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Waggonbau Niesky pleite - der Investigativreport

Ein wenig interessierter Finanzinvestor und ein umtriebiger Ex-Chef haben die Pleite des großen sächsischen Traditionsunternehmens zu verantworten. Nun sind sie in Deckung gegangen.

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© André Schulze

Von Ulrich Wolf

Der Mann hatte sicher anderes vor zwischen Weihnachten und Silvester. Am 28. Dezember aber, gegen 15 Uhr, setzt sich Eduard Janßen an seinen Schreibtisch. Er formuliert eine Pressemitteilung. Erst seit drei Monaten als Geschäftsführer der Waggonbau Niesky GmbH tätig, wählt der erfahrene Bahnindustrie-Manager eine nüchterne Überschrift: „WBN Waggonbau Niesky mittels Insolvenzverfahren bilanziell neu aufstellen“. Erst am 2. Januar geht das Schriftstück an die Medien raus. In Niesky ist man fassungslos. Für 320 Mitarbeiter sowie 700 Beschäftigte bei Zulieferern und Zeitarbeitsfirmen im ohnehin wirtschaftlich gebeutelten Ostsachsen beginnt das neue Jahr mit einer Hiobsbotschaft.

Er verkaufte das angebliche Wunder von Niesky wie kein anderer: Thomas Steiner. Im Oktober 2017 wurde er als Geschäftsführer fristlos entlassen, erhielt sogar Hausverbot.
Er verkaufte das angebliche Wunder von Niesky wie kein anderer: Thomas Steiner. Im Oktober 2017 wurde er als Geschäftsführer fristlos entlassen, erhielt sogar Hausverbot. © André Schulze

Drei Wochen später. Janßens Leute stehen vor dem Werkstor und demonstrieren. Sie frieren bei einem eiskalten Wind, gelegentlich schneit es. Die Industriegewerkschaft Metall hat zum Protest aufgerufen, ihr Ostsachsen-Chef ruft ins Mikrofon, der Werkseigentümer habe nichts als „Glasbruch“ hinterlassen.

WBN gehört jetzt Gesellschaften der Firmengruppe Quantum aus München. Eine von Quantum beauftragte PR-Agentur in Köln weist die Vorwürfe des Gewerkschaftlers zurück. Man habe einen siebenstelligen Betrag in den Waggonbau investiert und sei auch jetzt
„– je nach Sanierungsoption – grundsätzlich bereit, einen Beitrag zu leisten“.

Tatsächlich?

Das Interesse des Finanzinvestors an Niesky scheint nicht sonderlich groß zu sein. Während die Mitarbeiter Zukunftssorgen plagt und Geschäftsführer Janßen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter an einem Rettungsplan arbeitet, weilt Quantum-Chef Steffen Görig im Mittleren Osten: als Mitglied einer fünfköpfigen Fahrercrew für das 24-Stunden-Rennen von Dubai. Bilder im Internet zeigen den 48-Jährigen mit Sonnenbrille im Pilotenanzug an der Rennstrecke. Auf dem Boliden, einem Lamborghini Huracan GT 3 mit der Startnummer 66, prangt an den hinteren Radkästen der Schriftzug „Quantum“.

Man hätte Görig gern gefragt, warum er sich so verhält. Das und noch viel mehr. Doch ein bereits vereinbartes Treffen in München sagt Quantum kurzfristig ab. Zum Waggonbau Niesky werde die Quantum-Geschäftsführung derzeit nichts sagen, teilt der Pressemann aus Köln mit.

Görig ist Ärger gewohnt. Seit 2007 ist er als Finanzmanager unterwegs, zunächst in der Schweiz. Es ist eine Branche, in der es nicht gerade zimperlich zur Sache geht: marode Firmen kaufen, sanieren und mit Gewinn wieder verkaufen. Fast immer mit dem Geld anonymer Investoren, die ordentliche Renditen erwarten. Dass der Quantum-Chef mit diesem Geschäftsmodell häufig auf Widerstand der Belegschaft in den betroffenen Unternehmen stößt, verwundert wenig. Wer lässt schon gerne seinen Arbeitsplatz wegrationalisieren?

2013 hat Görig sich selbstständig gemacht und die Quantum Capital Partners gründet. In nur neun Monaten gelingt es ihm und seinem Team, 50 Millionen Euro aufzutreiben. In einem Branchenreport heißt es: „Die Investoren setzten sich neben Quantum selbst aus einer Gruppe von profilierten US-amerikanischen und europäischen institutionellen Investoren zusammen.“

Die Münchner schlagen zu. Bis zu 20 Firmen aus Westeuropa stehen zeitweise auf ihrer Beteiligungsliste. Mittelständler aus unterschiedlichen Branchen. Mancher Deal geht gut, mancher schief. In Baden-Württemberg etwa erwarb Quantum eine Großbäckerei – die dann doch pleiteging. Der Stuttgarter Zeitung sagte damals ein Quantum-Manager: „Wir haben den Investitionsstau unterschätzt.“ Man benötige 1,5 Millionen Euro, die Quantum jedoch nicht aufbringen könne.

