Ein Rad-Star paukt Mathe und Physik

Berlin. Die Anstiege der Pyrenäen, die steifen Brisen am Atlantik, die Jagden durch die Ardennen und die langen Trainingstouren auf den Landstraßen der Mark Brandenburg – all das war für Jahrzehnte das Leben der Radlegende Jens Voigt. Die Corona-Krise zwang auch den 48-Jährigen zu ungewohnter Ruhe. Zeit also für ein Interview.
Herr Voigt, womit beschäftigen Sie sich im Moment?
Mit Radsport. Mit Mark Milde, dem Race-Direktor des Berlin-Marathons, wollten wir im Juni den Velo-City auf die Räder stellen. Wegen der Corona-Krise klappt das nicht. Jetzt sind wir am Grübeln, ob wir diese Veranstaltung in den Herbst verlegen. Ansonsten habe ich mit meiner Frau Stephanie ein neues Hobby. Wir haben uns einen Katalog gekauft und beschäftigen uns nach dessen Ratschlägen mit Gartenarbeit.
Wie haben Sie mit ihren sechs Kindern die letzten Wochen zu Hause erlebt?
Mit Marc (24) und Julian (20) saßen wir öfter vor dem Computer und haben die Vorträge der Professoren verfolgt. Mit Adrian (16), Kim-Jelena (14), Maya (12) und Jelena (9) haben wir die Hausaufgaben gemacht, natürlich auch alles online. Ich bin durchs Unterrichten unserer Kinder auf keinen Fall dümmer geworden.
Französisch und Englisch beherrschen Sie perfekt, das dürfte zumindest kein Problem sein, oder?
Mit den Sprachen hatte ich keine Schwierigkeiten, aber bei Mathe oder Physik zum Beispiel musste ich schon öfter ganz schön tief im Gedächtnis graben. Mein Abi liegt schließlich 30 Jahre zurück. (Aber immerhin mit Eins, Anm. d. A.).
Inwieweit sind Sie noch in den Profi-Radsport involviert?
Ich bin weiter als Berater beim US-Team Trek-Segafredo unter Vertrag. Außerdem werde ich als Co-Kommentator beim Fernsehen eingesetzt, im vorigen Jahr zum Beispiel für den amerikanischen Sender NBC.

Sie stehen mit den Profis in Verbindung. Wie sieht deren Training aus?
Das ist ganz verschieden. In den USA können die Fahrer ganz normal trainieren. Bei uns in Deutschland geht das in Zweier-Gruppen auch, wenn die Sportler korrekt mit dem gebührenden Abstand hintereinander fahren. Unter den Einschränkungen haben besonders die Spanier gelitten. Sie konnten nur zu Hause auf dem Hometrainer üben. Zwei Stunden früh und zwei Stunden nachmittags. Das ist nervend. Für die Spanier war es wie eine Befreiung, als sie am vergangenen Sonntag wieder auf den Straßen trainieren durften.
Schwingen Sie sich noch auf das Rad?
Fast jeden Tag. Ich fahre aber nur durch den Grunewald oder über den Teufelsberg.
Waren Sie in diesem Jahr schon in der Jens-Voigt-Straße 1 in Dassow bei Ihren Eltern in Mecklenburg?
Zweimal vor der Corona-Krise. Im Moment geht das leider nicht. Meine Schwester wohnt in Lübeck und hat mir erzählt, sie fühlt sich wie vor 30 Jahren. Sie schafft es kaum, zu unseren Eltern zu kommen.
Die Tour de France soll vom 29. August bis 20. September rollen. Wie kann das gehen, wenn die Profis vorher keine Rundfahrten und keinen Klassiker bestreiten durften?
Wir werden trotzdem eine spannende Tour erleben. Vielleicht stehen plötzlich Rennfahrer im Licht, mit denen keiner gerechnet hat. Durch die ungewöhnliche Vorbereitung und die fehlende Rennpraxis können überraschende Ergebnisse herauskommen. Ich gehe davon aus, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit der Tour 2020 auf alle Fälle langsamer als sonst sein wird.
Das wäre doch was für Sie!?
Auf alle Fälle ist eine langsamere Tour für Ausreißversuche kein Nachteil.
Das Interview führte Manfred Hönel.