium „Kultur und Management“ absolviert und mit dem Master of Arts abgeschlossen. Kaum hatte ich dieses beendet, habe ich (in einer Notlage) die kaufmännische Leitung des Zoos übernommen. Sehr schnell musste ich mir neues Wissen aneignen, denn zu Beginn hatten wir noch keine Zoologin. Die kam erst ein Jahr später mit Kathrin Witzenberger.

Woran erinnern Sie sich im Zusammenhang mit Ihrem Wirken in Hoyerswerda gern? Und gab es auch Dinge, die Sie heute anders entscheiden würden?

Es gab in Hoyerswerda immer ein Kernteam an hoch engagierten Menschen. Nur so waren die unzähligen Maßnahmen, die wir trotz extrem knapper Kassen umgesetzt haben, überhaupt möglich. Daran denke ich gerne zurück. Und ich meine damit nicht nur die Mitarbeiterinnen der Zookultur sondern auch viele Kulturschaffende und ehrenamtlich Engagierte. Trotzdem war diese Zeit ein immenser Kraftakt. Wenn ich daran denke, dass der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien darüber nachgedacht hat, die Zoos und Tiergärten nicht mehr zu fördern. Das wäre für den Zoo Hoyerswerda das Aus gewesen. Gemeinsam haben wir damals in der GmbH entschieden, dass wir nur eine Notbesetzung im Zoo lassen. Wir sind alle zusammen nach Görlitz gefahren. Wir haben nicht demonstriert, aber wir haben Präsenz gezeigt in der betreffenden Sitzung. Die Zootierpflegerinnen in Grün, alle anderen in Schwarz. Es war sehr beeindruckend. Wir haben gar nicht alle in den Saal gepasst.

Was würde ich heute anders machen? Das sagt sich mit Abstand leichter, als es tatsächlich wäre. Ich würde den Ausstieg aus dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst nicht mehr mittragen wollen. Damals sah es so aus, als sei das eine Sache von zwei Jahren. Heute zeigt sich, dass die Kolleginnen noch immer nicht nach Tarif bezahlt werden. Das halte ich für sehr schwierig. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Zookultur sonst überlebt hätte.

Heute leben Sie in Offenburg, Sie leiten den Fachbereich Kultur in der Stadt. Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus?

Auch hier sind die Arbeitstage lang und durch sehr spannende Projekte geprägt. Neben den Kultureinrichtungen, wie Stadtbibliothek, Museum, VHS, Musikschule und Veranstaltungsstätten, bin ich für den Offenburger Salmen verantwortlich. Ein geschichtsträchtiger Ort. In diesem ehemaligen Gasthof haben 1847 (im Vormärz) die „entschiedenen Freunde der Verfassung“ einen Forderungskatalog aufgemacht und beschlossen, der es in sich hatte. Es ging um nichts weniger, als den ersten Grundrechtskatalog in deutscher Sprache. Gefordert wurden unter anderem Religionsfreiheit, Pressefreiheit und eine gerechte Besteuerung. Fast alle Forderungen finden sich inzwischen in unserem Grundgesetz wieder. Der Salmen wurde wenige Jahre später verkauft, an die neu entstehende jüdische Gemeinde in Offenburg. Im Saal entstand die Synagoge. Diese wurde 1938 zerstört, die Offenburger Juden wurden (wie überall in Deutschland) vertrieben, deportiert und ermordet. Im Jahr 2000 kaufte die Stadt Offenburg den Salmen, sanierte ihn, es entstand eine Veranstaltungsstätte mit einer kleinen Ausstellung. Aktuell bauen wir um. Der Salmen, ein Denkmal von nationaler Bedeutung, wird zur Erinnerungs- und Erlebnisstätte für die Demokratiegeschichte im deutschen Südwesten.

Ihr Lebensweg führte Sie als sehr junge Frau von den Alten in die Neuen Bundesländer. Ihre drei Kinder wuchsen hier auf und erlebten den Umzug in umgekehrter Richtung. Für wen war es leichter?

Das stimmt so nicht ganz. Meine Kinder sind in Räckelwitz geboren und aufgewachsen. Aber nicht alle sind mitgekommen nach Offenburg. Mein ältester Sohn, der übrigens in Hoyerswerda sein Abitur gemacht hat, hat an der Martin-Luther-Universität zu Halle sein Jurastudium absolviert, ist mit einer Bautzenerin verheiratet und lebt mit ihr in Erfurt, wo er als Staatsanwalt arbeitet. Zwei Kinder leben hier. Der Mittlere hat in Bischofswerda Abitur gemacht und ist erst nach Wehrdienst und Ausbildung nach Offenburg gekommen. Nur meine Jüngste hat also noch ein paar Jahre Schulzeit im „Westen“ erlebt.

Ich glaube: Es war für uns alle leicht und zugleich auch nicht. Uns fällt es leicht, offen auf Menschen zuzugehen. Als ich aber in Hoyerswerda, nach einem aufwändigen Bewerbungsverfahren vom Gemeinderat gewählt, meine Aufgabe begann, erhielt ich einen anonymen Brief: „Da kommt die Ursupatorin aus dem Westen und soll uns zeigen, was Kultur ist.“ Dieser Brief wurde auch an die Bürgermeister, meine Mitarbeiterinnen und die Presse versandt. Das war kein schöner Start. Ich habe bewusst daran geglaubt, dass dies eine Minderheitenmeinung ist. Und ich glaube das auch heute noch. Ich habe so viele wunderbare Menschen kennengelernt in Hoyerswerda, in Kamenz, Dresden, Bautzen und Säuritz. Aber der anonyme Briefeschreiber war kein Einzelfall. Solche Vorbehalte belasten das Zusammenleben zwischen Ost und West natürlich. Und es ist im Westen überhaupt nicht besser. Ähnliche Vorbehalte in umgekehrter Richtung hat vor allem meine Tochter hier erlebt. Wir alle in unserer Familie fühlen uns dem Osten und dem Westen gleichermaßen verbunden. Säuritz und die Menschen dort werden uns immer ein Stück Heimat im Herzen sein. Und in Offenburg fühlen wir uns herzlich aufgenommen.

Am 1. Juli jährt sich die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der BRD und der damaligen DDR zum 30. Mal. Worauf stoßen wir an?

Wir stoßen an auf unsere Kinder und Kindeskinder, viele mit Ost- UND Westerfahrungen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Ich bin mir sicher, dass sie die Grenzen im Kopf überwinden werden. Ich sehe in der jungen Generation viele verantwortungsbewusste, gut ausgebildete und kluge Menschen, die sich in ganz Deutschland und darüber hinaus in Europa zu Hause fühlen. Daher freue ich mich auch darauf, den 3. Oktober mit unserem Oberbürgermeister in unserer Partnerstadt Altenburg feiern zu dürfen.