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Karpfenfahne lockt Japaner nach Marbach

An einer Universität in Hyogo gehen Professoren dem Ursprung einer Tradition auf den Grund. Die Recherche führte sie nach Sachsen, genau nach Marbach.

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© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Striegistal. Eine Männerfreundschaft, die nur wenige Jahre Bestand hatte, führt auch 80   Jahre später noch Menschen aus Japan und Deutschland zusammen. Genau das – eine Völkerverständigung ohne Angst vor Strafen – hatten sich die beiden Freunde Eiichi Doi aus Sendai und Johannes Schröder aus Marbach zu Lebzeiten gewünscht. Sie beide konnten dazu nur bedingt etwas beitragen. Denn Eiichi Doi starb schon im Alter von 24 Jahren an der Lungenkrankheit Tuberkulose. Dass Johannes Schröder seinen Freund nie gesehen hat, aus finanziellen Gründen nicht nach Japan reisen konnte, machte ihm eine Zeit lang zu schaffen. Das erzählte die Enkeltochter des Marbacher Lehrers und Kantors Monika Henkel vor Kurzem einer kleinen Delegation aus Japan am Grab der Familie, in dem sich auch die Urne Eiichi Dois befindet.

Vor der Rosentalschule flatterten einst japanische Karpfenfischflaggen im Wind, wie hier in einem Zeitungsausschnitt ist auch Eiichi Doi zu sehen.
Vor der Rosentalschule flatterten einst japanische Karpfenfischflaggen im Wind, wie hier in einem Zeitungsausschnitt ist auch Eiichi Doi zu sehen. © Sammlung Familie Schröder
Johannes Schröder lebte von 1885 bis 1954. In den Jahren 1905 bis 1945 unterrichtete er an der Marbacher Rosentalschule.
Johannes Schröder lebte von 1885 bis 1954. In den Jahren 1905 bis 1945 unterrichtete er an der Marbacher Rosentalschule. © Henkel

Die beiden Männer waren Brieffreunde. Schreiben konnten sie sich zunächst in Esperanto, einer Plansprache, die zu einer Weltsprache werden sollte. Sie tauschten sich in langen Briefen aus. Die Freundschaft wurde so eng, dass Eiichi Doi in seinem Testament verfügte, dass er in Deutschland bei seinem „besten Freund“ beigesetzt werden will. Weil man seinen letzten Willen erst später fand, wurde die Asche auf zwei Urnen verteilt. Eine kam 1935 auf dem Seeweg nach Hamburg – und nur noch ganz knapp pünktlich in Marbach zur Trauerfeier an. Während sich Schröder schon auf den Weg in die Hansestadt gemacht hatte, war die Urne auf dem Postweg nach Marbach unterwegs.

Mit der Beisetzung auf dem Friedhof in Marbach riskierte der Lehrer Schröder sein Amt, wie seine Enkelin erzählte. Der Machthaber Hitler hatte Esperanto verboten, der Erfinder, ein polnischer Jude, war unerwünscht. Obwohl der Akt auf dem Friedhof öffentlich wurde, blieb Monika Henkels Großvater von Repressalien verschont. Noch bis 1945 unterrichtete er an der Rosentalschule. Dort ist auch ein Foto entstanden, das später in der japanischen Presse veröffentlicht wurde. Darauf zu sehen ist die Schule im Hintergrund. Vor ihr stehen junge Menschen an sogenannten Karpfenfischflaggen. Genau diese Flaggen beschäftigen Professoren an der Universität in Hyogo. Einer, Tetsu Nakamaru, hatte sich vor Kurzem nach Marbach aufgemacht. Aber weshalb genau? Wegen der Flaggen, die in Japan eine lange Tradition haben. Genau die ergründen die Wissenschaftler. Für Nakamaru ist Marbach der Ort, an dem solche japanischen Flaggen erstmals in Deutschland im Wind wehten. Bei diesen Koi-Nobori, sogenannten Karpfenfahnen, handelt es sich um eine Art Windsack. Die Aufhängung ähnelt einem Karpfenmaul. Der Wind bläht den Fisch auf, er scheint in der Luft zu schwimmen.

Die Fahnen in Marbach – zumindest auf dem Foto – sehen gleich groß aus. In Japan wird das häufig etwas anders gehandhabt. Dort werden vor Häusern und Schulen am 5. Mai, dem japanischen Knabenfest, Flaggen in unterschiedlicher Größe und Farbe gehisst. Sie stehen für die Eltern und die Sprösslinge. Auch einen Mädchenkindertag gibt es in Japan.

Die japanische Delegation hat in Begleitung von Ortsvorsteher Bernd Emmrich und Familienangehörigen von Johannes Schröder die Grabstelle besucht. Die Japaner schauten sich die Kirche an, wo Schröder an der Orgel saß, liefen an der Schule vorbei und ließen sich in der Seifenmanufaktur zeigen, wie Seife hergestellt wird. Auch bei Kämmerer Francis Kuhnke klopften sie an. Das war übrigens nicht das erste Mal, dass Japaner bei der Verwaltung vorstellig wurden. Schon Bürgermeister i.R. Armin Zill empfing Japaner.

Japan hat auch für die Nachfahren von Johannes Schröder immer wieder eine Rolle gespielt. Urenkel Thomas Henkel arbeitete dreieinhalb Jahre in Japan und besuchte dort das Museum für den berühmten Dichter Bansui Doi, dessen einziger Sohn der in Marbach beigesetzte Eiichi ist. Urenkel Andreas Henkel, Pianist aus Dresden, führten Konzertreisen nach Japan. Bei einer erfuhr er, dass es noch Nachkommen der Schwester Eiichis gibt. Zu ihnen würden die Henkels gern Kontakt aufnehmen.