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Im Vinyl dreht sich wieder der Plattenteller

Volles Haus bei der Wiedereröffnung der Kneipe. Mehr Andrang gibt´s nur bei Aldi. Der Gast ist allerdings jetzt auch gleichzeitig Kellner.

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© Foto: Matthias Weber

Auf diesen Abend hat Zittau wohl gewartet. Schon kurz vor acht, eine Stunde nach der Wiedereröffnung sind alle Sitzplätze an den Tischen und am Fass belegt. Eine Stunde später stehen Zittaus Nachtschwärmer im Gastraum des Vinyl in der Brunnenstraße so eng beieinander wie Heringe in der Dose. Sie sind alle gekommen: Stammgäste, ehemalige Mitarbeiter, Hipster mit und ohne Vollbart, mit und ohne Jutebeutel, Gymnasiasten, Großeltern, Linksautonome und Stockkonservative. Sehen und gesehen werden, Hallo und Wiedersehensfreude - alle eint ein Ziel - gemeinsam feiern. „Ich habe wieder ein zuhause“, sagt ein in die Jahre gekommener Stammgast und humpelt an die Bar. Die Band „Audio City“ aus Berlin übertönt nur mühsam das chaotische Stimmengewirr, die Coversongs sorgen für gute Stimmung und verkürzen die Wartezeit am Ausschank. Trotz weiblicher Unterstützung gelingt es Christoph Gerlach und Julian Dutschke nur mit großer Anstrengung den Durst der vielen Wartenden zu stillen. Die neuen Inhaber des Vinyl testen an diesem Freitagabend ihr bedienungsfreies Bestellsystem. Der Gast bestellt am Tresen, bezahlt und nimmt sein Getränke mit an den Tisch. Obwohl es bei den Mixgetränken noch hakt, scheint es zu funktionieren, als wäre es nie anders gewesen.

„Es hat was gefehlt in Zittau“, sagt eine Blondine freudig und schwelgt in Erinnerungen an alte Zeiten. Vor 14 Jahren zog das Vinyl von der Lindenstraße, wo 1999 die Geschichte der Musikkneipe begann, in den ehemaligen Cölestiner Keller in der Brunnenstraße. Im Publikum vollzog sich seither ein Generationswechsel, so wie jetzt bei den Wirten. Und bei der Optik. Unübersehbar wurde der zuvor mit allerlei Dekoration vollgestopfte Gastraum entrümpelt und bekam frische Farbe. Die Decke, vorher mit Stoffbahnen verhängt, glänzt nun mit historischem Stuck. Mit fortschreitender Stunde wird die Sicht nach oben allerdings schlechter, die Luft im Gastraum lässt sich schneiden. Rauchen oder nicht rauchen? Diese Entscheidung wollen die Betreiber in aller Ruhe fällen, wohl wissend, dass man es nicht jedem recht machen kann. „Im Vinyl wurde immer geraucht und das bleibt erst einmal so“, sagt Dutschke. Allein die Ankündigung bei Facebook, dass die Gäste über die Frage "Rauchen oder nicht rauchen" abstimmen sollen, sorgte für eine kontroverse Debatte im Netz, in der sich Befürworter und Gegner des Rauchens wenig kompromissbereit gegenüberstanden. „Pfeife oder Zigarre rauchen in gemütlicher Atmosphäre, gehört einfach dazu“, schreibt ein User. „Wer raucht denn heutzutage eigentlich noch“, hält eine Internetnutzerin dagegen. Die Abstimmung läuft noch bis Silvester. Ganz analog, man kann nur vor Ort abstimmen und wählt zwischen zwei Bierkrügen. In den bevorzugten Bierkrug, der entweder mit „Raucher“ oder „Nichtraucher“ beschriftet ist, wirft man eine Münze. Wer von seinem Wahlrecht Gebrauch machen möchte, muss das Vinyl noch im Dezember persönlich besuchen.

Für Christoph Gerlach, 32 Jahre alt und Julian Dutschke, der es auf 30 Jahre bringt, ist die Wiedereröffnung des Vinyl der Start in die Selbstständigkeit. Beide kennen sich seit der Grundschule, studierten und waren in den vergangenen Jahren viel unterwegs. Jens Claus, der mit einem Geschäftspartner das „Wirtshaus Zur Weinau“ betreibt und das Vinyl einst gegründete, steht seinen Nachfolgern noch mit Rat und Tat zur Seite, wenn es irgendwo klemmt. Am Sonnabend geht die Party im Vinyl mit einem DJ weiter. Den DJ hat Claus seinen Nachfolgern gesponsert.