Das erinnert an Niesky. Aus Unternehmenskreisen des Waggonbauers heißt es, zum Jahresende 2017 hätten rund fünf Millionen Euro gefehlt. Quantum sei nicht bereit, dieses Loch zu stopfen. Von 2014 bis 2016 hatte der Waggonbau noch Gewinne gemacht: Den Geschäftsberichten zufolge waren es rund 3,8 Millionen Euro. Netto.

Rückblick. Frühling 2014. Quantum löst die Deutsche Bahn als Hausherr des Waggonbaus in Niesky ab. Die Münchner stimmen einer Beschäftigungsgarantie bis zum 31. Dezember 2017 zu. Als Dreingabe erhält der Standort eine im Geschäftsbericht nicht näher erklärte „Startfinanzierung“ von 5,6 Millionen Euro. Was fehlt, ist ein neuer Chef. Fündig wird Görig in der Schweiz.

Dort, in einem Dorf im Kanton Zürich, hat Thomas Steiner seinen Wohnsitz. Als Quantum ihn anruft, habe er nicht lange überlegt, erzählte er in einem früheren SZ-Gespräch. „Niesky war für mich die richtige Aufgabe für das nächste Jahrzehnt. Den einzigen großen Güterwagenhersteller in Deutschland leiten, das ist doch was!“

Aufgewachsen im Siegerland hat der gelernte Maschinenbauer eine beeindruckende Karriere hingelegt. Zumindest stellt er sie so dar. Demnach war er nach seiner Zeit als Vertriebsmanager beim Schienenfahrzeugbauer Adtranz gut zehn Jahre lang als Berater und Repräsentant für nahezu alle großen Schienenlogistikfirmen der Welt tätig: in China, in Frankreich, in Indonesien, in Österreich, in Polen, in Schweden, in Südkorea.

Ein Vertriebsspezialist wie aus dem Bilderbuch? Es sieht so aus. Steiner holt einen Auftrag nach dem anderen nach Niesky: Waggons für den Eurotunnel, Waggons für die Schweizer Post, Waggons für den Düngemittelkonzern Kali + Salz. Steiner lässt Schweißbaugruppen in China fertigen. Auf der Fachmesse Innotrans präsentiert er ein Drehgestell, das zum Teil aus leichtem Kunststoff statt schwerem Stahl besteht, geräuscharm fährt und Energie spart. Ein Publikumsmagnet. „Da winkt uns ein Auftrag über 2 000 Stück“, jubelt Steiner.

Niesky geht durch die Decke, Banken werden aufmerksam. Die HSH-Nordbank in Hamburg etwa teilt mit: „Es freut uns besonders, dass wir jetzt Kernbank dieses deutschen Traditionsherstellers werden konnten.“ Sieben Finanzinstitute sitzen letztendlich mit im Boot. Sie sichern mit Avalkrediten die von den Waggonbau-Kunden selbst vorfinanzierten Aufträge ab.

Im April 2016 erwirbt Quantum eine weitere Firma der Bahnindustrie: das Instandhaltungswerk im brandenburgischen Eberswalde. Geschehen ist das wohl auf Druck von Steiner. Denn der hat einen Plan: „Wir werden in Eberswalde Instandhaltungen, Umbauten, Modernisierungen und Revisionen aller Art durchführen.“ Tatsächlich erhält Eberswalde einen vier Millionen Euro schweren Auftrag aus Niesky, doch die Kooperation funktioniert nicht. Ende März 2017 geht das Eberswalder Bahnwerk in die Insolvenz.

Damals äußert sich Quantum-Chef Görig noch. Via Pressemitteilung lässt er mitteilen, man habe in Brandenburg „enorme personelle und finanzielle Ressourcen in Höhe von über einer Million Euro investiert“. Dies sei geschehen, „nicht zuletzt wegen unseres ausgesprochen erfolgreichen Engagements beim Waggonbau in Niesky“. Dort habe sich Steiner als „erfolgreicher Macher“ erwiesen.

Die Schuldigen für die Pleite hat Görig schnell bei der Hand: Die Eisenbahnergewerkschaft habe „einen erheblichen Beitrag zu angepassten Kostenstrukturen verweigert“; die Arbeitsagentur habe wider Erwarten den Antrag auf Kurzarbeitergeld negativ beschieden; Steiner habe einen Unfall gehabt und somit habe „der zuversichtliche und hochmotivierte Kopf für den Neustart“ gefehlt; ein Auftrag sei wegen fehlender Zertifikate entzogen worden; Brandschutzkonzepte hätten „wertvolle Ressourcen“ gekostet.

Eberswalde stellt so etwas wie eine Zäsur dar im Wirken von Quantum und Steiner. In jenem März berichtet nach SZ-Informationen der damalige Nieskyer Firmenchef hinter dem Rücken der Eigentümer sächsischen Regierungskreisen, der Waggonbau habe zwar eine gute Auftragslage, aber Quantum ziehe Gewinne in Millionenhöhe ab. Steiner äußert sich inzwischen dazu weder schriftlich noch telefonisch.

