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Im Namen des Löwen

Der langjährige Apotheker in Pulsnitz, Jochen Vogelsang, ist jetzt 80 geworden. Er hat ganz viel zu erzählen.

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Von Tina Zander

Der goldene Löwe, der über der Apotheke in Pulsnitz wacht, hätte in der Tat etwas neuen Glanz nötig. Vor 23 Jahren hat das anmutige Tier das letzte Mal in Gold gebadet. Nun ist es wieder an der Zeit. Pünktlich zum großen Ehrentag seines Besitzers: Denn Jochen Vogelsang feierte jetzt 80. Geburtstag. Der frühere Stadtrat und „längste Apothekenleiter“ in der Pulsnitzer Geschichte – 40 Jahre hat wirklich kein anderer geschafft – weiß viel zu erzählen. Nicht nur rund um seinen Geburtstag.

Das Foto von 1974 zeigt Jochen Vogelsang (m.) beim freundlichen Kundenservice. Menschen zu helfen, war ihm immer besonders wichtig gewesen.
Das Foto von 1974 zeigt Jochen Vogelsang (m.) beim freundlichen Kundenservice. Menschen zu helfen, war ihm immer besonders wichtig gewesen. © privat

Ein Apotheker ist so etwas wie das Gedächtnis einer Stadt. Zumindest wenn man, so umtriebig ist wie Jochen Vogelsang und jahrzehntelang die einzige Apotheke im Ort führte. Schließlich spazierten zu DDR-Zeiten täglich 350 bis 500 Kunden durch die Tür. Und zwar nicht nur zur Tageszeit. „Bei uns klingelten ständig Leute“, erinnert sich Sohn Bernd Vogelsang an seine Kindheit. Damals gehörte es sich so, dass ein Apotheker mit im Haus wohnte. So läutete es auch nachts um 3 Uhr, wenn jemand ein Medikament benötigte. „Ich habe in meinem ganzen Leben nie jemanden weggeschickt“, sagt Jochen Vogelsang. Auf seine Kunden lässt er nichts kommen. „Sie waren immer dankbar.“

Keinen Schlüssel mehr

Manchmal klingelt es heute noch. Doch 14 Jahre nachdem er die Löwen-Apotheke an Sabine Höfgen übergeben hat, kann er nun wirklich nicht mehr helfen: „Ich habe einfach keinen Schlüssel mehr.“ Doch er wäre nicht er, wenn er nicht von der Ferne wohltuend beobachten würde, wie sich die Apotheke entwickelt. Und die Stadt. Ob als Apothekenrevisor im Bezirk oder als CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat: Jochen Vogelsang hat sich jeher für seine Branche und seine Stadt engagiert. Er saß in einer Kommission mit der Treuhand, die Ende 1990 insgesamt 130 Apotheken in private Hände verkauft hat. In jenem Jahr reiste er auch mit dem Bürgermeister und einigen Pulsnitzer Gesandten nach Bad Berleburg (Nordrhein-Westfalen), um die dortigen Wittgensteiner Kliniken davon zu überzeugen, das hiesige Fachkrankenhaus für Innere Medizin und Lungenkrankheiten zu übernehmen.

Ohne diesen Coup hätte sich Pulsnitz wohl nie zu dem Gesundheitszentrum mit Schlossklinik und zwischenzeitlich rund 600 Mitarbeitern entwickelt. Kurz nach der Wende gab es auch eine Anfrage aus der Landesregierung, wo gerade das Fachgebiet Pharmazie neu entstand. Jochen Vogelsang lehnte jedoch ab: „Ich wollte kein Berufspolitiker sein.“ Außerdem wollte er nicht aus seiner Heimat weg. Dabei spielte eher der Zufall mit, dass der gebürtige Heidenauer in Pulsnitz gelandet ist. Denn nach dem Studium in Greifswald verbrachte er seine ersten beruflichen Jahre von 1958 bis 1961 in Senftenberg. Dieser Ort zählte nicht gerade zu den schönsten Ecken der DDR. Es war eine dreckige Tagebau-Stadt. Alle zwei Jahre musste aus dem Garten eine 15 Zentimeter dicke Kohlestaubschicht abgetragen werden. Die Treppen mussten täglich geputzt, die Gardinen quasi ständig gewaschen werden. „Bei Wind hast du die Hand vor Augen nicht gesehen“, erzählt Ursula Vogelsang. Aber: Sie lernte ihren Jochen in Senftenberg kennen.

Der zweite positive Aspekt: „Wir bekamen eine Bergbauzulage“, erzählt Jochen Vogelsang. 250 Mark: Das war sehr viel Geld in der DDR. Und trotzdem wollte das Paar weg vom Tagebau. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Sebnitz landete es in Pulsnitz. Der Vorbesitzer der Löwen-Apotheke war bei einem Westbesuch drübengeblieben. Im Mai 1962 trat Jochen Vogelsang als Apothekenleiter an – und sollte es 40 Jahre lang bleiben. „Pulsnitz ist unsere Heimat geworden“, erzählt er. Hier bekamen sie ihre beiden Söhne Klaus und Bernd. Hier übten sie ihren Traumberuf aus. Obwohl sie schon zu DDR-Zeiten mit zehn bis 15 Mitarbeitern als Stadt- und Krankenhausapotheke ein interessantes Aufgabengebiet hatten, sind sich beide einig: „Die schönste Zeit war nach der Wende. Da konnten wir machen, was wir wollten!“ Endlich durfte Ursula offiziell mit in der Apotheke arbeiten – denn zu DDR-Zeiten war es als Ehefrau des Apothekers nicht erwünscht. Außerdem wurde umgebaut, das Sortiment erweitert, ein Computer-System angeschafft.

Es war sein Traumberuf

Es würde Bücher füllen, was Jochen Vogelsang alles erzählen kann. Doch das Schönste an seinem Traumberuf war, „dass ich vielen Menschen helfen konnte“. Dieses Helfer-Gen hat er offenbar seinen Söhnen vererbt. Sohn Klaus wurde Arzt und Sohn Bernd Pflegedienstleiter. Letzterem obliegt nach vielen Jahren in der Schlossklinik nun die fachliche Leitung bei der IPS Intensivpflege Sachsen, einem neuen ambulanten Pflegedienst in Pulsnitz. Apotheker, Arzt, Pflegedienstleiter: Die Vogelsang-Männer bilden quasi die gesamte Kette des Gesundheitssystems ab.

Während seine Söhne noch voll im Alltagsstress stecken, kann Jochen Vogelsang als Pensionär seinen 80. Geburtstag genießen. Und sich um die Schönheitskur seines treuen Begleiters kümmern: den goldenen Löwen an der Pulsnitzer Apotheke.