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Kein Traum vom glücklichen Landleben

Die Menschen in den Dörfern fühlen sich abgehängt. Wer näher an Dresden wohnt, hat’s besser.

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© Steffen Unger

Von Jana Ulbrich

So glücklich und sonnig wie auf Hochglanzfotos aus Werbeprospekten ist das Landleben in Wirklichkeit nicht. Wer bisher glaubte, Dorfbewohner seien die zufriedeneren Menschen, den belehrt die große SZ-Glücksumfrage eines Besseren: Gerade im ländlichen, eher dünn besiedelten Raum ist die Unzufriedenheit sogar größer als in der Stadt.

„Das Leben auf dem Land wird immer unattraktiver, und das ist traurig“, so bringt es ein Umfrageteilnehmer aus einem Dorf im Heide- und Teichland auf den Punkt. Ein anderer aus einem Ort in der Nähe von Kamenz listet die Probleme auf, die dem Traum vom glücklichen Landleben entgegenstehen: Es sind die steigenden Kosten für Müll, Wasser und Abwasser, die hohen Fahrtkosten, die langen Schulwege, die Mehraufwendungen und weiteren Wege für Kultur und Freizeitgestaltung, für die es vor Ort keine Angebote gibt.

So macht die Umfrage einen großen Unterschied in der Bewertung der Zufriedenheit deutlich: In Orten wie Malschwitz, Großdubrau, Radibor, Ohorn, Arnsdorf oder Cunewalde sind die Menschen deutlich unzufriedener als beispielsweise in Kamenz, Bischofswerda oder Radeberg. Das wird auch in den jüngsten Wahlergebnissen deutlich widergespiegelt: Die Orte mit der höchsten Unzufriedenheit sind auch die Hochburgen der Protest- und Nichtwähler. Linke, AfD und NPD holten hier die meisten Stimmenprozente.

Angst vorm Arbeitsplatzverlust

Woran diese Unterschiede zu messen sind, lässt sich allerdings nicht grundsätzlich verallgemeinern. Die Umfrageteilnehmer aus Arnsdorf beispielsweise geben die höchste Erfahrungsrate mit Gewalt und Kriminalität an. Jeder Fünfte hat hier angegeben, davon betroffen zu sein, in Ohorn dagegen kein Einziger. Im Oberland und im Raum Bischofswerda ist es vor allem das Sicherheitsgefühl, das das persönliche Glücksempfinden dämpft. Jeder Zehnte gibt im Durchschnitt an, von Gewalt und Kriminalität betroffen zu sein. Mehrere Umfrageteilnehmer geben an, ihre Angst vor Diebstahl und Gewalttaten sei groß.

Auch die Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust ist hoch. Im Durchschnitt gibt jeder dritte Umfrageteilnehmer an, schon einmal von Arbeitslosigkeit oder dem drohenden Arbeitsplatzverlust betroffen gewesen zu sein, in Haselbachtal sogar jeder Zweite, in Wilthen und Malschwitz mehr als 40 Prozent. In den Dörfern ist diese Angst größer als in den Städten des Kreises.

Was die Menschen auf den Dörfern ebenfalls eint, ist das Gefühl, immer weiter abgehängt zu sein. „Ohne eigene Mobilität ist kein Leben auf dem Dorf mehr möglich“, kommentiert ein Umfrageteilnehmer seine Kreuze auf dem Fragebogen. Christoph Mehnert vom regionalen Verkehrsverbund ZVON gibt ihm recht.

„Die Erschließung kleinerer Orte ist nur noch auf den Schülerverkehr ausgerichtet“, weiß er. Abends und an den Wochenenden fährt dann eben kein Bus. Eine Alternative wäre der Rufbus. Der aber wird kaum genutzt. Und genau das sei die andere Seite des Problems: Welcher Landkreis kann es sich schon leisten, eine Buslinie zu finanzieren, die kaum genutzt wird? Christoph Mehnert macht das an einem Beispiel deutlich: Zwischen Bautzen und Neustadt/Sachsen fährt eine gut und häufig getaktete Buslinie. In Weißnaußlitz steigt vielleicht einmal im Monat jemand ein oder aus. Auch an den Schulschließungen machen die Umfrageteilnehmer auf dem Land ihre Unzufriedenheit fest.

Seit der Wende sind in Sachsen mehr als 1 000 Schulen geschlossen worden, die meisten auf dem Lande. Aber gerade hier trifft es die Familien am schmerzlichsten, weil ihre Kinder viel weitere Wege als die Städter in Kauf nehmen müssen. „Wir empfinden das als eine große Benachteiligung, steht auf einem der Fragebögen aus dem Oberland.

Junge Leute zieht’s aufs Dorf

Manchmal täuscht aber auch das Gefühl. Dass Familien auseinandergerissen werden, die Kinder weit wegziehen und nur noch die Alten zurückbleiben, wie mehrere Umfrageteilnehmer anmerken, das lässt sich nicht unbedingt belegen. So gibt nur etwas mehr als jeder zehnte Umfrageteilnehmer an, mehr als 100 Kilometer von den Kindern oder Eltern entfernt zu leben. Städte und Dörfer machen bei diesem Umfrageergebnis keinen Unterschied. Und zunehmend zieht es auch wieder junge Familien aufs Dorf, was nicht nur den Bürgermeister von Cunewalde freut. Auch Holm Große, Geschäftsführer der Marketinggesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien, bestätigt, dass junge Leute ganz bewusst in die Region ziehen, die für viele einen hohen Lebenswert hat.

Und auch das bestätigt die SZ-Glücksumfrage. Insgesamt sind die Menschen mit ihrem Leben ganz zufrieden. Lebensstandard, Wohnumfeld, Familie, Nachbarn und Freunde bekommen auch auf dem Land die besten Glücksnoten. In den Orten, die im Speckgürtel oder nahe der Landeshauptstadt liegen, sind auch die Zufriedenheitswerte insgesamt hoch. Für die Bewertung spielt hier aber vor allem wieder das Einkommen eine Rolle, das mit der Nähe zu Dresden steigt – und die Menschen auch zufriedener macht.

›› Alle Analysen und Ergebnisse fassen wir in unserem Glücks-Spezial zusammen