Quantum selbst hat Ende 2015 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 280 000 Euro in der Bilanz. Obwohl sich die Münchner in Niesky zumindest 2014/15 ein Stück Kuchen gegönnt haben: 1,5 Millionen Euro stellten sie als Managementgebühr in Rechnung. 3,4 Millionen Euro kassierten sie als Ausschüttung. Zudem gab es „Entnahmen aus der Kapitalrücklage“ in Höhe von acht Millionen Euro. Ob diese Summe tatsächlich nach München ging oder nur Mittel einer bilanziellen Korrektur war – auch dazu äußert sich Quantum nicht.

Die HSH-Nordbank gewährt im Frühsommer 2017 für Niesky einen Neun-Millionen-Kredit. Nicht nur in Gewerkschaftskreisen heißt es, dieses Geld sei an den Finanzinvestor gegangen, Zins und Tilgung aber müsse allein der Waggonbau stemmen. Quantum jedenfalls muss wegen dieses Kredits „sämtliche Geschäftsanteile“ verpfänden.

Auch auf dem Werksgelände im Wert von 2,5 Millionen Euro soll die Bank ihre Hand drauf haben. In der Bilanz 2016 ist es zumindest nicht mehr als Eigentum des Waggonbaus aufgeführt.

Steiner ist ebenfalls kein Kostverächter. Aus der Firmenkasse gewährt er sich ein Privatdarlehen von 126 000 Euro. Quantum lässt ihm Leine. Steiner sagt über die Münchner: „Sie sind selten hier, weil die Zahlen stimmen“ – und reist weiter durch die Welt, vor allem nach China.

Schon Ende 2015 hieß es, das Werk solle an den weltgrößten Schienenfahrzeugbauer in Peking verkauft werden. Im April 2016 ist in Dresden bereits alles für die Unterzeichnung vorbereitet, doch die Chinesen sagen kurzfristig ab. Dennoch soll Steiner für die Geschäftsanbahnung 360 000 Euro erhalten haben.

Er bringt alsbald einen zweiten Interessenten aus China ins Spiel, die sächsische Wirtschaftsförderung reist nach Fernost, erzielt so etwas wie eine Absichtserklärung – doch wieder platzt der Deal. Schließlich wird im November 2017 auf der China-Reise von Ex-Ministerpräsident Stanislav Tillich ein dritter Anlauf unternommen. Es wird wieder nichts. Quantum betont, der Dialog mit den Chinesen habe sich „nie so konkretisiert, dass sie die Wirtschaftlichkeit der Waggonbau Niesky belastbar geprüft hätten“.

Das aber macht offensichtlich ein weiterer Interessent: die Hamburger Tochterfirma eines US-Beteiligungskonzerns. Denn kurz darauf endet Steiners Karriere abrupt. Quantum schmeißt ihn raus. Quantum-Chef Görig erklärt Anfang Oktober 2017 offiziell, er bedaure die Entscheidung Steiners, die Geschäftsführung „nach der erfolgreichen Neuausrichtung“ zu verlassen. Steiner habe „wertvolle Beiträge insbesondere zur Gewinnung neuer Aufträge geleistet“.

Intern hingegen muss Görigs Zorn auf den „anerkannten Bahnexperten“ immens gewesen sein. Quantum verweigert Steiner die Entlastung, erteilt ihm gar ein Hausverbot. Dem Quantum-Sprecher zufolge ist Steiners Entlastung erst dann ein Thema, sobald der Jahresabschluss 2017 testiert sei. Nur: Bislang ist noch nicht einmal der Geschäftsbericht 2016 veröffentlicht.

Eher zur Belastung wird Quantum danach für die sächsische Staatsregierung. Der Finanzinvestor will eine Landesbürgschaft, erst über zehn, kurz vor Weihnachten dann gar über 40 Millionen Euro. Hauptgrund sei der von Steiner akquirierte, aber überaus defizitäre Auftrag zum Bau von Salzwaggons, heißt es in den Gesprächen. Die Regierung lehnt ab, schon aus rechtlichen Gründen sei eine Bürgschaft dieser Höhe so kurz vor dem Jahreswechsel nicht zu stemmen.

Der neue Chef Eduard Janßen und der vorläufige Insolvenzverwalter indes müssen rotieren. Die Zeit für die Suche nach einem neuen Investor wird knapp, die Löhne für die Beschäftigten sind nur bis Ende Februar gesichert.

Ex-Chef Steiner hat nach eigenen Angaben einen neuen Job. Wo, sagt er nicht. Er verweist auf das Empfehlungsschreiben eines führenden Bahnindustrieforschers der TU Berlin. Der Professor wünscht darin „Herrn Dr. Steiner weiter gute Voraussetzungen, um seine sehr guten Fähigkeiten einzusetzen“.

Warum der Waggonbau Insolvenz angemeldet hat, verstehe er nicht, sagt Steiner. „Natürlich kann man alles kaputt rechnen.“ Immerhin biete sich nun eine Chance eines Neustarts mit einem „echten bahnaffinen Strategen, der sich mit dem Waggonbau und der Region identifiziert“. Allein bei ihm, sagt Steiner, hätten sich bereits drei mögliche Investoren gemeldet.

Quantum wird nicht darunter gewesen sein.