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Ich schaffe das!

Evelin Wolff aus Kamenz ist seit Geburt gehbehindert. Sie startet erstmals beim Inklusionslauf. Mit Laufpartnerin.

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Von Ina Förster

Die Frau ist taff! Wirklich. Sie sitzt in ihrer Küche und plaudert mit mir über ihre Lebensgeschichte. Und eines vorweg: Die hat es in sich und kann nicht in die Kategorie „Nullachtfuffzehn“ geschoben werden. Zwischendurch brüht sie einen Kaffee auf. Evelin Wolff bewegt sich flink in ihrer kleinen Wohnung. Ja, gehbehindert sei sie von Geburt an. „Man lebt damit. Ich kenne nichts anderes“, meint sie. „Ich war ein Frühchen, kam drei Monate eher. Meine Mutter war geschockt, so war das nicht geplant.“ Die gebürtige Altdöberin wurde damals vor 49 Jahren sofort in die einzige Frühchenstation weit und breit verlegt. Nach Calau. Weit weg von Mama und Papa. Und so sollte das irgendwie ein ganzes Leben weitergehen …

Evelin Wolff hat eine Spastik in beiden Beinen, kann sich nicht normal bewegen wie andere. Ihr Gang ist etwas wiegend. Hüpfen und Springen fällt ihr schwer. Und bislang auch eigentlich das Rennen. Das hat sich in den letzten Wochen geändert. Fast hat sich die Kamenzerin ein bisschen in den Ausdauersport verliebt. Und sie hat ein Ziel: Am 4. Mai will sie mit Laufpartnerin Cordula Arnold beim 2. Inklusionslauf antreten. Undenkbar war das noch vor einem Jahr. „Michael Schiewack hat mir den Anstoß gegeben. Er ist mein langjähriger Ergotherapeut und hat mich angestachelt. Aber letzten Mai war ich noch nicht so weit“, sagt sie. Nun läuft sie mittlerweile freitags brav ihre 2000 Meter im Training auf dem Jahn-Sportplatz, dehnt sich, springt und sprintet mit den anderen. Fast wie jeder normale Sportler. Nur etwas langsamer.

Aber was ist schon normal? Die Kamenzerin lächelt mittlerweile darüber, wenn die Frage aufkommt. „Ich habe jedenfalls immer versucht, ein normales Leben zu führen“, sagt sie. Dass es nicht immer glattlief, sei eben so. Dieses Problem haben andere auch. „Bei der Geburt kam es zum Sauerstoffmangel“, erzählt sie. Wem sollte man das vorwerfen? Dass man ihre Behinderung damals spät erkannt hat und vielleicht einiges hätte tun können, was ihr das Leben später leichter gemacht hätte, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. „Mit vier Jahren konnte ich noch immer nicht richtig laufen. Mit Sicherheit hat man die Frühchen damals in den 60er-Jahren nicht richtig im Bettchen gelagert. Mit den heutigen Kenntnissen würde das nicht mehr passieren“, vermutet sie.

Evelin Wolff hat trotzdem ihren Weg gemacht. Trotzdem heißt „trotz ständigem Besuch von Körperbehinderteneinrichtungen, trotz ständigen Therapien, trotz ständigen Fragen und Blicken ihrer Umwelt“. „Seitdem ich denken kann, war ich in irgendwelchen Sonderschulen. Negativ war, dass ich selten bei meiner Familie war. Aber da ich das nicht anders kannte, fiel es mir selber gar nicht so auf“, erinnert sie sich. „Obwohl wir wirklich richtig abgeschottet lebten in diesen Einrichtungen. Fast wie ein bisschen weggesperrt vom Rest der Gesellschaft. Da war man aber unter seinesgleichen, gut behütet. Wie unter einer Glasglocke.“ Heute findet sie gerade das nicht mehr so toll. „Der Inklusionsgedanke ist super. Behinderte und Nichtbehinderte tun gemeinsam irgendwelche Sachen. Vom Lernen bis zum Sporttreiben. So sollte es sein“, sagt sie. Immerhin ist sie ja auch ein ganz normaler Teil der Gesellschaft, hat Verwaltungsfachangestellte gelernt, arbeitet in diesem Beruf im Staatsbetrieb Sächsische Informatik-Dienste in Kamenz. Sie hat zwei Söhne geboren, die mittlerweile erwachsen sind. Hat sie fast allein aufgezogen, weil der erste Vater tödlich verunglückte. Der zweite nicht der Mann fürs Leben war.

Der Inklusionslauf am 4. Mai ist eine riesige Herausforderung für sie. Physisch und psychisch. „Ich bin total aufgeregt. Obwohl Sport mich ein Leben lang begleitet hat. Ich musste schon immer mehr tun als gesunde Menschen. Vor allem jetzt, wenn man älter wird. Zu meiner Behinderung kommen ja langsam die normalen Verschleißerscheinungen“, lacht sie.

Deshalb ist sie froh, einen guten Fitnesstrainer in Tobias Jantsch gefunden zu haben, in dessen Studio sie zweimal wöchentlich trainiert und der sie für den Lauf fit macht. Dort lernte sie auch Cordula Arnold kennen. „Wir motivieren uns gegenseitig und wollen auf jeden Fall zusammen ins Ziel. Ich glaube, da werden viele Emotionen frei an dem Tag.“ Einziger Kritikpunkt sei für sie die Strecke. „Gerade für Körperbehinderte ist das holprige Altstadtpflaster sehr schlecht. Aber das hält mich nun auch nicht mehr auf. Ich schaffe das!“