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Jeder Zentimeter zählt

Reicht eine Kurzstrecken-Fahrkarte von Copitz-Nord bis zum Bahnhof Pirna? Nein, sagt die Bahn. Sie hat nachgemessen.

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Von Marcus Herrmann

Dass eine eigentlich klare Regelung viele offene Fragen nach sich ziehen kann, zeigt das Beispiel von Gerhard Schwenke und seiner Fahrt mit der Städtebahn vom Haltepunkt Pirna-Copitz Nord zum Bahnhof Pirna (SZ berichtete). Der 86-Jährige wunderte sich, dass er für dieses Stück nicht mit einer Kurzstrecken-Fahrkarte auskam, sondern eine Normalfahrt für die ganze Tarifzone lösen muss.

Laut Tarifregelung des Verkehrsverbundes Oberelbe (VVO) genügt eine Kurzstreckenfahrt für 1,25 Euro dem, der eine Strecke unter zwei Kilometern mit der Bahn zurücklegt. Schwenke orientierte sich dazu an den Streckenkilometer-Steinen am Start- und Zielbahnhof. Weil die für den Halt Pirna-Copitz Nord eine 44,3 und an der Einfahrt zum Bahnhof Pirna eine 46,2 anzeigen – also eine Differenz von 1,9 Kilometern –, glaubte sich Gerhard Schwenke mit dem Kurzstreckentarif im Recht. Der Zugbegleiter sah das allerdings anders. Was stimmt nun?

Beim VVO konnte man seine Nachfrage nicht aufklären, sondern verwies lediglich auf die geltende Kurzstreckenauflistung. „Diese Antwort war zur Klärung des Sachverhaltes ungenügend, wofür ich mich bei Herrn Schwenke entschuldige“, sagt VVO-Pressesprecher Christian Schlemper nun auf SZ-Nachfrage. Auch Schlemper war zunächst verwirrt, weil das Preissystem der Bahn sich normalerweise streng an den Gleiskilometern orientiert. Daraufhin prüfte man beim VVO noch mal nach. „Wir entrichten für eine sogenannte Trassenlänge bei der DB Netz AG einen Beitrag. Für die Strecke von Pirna-Copitz Nord nach Pirna ist die Trassenlänge genau 2,046 Kilometer. Damit ist es tatsächlich knapp keine Kurzstrecke mehr“, erklärt Schlemper.

Warum die Wegstreckentafeln diesen reichlich zwei Kilometern nicht entsprechen, müsse mit der Deutschen Bahn geklärt werden, so Schlemper.

Doch auch der DB-Pressestelle in Leipzig geben die Messtafeln Rätsel auf. „Wir können nur auf die Richtigkeit des Trassen- und Stationspreissystems vertrauen“, sagt eine Bahn-Sprecherin. Grundsätzlich müsse jedes in Deutschland zugelassene Eisenbahnunternehmen für die jeweiligen Fahrwege ein Nutzungsentgelt an die DB Netz entrichten. „Die Gelder werden von der Bundesnetzagentur bewilligt und im Internet transparent veröffentlicht.“

Diese Übersicht gibt es wirklich. Die Trassenlängen werden durch die DB Netz, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, berechnet und anhand dessen die Preise bestimmt.

Lokführer klärt Sachverhalt auf

Bei dieser Messung geht es exakt zu. So sehr, dass Abstände zwischen einzelnen Bahnhöfen auf den Meter genau erarbeitet werden. Sie liegen jedem Lokführer in einem Buchfahrplan vor. Grund genug für die SZ, am Bahnhof Pirna nach dem genauen Kilometerstand zu fragen. In Sekundenschnelle nennt ein Lokführer die Zahl 46,3 für den Bahnhof Pirna und 44,2 für den Haltepunkt Pirna-Copitz Nord. Plötzlich würde man auf 2,1 Kilometer Differenz kommen. Sind die Wegstreckenanzeigen an den Gleisen, im Bahn-Jargon Hektometersteine genannt, also doch ungenau? Die Lösung liegt im Detail.

„Um die Entfernung zweier Bahnhöfe zu berechnen, gilt genau die Mitte des Bahnhofsgebäudes oder Bahnsteigs als ausschlaggebender Messpunkt“, klärt der Lokführer auf. „Der Hektometerstein mit der Aufschrift 46,2 am Bahnhof Pirna befindet sich aber deutlich vor dem Bahnhofsgebäude.“ Man müsse also die Entfernung zum Bahnhofsgebäude noch dazurechnen. Genauso ist die Lage am Haltepunkt Pirna-Copitz Nord. Auch hier steht der Stein vor dem eigentlichen Bahnsteig. Die Anzeigen sind also genau, aber nicht grundlegend für die Trassenberechnung der DB Netz.

Für Passagier Gerhard Schwenke ein deprimierender Fakt. „Warum gibt es nicht noch eine Tafel genau am Bahnhof, an der ich mich orientieren kann?“, fragt er. Dass solche Tafeln fehlen, komme leider vor, gesteht ein Sprecher der Bahn ein. Es bleibt festzuhalten, dass Kunden wie Gerhard Schwenke im Zweifel lieber beim Zugbegleiter nachfragen sollten. In seinem Fall zeigte sich die Städtebahn Sachsen kulant, aber eine Garantie dafür gibt es nicht.