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Im Sattel auf Streife

Seit in Sachsen wöchentlich demonstriert wird, sind auch die Polizeireiter öfter im Einsatz. Fernab ihrer Streife hoch zu Ross verrät eine Beamtin mehr über sich und ihren Partner.

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Von Franziska Klemenz

Tequila heißt ihr Goldstück. Daneben stehen Underberg, Whisky und Scotch. Was da anmutet wie eine gut sortierte Saloonbar, hat nicht das Geringste mit Alkohol, aber viel mit Pferden zu tun. Allerdings trägt die zierliche Frau, die in diesen alkoholischen Angelegenheiten bestens Bescheid weiß, Handschellen und Pistole. Dennoch gehört die Szenerie zu keinem Italowestern, auch das Lied vom Tod erklingt nicht in dem lang gestreckten Stallgebäude. Pferde, Dienstwaffe und Handfesseln prägen vielmehr den Alltag von Dana Orawetz. Die 40-Jährige reitet für die sächsische Polizei.

Dampfend, aber schmerzlos: Hufschmied Sylvio Siewert beschlägt die Polizeipferde.
Dampfend, aber schmerzlos: Hufschmied Sylvio Siewert beschlägt die Polizeipferde. © kairospress
Partner im Polizeidienst: Hauptmeisterin Dana Orawetz mit ihrem Wallach Tequila.
Partner im Polizeidienst: Hauptmeisterin Dana Orawetz mit ihrem Wallach Tequila. © kairospress
Zum Einsatz auf Rädern: Polizeireiter sind oft unterwegs, nie ohne die rollende Ausrüstung.
Zum Einsatz auf Rädern: Polizeireiter sind oft unterwegs, nie ohne die rollende Ausrüstung. © kairospress

Tequila ist ihr treuer Partner, ein stolzer Wallach mit dunkelbraunem Fell. Er teilt sich den Stall mit 18 anderen Pferden. Dass viele von ihnen nach Hochprozentigem benannt sind – das hat mit dem etwas eigenen Humor der sächsischen Polizeireiterei zu tun.

Der Freistaat gehört zu den wenigen Bundesländern mit eigener Reiterstaffel. Standen früher bundesweit mehr als 1 500 Pferde im Polizeidienst, so leisten sich heute nur noch sieben Länder und der Bund wenige Hundert Tiere. Die sächsische Reiterstaffel, gegründet am 4. November 1991, ist die einzige in Ostdeutschland. „Es ist vielleicht schon ein Stück weit Prestige“, sagt Daniel Adner, Sprecher der sächsischen Bereitschaftspolizei. „Aber die Reiterstaffel hat die Reform überlebt. In Sachsen lassen wir uns Gott sei Dank nicht vom Geld leiten.“

Beim zweibeinigen Personal sieht der Dienstherr das offenbar anders – im Laufe der nächsten fünf Jahre sollen 2 000 Stellen abgebaut werden. Das betrifft die Reiter vorerst nicht. Aber die Sparmaßnahmen bekommen auch sie zu spüren – selbst in Großerkmannsdorf, einem Ortsteil von Radeberg. Dort haben die Polizeireiter ihren Dienstsitz. „Wir nennen es eine dauerhafte Übergangslösung“, sagt die Polizeihauptmeisterin Dana Orawetz und beäugt das fahlbeige Gebäude mit Containercharme, in dem die Reiter untergebracht sind.

Abgesehen von dieser architektonisch weniger prachtvollen Unterkunft herrscht hier draußen eine ländliche Idylle. Es riecht nach frischem Stroh, hie und da ertönt das Wiehern eines Pferdes, das sich bemerkbar machen will. Nachbars Hühner watscheln gemütlich über die Anlage und picken nach Futter, die Hofhunde jagen einander so lange vor dem Stall umher, bis sie mit dem Besen vertrieben werden. Nur ein vergilbtes Schild weist Zaungäste dezent darauf hin, wer diese Anlage gepachtet hat. Für die Pferde das ideale Domizil, hier können sie nach ihren oft nervenaufreibenden Einsätzen zur Ruhe kommen.

