Lebensglück in Löbau

Seinen Hut als Löbaus Amtsgerichtsdirektor hat Karl Keßelring bereits mit dem Jahreswechsel 2012/13 genommen. Aber mit der Stadt selbst hat der großgewachsene Franke mit der markanten Glatze noch immer was am Hut. Karl Keßelring lebt in seinem Haus in Löbaus Musikerviertel, das er schon zu seinen Amtszeiten bewohnte. Inzwischen aber ist auch Ehefrau Monika mehr als nur Gast in der Löbauer Villa: "Seit Juni 2018 bin ich im Ruhestand und wir leben gemeinsam hier", sagt die Medizinerin, die bisher der Arbeit wegen pendelte.
Dass ihr Mann den Übergang von Arbeitsleben in den Ruhestand somit allein meistern musste, hält Monika Keßelring durchaus für eine gute Fügung: "So musste er sich etwas Neues suchen", sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln. Seit genau zwei Jahren ist der 65-Jährige nach zuletzt fünfjähriger Tätigkeit als Vorsitzender Richter am Bautzener Landgericht im Ruhestand - oder besser im Unruhestand. "Ich gebe zu, der Übergang war eine Herausforderung für mich", erklärt Keßelring unumwunden. Aber getreu dem Motto "Wer rastet, der rostet", hat sich der Jurist neue Steckenpferde gesucht, die mit der Rechtswissenschaft nichts zu tun haben. "Ich habe mich intensiv mit Computertechnik beschäftigt", erzählt er. Zu den vielen Fertigkeiten, die er dabei inzwischen erlangt habe, zähle auch eine Künstlerische: Mit speziellen Programmen haben sowohl er als auch seine Frau kleine Kunstwerke, Bilder, speziell bearbeitete Fotografien erschaffen, die jetzt die Wände in ihrem Haus zieren.
Da Karl Keßelring aber immer auch buchstäblich in Bewegung sein muss, hat er auch seine Sportbegeisterung weiter gepflegt: Der Mann, der in seiner Jugend von Schwimmen über Rudern bis zu Handball allerlei ausprobiert hat, läuft nach wie vor leidenschaftlich gern - durch Löbau. "Zum einen habe ich hier Wege am Fuße des Löbauer Berges, zum anderen laufe ich in die Stadt hinein", erzählt er. Seine Touren, die er meist in der Dämmerung unternimmt, haben ihn in den vergangenen Jahren auch immer über das Baugeschehen in Löbau sprichwörtlich auf dem Laufenden gehalten, denn die Baustellen erst am Altmarkt und dann auch rund um den Neumarkt und den Promenadenring hat Karl Keßelring regelmäßig verfolgt.
Den Sport, den er treibt, sieht der Wahl-Löbauer als Tribut an seine Gesundheit, denn dafür müsse man schon etwas tun, hat der schlanke Mann festgestellt. Das heißt aber nicht, dass Karl Keßelring Genuss scheut - im Gegenteil: Einen guten Tropfen Wein genießt der Sohn eines fränkischen Weingroßhändlers ebenso gern wie einen guten chinesischen Tee oder ein frisches Bier. Beim Bier hat Keßelring in den vergangenen Jahren die kleinen Craft-Brauereien entdeckt, die es beispielsweise auch hinter der tschechischen Grenze in einigen Orten gibt. Ohnehin bevorzugt er ein Frischgezapftes vom Fass. Während er beim Sport nach eigenem Bekunden kein Vereins-Typ ist, hat er sich jedoch einem Tabak-Club angeschlossen. "Wir treffen und einmal im Monat in der Löbauer Innenstadt, rauchen Zigarre, trinken etwas Gutes", erzählt der 65-Jährige.
Das Leben in der Kleinstadt Löbau mag Karl Keßelring. Bedroht oder "schief angeguckt" worden sei er trotz seiner Arbeit nie, betont er. Auch wenn er im Gerichtssaal immer wieder in gesellschaftliche und menschliche Abgründe gesehen hat - seine Begeisterung für Löbau und die Menschen hier, ist ungetrübt. In letzter Zeit hat er aber das Gefühl, dass Löbau mehr darum kämpfen sollte, nicht abgehängt zu werden: "Wir brauchen junge Leute, ein Hochschulinstitut, gut wäre ein Kino oder auch ein, zwei Gastspiele des Gerhart-Hauptmann-Theaters pro Jahr", macht er eine Wunschliste auf. Politisch, so sieht es Keßelring, habe es in den vergangenen Jahren einige Defizite gegeben: Der Behördenabbau in Löbau, die geplante weitere Zentralisierung des Landratsamtes, die unvollendete B 178 sieht er kritisch. "Man kann eine Stadt nicht leer saugen und Geld kann nicht das einzige Argument sein", argumentiert er.
Seit einiger Zeit ist sein juristisches Interesse neu erwacht. So bilde er sich in Europarecht und zum Thema Personenschäden bei Unfällen weiter. Selbst wieder als Anwalt arbeiten, das hat er derzeit nicht vor. "Aber ich unterstütze unsere große Tochter, die Anwältin ist", schildert er seinen Antrieb. Gut in Erinnerung geblieben ist ihm aus seiner Dienstzeit so einiges: Darunter ist auch der Betrugs-Fall bei der Löbauer Wobau, wo eine Mitarbeiterin ins Gefängnis musste, weil sie Gelder veruntreut hatte. Auch ein Vergewaltigungs-Prozess, bei dem bis zum Ende Aussage gegen Aussage stand, ist ihm noch präsent - ebenso wie zahlreiche aufwendige Verfahren gegen Schleuser oder ungezählte Fälle von Parkplatzremplern.
Seine beiden Töchter - und sein erstes kleines Enkelkind, das im Mai vergangenen Jahres auf die Welt gekommen ist - sieht er wegen der Entfernungen nicht allzu oft. Aber das wird sich im Frühling und Sommer wieder etwas ändern: "Ich mag den Frühling und Sommer, da bin ich gern unterwegs", sagt er. Wenn es zeitig dunkel werde, mache er es sich lieber im Haus mit einem guten Buch gemütlich.
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