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„Wer strickt Ihre Mützen, Herr Mißbach?“

Die SZ traf Oberbürgermeister Sven Mißbach zum Gespräch. Denn er hat am 30. Januar die Hälfte seiner Amtszeit herum.

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Sven Mißbach kam mit 37 Jahren ins höchste Amt der Stadt und als erster Parteiloser. Er zieht ein erstes Fazit.
Sven Mißbach kam mit 37 Jahren ins höchste Amt der Stadt und als erster Parteiloser. Er zieht ein erstes Fazit. © Kristin Richter

Großenhain. Am 30. Januar ist Halbzeit für Sven Mißbach. Großenhains Oberbürgermeister wurde am 28. Juni 2015 für sieben Jahre zum Stadtoberhaupt gewählt. Zur Wahl gingen damals 6 963 von 15 684 Wahlberechtigten. Das kam einer Wahlbeteiligung von 44,8 Prozent gleich. Von den Stimmen entfielen 65,4 auf den parteilosen Diplom-Forstwirt Sven Mißbach. Janet Putz, die kurz vor der Wahl noch in die CDU eintrat, hatte damals fast in allen Wahlkreisen das Nachsehen.

Herr Mißbach, wenn Sie heute zurückdenken – sind Sie vor gut drei Jahren mit einem mulmigen Gefühl ins Zimmer des Oberbürgermeisters gezogen?

Eigentlich nicht. Ich kannte die Mitarbeiter, wusste, dass alle eine gute Arbeit machen, und vor allem selbstständig. Mich haben jetzt nicht alle abwartend angesehen, was ich nun sage. Aus heutiger Sicht war das sehr wichtig, denn das erste Jahr war schwer, ich musste mich wirklich einarbeiten, obwohl ich etliche Themen als Rathausmitarbeiter kannte.

Haben Sie ein Beispiel für ein Thema, das sich auf der anderen Seite des Schreibtisches doch anders anfühlt?

Die Wohnungsgesellschaft, wo ich anfangs schon dachte, man könnte schneller sanieren, mehr Wohnungen in den gesuchten Größen anbieten. Dann ist mir schnell klar geworden, da sind so viel Sachzwänge dabei, mit Krediten und so viel Investitionsstau, wo ich mir eingestehen musste, das hast du dir anders vorgestellt.

Sie sind ja von einer Fanwelle ins Rathaus getragen worden, von den Bürgern, die sich sonst vielleicht vorher nicht so viel um Politik gekümmert haben. Werden Sie manchmal angesprochen „Das hast Du gut oder haben Sie gut oder nicht so gut gemacht“?

Wenn ich angesprochen werde, sagen die Leute „Du machst das schon“. Die Kritik kommt eher von denjenigen, die vorher schon Kritiker waren. Die Leute sehen: die solide Arbeit, die vorher gemacht wurde, wird weitergeführt und das war den meisten wichtig. Viele sagen mir auch, ein Parteiloser ist besser.

Im alltäglichen Gespräch oder im Stadtrat?

Sie sagen dann, dass man über alles reden kann, offener ist, wenn der OB nicht an eine Partei gebunden ist. Es ist natürlich mehr Arbeit. Ich muss auf alle zugehen, kann mir im Stadtrat nicht sicher sein, gleich eine feste Größe von Unterstützern hinter mir zu haben. Ich muss wirklich Mehrheiten organisieren.

Gehen die Meinungen im Stadtrat also heute quer durch alle Reihe?

Ja. Gerade in internen Debatten wird klar, die Fraktion spielt da keine große Rolle mehr. Die Stadträte reden über eine Sache.

Sie wollten damals auch die kommunalpolitischen Rundgänge wieder einführen, wenn Sie OB werden. Was ist daraus geworden?

Das stimmt. Ich bin anfangs wirklich nicht dazu gekommen und wollte das mit den Ortsrundgängen zum Breitbandausbau verbinden. Aber da brauchen wir eher einen Raum, wo man an der Wand mal etwas zeigen kann. Aber vielleicht schaffe ich die Ortsrundgänge noch in diesem Jahr. Wir sind ja auch so ständig unterwegs. 

Wir machen mit den Rathausmitarbeitern unsere Tour zu den Schulen und wollen dieses Jahr die Kindereinrichtungen besuchen, sodass wir immer nah dran sind. So ähnlich stelle ich mir das noch mal mit den Ortschaftsräten vor, aber das braucht Zeit, wenn man es richtig macht.

Die regelmäßigen Schul- und Kitarunden gab es also vorher nicht?

Nein, nicht in der Form. Die Schulrunde gab es schon vorher, die Kita-Runde ist neu.

Also sind Sie schon der OB für ein Gespräch „über den Gartenzaun“?

Eindeutig ja.

Bei welchem Projekt würden Sie nach drei Jahren sagen, das trägt Ihre Handschrift?

Mittlerweile brauchen Prozesse viel Zeit. Was wir heute tun, hat mir irgendwie als Anstoß oder als konkretes Projekt mein Vorgänger hinterlassen. Ich kann darauf aufbauen. Natürlich freue ich mich, wenn in meiner Amtszeit das schnelle Internet in die Ortsteile kommt. Aber die ersten Untersuchungen dazu wurden zum Beispiel schon vor Jahren gemacht.

Was haben Sie sich für die zweite Amtshälfte vorgenommen? Wollen Sie etwas anders angehen?

Erst mal würde ich mich freuen, wenn wir den Breitbandausbau bis dahin wirklich schaffen. Dann möchte ich das Thema Bad dieses Jahr endlich zu Ende bringen, 2022 noch mit dem Bau der Ortsumfahrung Wildenhain beginnen, wenn wir den richtigen Investor für den Industriepark am Flugplatz finden würde, der zu Großenhain passt – und dann die beiden Themen Neubau Kita Chladeniusstraße und die 1. Grundschule. Und dann will sich Großenhain mit seinen Bürgern noch das richtige Image geben. Auch das ist nicht zu unterschätzen, dieses Leitbild gemeinsam zu entwickeln.

Sie meinen die Aufstockung der Grundschule Schubertallee?

Auch, aber nicht nur. Es geht um eine zweite Sanierung nach der Wende, und die Lehrer haben auch ihre Wünsche zu Raumkonzepten. Das wird in der vorhandenen Substanz sicher nicht leicht. Und etwas „ganz anders angehen“ – ich denke, so wie ich es angegangen bin, war es gut. Ich wünsche mir, ich kann dem neuen Stadtrat genauso das Miteinander in der Sache vermitteln, wie dem jetzigen. Da wird sich zeigen, wie die Sichtweise der neuen Stadträte ist.

Treten Sie wieder an?

Können wir in zwei Jahren noch mal drüber reden?

Was würde Sie denn beruflich noch reizen?

Es gibt ein paar Sachen, die am Laufen sind.

Und welche?

Das sage ich Ihnen nicht. Das kann ich nicht machen.

Dann noch eine viel persönlichere Frage, die viele bewegt: Wer strickt eigentlich Ihre Mützen?

Da gibt`s zwei. Einmal meine Frau, die hat den gleichen Vater-Sohn-Look gestrickt, und meine Schwester. Da gibt es übrigens eine nette Begebenheit. Beim Weihnachtsmarkt ist die Mütze von meinem Sohn abhandengekommen. Meine Frau ist losgelaufen, hat noch mal gesucht, aber die Mütze war weg. Am Montag kam die Bäckersfrau von Brodauf „Herr Mißbach, ist das nicht Ihre Mütze?“ Sie wusste das sofort zuzuordnen. Ich bin wohl bekannt.

Das Gespräch führte Birgit Ulbricht