Meist bei Fußballspielen im Einsatz

Seit in vielen Orten der Republik allwöchentlich Menschen demonstrieren, hat auch die Reiterstaffel immer mehr zu tun. Gut 200 Mal ist sie jährlich im Einsatz und reist dafür durch ganz Deutschland. Am häufigsten sind es Fußballspiele. Und an Montagen ist Dana Orawetz kaum noch vor Mitternacht zu Hause. „Seit Pegida auf die Straße geht, ist es logistisch und körperlich schon stressiger geworden“, gesteht sie mit scheuer Stimme und schaut zu Boden. Zu der Organisation Pegida äußert sich die Polizistin nicht. Die größten Herausforderungen warten bei sogenannten Risikospielen im Fußball. Orawetz erinnert sich an einen besonders bedrohlichen Einsatz. Dabei kam es auf der Wiener Straße in Dresden zur Eskalation, aufgeheizte Fans traten und schlugen auf die Pferde ein, warfen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper.

Die Reiterin blieb ruhig. „Wenn einem das in solchen Fällen nicht gelingt, überträgt sich die Nervosität sofort auf das Pferd“, sagt sie, streicht liebevoll über Tequilas Nasenrücken und schenkt ihrem zehnjährigen Partner ein breites Lächeln. „Er hatte gerade erst eine Sehnenscheiden-Entzündung“, sagt die Reiterin mit sorgenvoller Miene und fährt dem Pferd durch die schwarze Mähne. Neben Tequila wirkt Dana Orawetz nicht wie ein strenger Gesetzeshüter, sondern eher wie eine zarte Begleiterin. Um ihre zierliche Figur schlackert der weite Polizeiparka, ihr brünetter Pferdeschwanz liegt locker im Nacken, darüber die schwarze Polizei-Wollmütze.

Die Pferde gehorchen der Reiterin trotz ihrer zurückhaltenden Erscheinung. Denn sie kennt das Wesen ihrer Tiere. „Das Vertrauen eines Pferds für sich zu gewinnen, ist eine faszinierende Sache“, sagt sie. „Der Mensch muss sich das Zutrauen eines Pferdes hart verdienen, erst dann kann es seinen Fluchtinstinkt überwinden.“

Als Neunjährige stieg Dana Orawetz zum ersten Mal auf einen Pferderücken, der ihr seither das Glück der Erde bedeutet. Sie fing in einer Ponygruppe an, arbeitete in Voltigier- und Haflingergruppen. Bald ritt sie große Pferde und nahm an Reitturnieren teil. „Wenn man als Kind schon Blut geleckt hat, wird das Reiten zur Sucht“, sagt sie. Dass Pferde auch ihren beruflichen Weg begleiten sollen, war immer ihr Wunsch. „In der DDR war das als Mädchen aber gar nicht so leicht“, erinnert sich die gebürtige Pirnaerin. Sie fand eine Nische, begann ihre Ausbildung zur Landwirtin. Danach wollte sie Pferdewirtschaft studieren, um als Züchterin zu arbeiten.

Doch die Wende änderte alles. Im Jahr 1991 las Orawetz in der Zeitung von der Gründung der Staffel. „Ich wusste sofort, da will ich dabei sein.“ Dieses Ziel verfolgte sie unbeirrbar. 1994 begann sie ihre Ausbildung zur Polizistin in Kamenz, arbeitete anschließend im Streifendienst, bis 2001 ihr Traumjob winkte. Dana Orawetz stieg für die Polizei in den Sattel. „Kein Beruf, sondern meine Berufung“, so die Polizistin. „Wer in dieser elitären Nische der Polizei gelandet ist, wollte das auch unbedingt.“

Viele Bewerbungen als Polizeireiter

Zur Staffel gehören momentan 13 Reiter und drei Ausbilder. Zufällig wird niemand nach Großerkmannsdorf versetzt. Der Job ist heiß begehrt, zig Bewerbungen treffen auf eine Stelle. Es ist ein Mädchentraum in Uniform, zudem ausgestattet mit dem Privileg, als „guter Bulle“ zu gelten – anders, als mancher Kollege zu Fuß. Denen begegnet im Dienstalltag oft weniger die Sympathie der Leute, dafür umso mehr Wutbürger und Streithähne. „Wir hingegen werden von Leuten gefragt, ob sie Fotos mit uns machen dürfen “, sagt Orawetz.

Großer Beliebtheit erfreuen sich die Reiter bei jungen Leuten. Die Polizistin führt durch den Treppenaufgang des Containergebäudes, dessen karge Wandplatten von einer Galerie selbst gemalter Bilder aufgehübscht wird – Geschenke begeisterter Kinder, die Vorstellungen der Reiterstaffel in Großerkmannsdorf besucht haben. „Nur um schön auszusehen, werden die Pferde aber nicht eingesetzt“, sagt Polizeisprecher Adner.

