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Käferkunde in der siebten Stunde

Schüler des Bischofswerdaer Goethe-Gymnasiums präparieren Insekten. Das Schulprojekt ist sachsenweit einzigartig.

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© Rocci Klein

Von Theresa Hellwig

Bischofswerda. Vorsichtig pustet Pauline Dreier die Flügel des Schmetterlings auseinander. Sie hält das Insekt zwischen Daumen und Zeigefinger an seinem Körper. Als sich die Flügel weit genug öffnen, sticht sie zu: Blitzschnell und geschickt piekst sie eine Nadel durch den Körper des Insekts.

Was brutal klingt, hat vielmehr etwas mit Achtung vor der Natur zu tun: Pauline ist eine von sieben Jugendlichen, die am Goethe-Gymnasium bei Kornelia und Hartmut Jornitz, beide ehemals Biologielehrer in Bischofswerda, einen Insektenpräparationskurs besuchen. Der Schmetterling war bereits tot und soll nun ein Ausstellungsstück in der Sammlung der Schule werden.

An diesem Tag widmen sich Pauline, Leopold Sende, Armin und Leon Winkler, Elisabeth Mohr, Ian-Michael Glänzel und Helen Freudenberg Zitronenfaltern und Pfauenaugen. Pauline legt ihren blassgelben Falter vorsichtig auf ein sogenanntes Spannbrett; ein Holz, das in der Mitte eine Vertiefung für den Körper des Tieres hat. Auf die Flügel legt sie jeweils eine Folie, die sie mit Nadeln auf dem Brett verspannt. Still wird es im Raum, es herrscht eine konzentrierte Atmosphäre. Neben Pauline murmelt Leopold: „Och komm, Kleiner...“ Und Pauline sagt: „Der eine will nicht“, und blickt konzentriert drein, als sie versucht, den Flügel mit einer Nadel in die richtige Position zu bringen. Dann verspannt sie das Tier mit der Folie und Nadeln auf dem Brett. Denn damit auch alle Merkmale der Insekten gut zu erkennen sind, sollen die Flügel aufgespreizt sein.

Jeden Freitag in der siebten Stunde treffen sich die Schülerinnen und Schüler zum sogenannten Ganztagesangebot, also einer Art freiwilliger Unterrichtsstunde, um Insekten zu präparieren, alte Schaukästen aufzuarbeiten, Unterrichtsmaterial für Mitschüler anzufertigen. Eine Weile lang mussten sie deshalb fleißig Pralinen essen: Die durchsichtigen Plastikkästen dienen nun als kleine Insektarien. Jeweils vier Tiere befinden sich darin. Im Unterricht müssen die Schüler nun die Insektengruppe erkennen: Käfer, Schmetterling, Zwei- oder Hautflügler? Wer ist hier was?

Stolz zeigen die Kursteilnehmer ganz alte Insektarien, die etwa vom Beginn des 20. Jahrhunderts, aus der Gründungszeit des Gymnasiums, stammen müssen. Einige der Körper sind schon zerfallen, von Parasiten zerfressen. Für diese Krabbeltierchen ist es bereits zu spät – doch einige andere, besser erhaltene, können noch gerettet werden. Die Jugendlichen betten diese um, setzen sie in neue Insektarien, die luftdicht verschlossen sind. Sie fertigen Beschriftungen an, damit das Ganze auch wissenschaftlich wertvoll ist.

Spezialgebiet: Schmetterlinge

Nur Schüler, denen Hartmut und Kornelia Jornitz die Verantwortung zutrauen, dürfen am Kurs teilnehmen. Denn Insekten zu fangen und sogar zu töten, das benötigt Fingerspitzengefühl. „Die Schüler werden hier an ein Ausnahmegebiet herangeführt“, erzählt Kornelia Jornitz. „Das ist vielleicht sogar sachsenweit einzigartig.“

Schon seit seinem 13. oder 14. Lebensjahr, so genau erinnert er sich nicht, interessiert sich Hartmut Jornitz für Insekten. Damals, noch zu DDR-Zeiten, hatte ein Lehrer ihn und seine Mitschüler aufgefordert: Sammelt Käfer, um eure Note aufzubessern! Später wurde er selber Lehrer – und, mit Herzblut, Entomologe, also Insektenforscher. Sein Spezialgebiet: Schmetterlinge. Um den Bestand zu überwachen, darf er auch bedingt Insekten fangen. Zu Forschungszwecken. Das Ziel dabei: die Population zu überwachen, besondere Exemplare als Lehrmaterial aufheben. Ab und zu fährt das Lehrer-Ehepaar deshalb mit seinen Schützlingen in die Natur auf Exkursion. Dann dürfen die Schüler helfen, Insekten zu zählen. „Die prachtvollsten Ergebnisse erzielt man beim Nachtfang“, erzählt Leopold. Auf dem Plan steht aber auch das Bauen von Insektenhotels.

Denn: „Der Naturschutz steht für uns an erster Stelle“, stellt Hartmut Jornitz klar. Erst vor Kurzem ging eine Studie wie ein Weckruf durch die Medien: Es gibt immer weniger Insekten. Was unter dem Schlagwort „Insektensterben“ bekannt ist, kann verheerende Folgen für die Menschheit haben. Und auch Hartmut Jornitz warnt: „In den letzten 30 Jahren sind 70 Prozent der Schmetterlinge verschwunden!“ Die Landwirtschaft, die Verdichtung der Böden, die immer großflächigere Bewirtschaftung von Wald und Wiesen – der Entomologe sieht viele Ursachen. „Die Vegetation wird überall kurzgehalten, nichts blüht mehr“, sagt er bedrückt. Hartmut Jornitz rät deshalb dazu, im Garten auch mal eine Brennnessel, ein paar Büsche stehen zu lassen, das Gras nicht alle halbe Woche zu mähen.

Die Schmetterlinge, die der Kurs an diesem Tag präpariert hat, hat Hartmut Jornitz für den Unterricht gezüchtet. Sie kommen nun in einen Lagerraum, werden dort für etwa vier Wochen trocknen. Dann werden sie erstarrt sein, die Flügel von sich gestreckt, schön drapiert für die Ewigkeit.