Auch im Ernstfall sind sie ihren Kollegen zu Fuß überlegen. Auf dem Rücken ihres Partners kann Orawetz mühelos ein weites Areal überblicken. Mit bis zu 60 Stundenkilometern trägt Tequila sie in Windeseile dorthin, wo selbst Geländewagen auf der Strecke bleiben. Für die Pferde stellen weder hohe Gräben noch überwuchertes Dickicht ein Hindernis dar. Das kommt ihnen vor allem bei der Suche nach Kriminellen im unwegsamen Gelände zugute. „Wenn wir Flüchtige aufgespürt haben, stoßen wir aber an unsere Grenzen“, so Orawetz. „Auf dem Pferd kann man schlecht Straftäter abtransportieren.“ Pistole und Handschellen gehören dennoch zur Standardausrüstung der Reiter. Im Schrank von Dana Orawetz hängt außerdem ein eleganter Reitermantel. Mehrere Paar Stiefel stehen auch darin. Ähnlich hochwertig staffiert die Polizei ihre vierbeinigen Mitarbeiter aus – trotz Sparmaßnahmen. Die Sattel werden maßangefertigt, zu feierlichen Anlässen zieren Schmuckschabracken die Rücken der Pferde.

Unverzichtbar für jeden Ausritt sind gute Hufeisen. Gerade bei Einsätzen auf dem Asphalt oder auf Kopfsteinpflaster nutzen die Pferde ihre Beschläge schnell ab, Hufschmied Sylvio Siewert wechselt sie regelmäßig aus. „Jetzt zählt das fotografische Gedächtnis“, sagt er und lässt das muskelbepackte Bein von Tequilas Kollegen wieder auf den Boden gleiten. Mit einem raschen Zangengriff hebt der Schmied das erhitzte Hufeisen aus der Glut und formt es mit dem Hammer. Ein paar Schläge, dann verschmilzt der eiserne Schuh unter lautem Zischen mit dem Pferdehuf. Dichter Qualm steigt auf, es riecht nach verbranntem Horn. „Sieht dramatischer aus als es ist“, kommentiert Siewert das Spektakel. Den Wallach lässt das ohnehin kalt, er harrt gelassen aus.

Es geht ruhig zu in Großerkmannsdorf. Tatsächlich gilt das ausgeglichene Wesen der Pferde als Grundvoraussetzung für den Einsatz bei der Polizei. Außerdem müssen es Wallache sein, kastrierte Hengste – andernfalls käme es zu Machtkämpfen. „Und Stuten sind sowieso zu zickig“, sagt Dana Orawetz. Nur Pferde mit extrem strapazierfähigen Nerven können aggressive Menschenmassen in Schach halten. In solchen Situationen offenbart sich ein weiterer Vorteil der hochbeinigen Tiere, die knapp eine Tonne auf die Waage bringen. „Nach Vorwarnung werden die Pferde durchaus als Mittel körperlicher Gewalt gegen Randalierer eingesetzt“, stellt Adner klar. Dabei sind sie von Natur aus keine Angreifer, sondern Fluchttiere. Aber die Pferde müssten sich diesem Zweck unterordnen, so Adner.

Actionfilm-Szenarios für Ross und Reiter

Auf die Erfordernisse im Dienst werden die Pferde intensiv vorbereitet. Während ihrer Ausbildung begegnen sie fast jedem denkbaren Actionfilm-Szenario – und das mitten im idyllischen Großerkmannsdorf. Die Reiter lassen ihre Schützlinge auf brennendem Stroh galoppieren und über funkensprühende Balken springen, sie dürfen weder beim Knallen von Schusswaffen noch in Gegenwart eines brausenden Wasserwerfers die Fassung verlieren. Auch Hunde kommen im Training zum Einsatz – die Wallache sollen im Ernstfall nicht irritiert sein, wenn ihnen ein vierbeiniger Kollege durch die Beine huscht. Ob ein Pferd einsatzbereit ist, wird in der Abschlussprüfung getestet. Erst dann geht es zum Dienst. „Man darf die Pferde auf keinen Fall überfordern, sonst verlieren sie das Vertrauen“, warnt Dana Orawetz.

Sobald die Polizeireiterin in Tequilas Nähe kommt und sobald sich das Gespräch um Pferde dreht, erwacht ihre ganze Aufmerksamkeit. Da ist sie augenscheinlich, diese besondere Partnerschaft zwischen Mensch und Tier. Auf sie kommt es im Polizeidienst ganz besonders an. „Pferd und Reiter sind im Einsatz eben aufeinander angewiesen, das verbindet“, sagt Dana Orawetz, die Pferdeversteherin in Uniform.