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„Keine Feier ohne Baier“

Wilfried Baier war Pfarrer, Alltagslyriker und Leiter der Evangelischen Akademie der Görlitzer Landeskirche. Jetzt ist er mit 81 Jahren gestorben.

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Von Bettina Bertram

Für die Obermühlenwirtin waren die verwegen vertonten Gedichte mit dem Titel „Mischkompott“ und „Bonobo“ gewöhnungsbedürftig, aber an etlichen anderen Orten – Schloss Krobnitz, Steinstock Königshain, Kirche Markersdorf, Pfarrhausdiele Horka, Ehrlichthof Rietschen – galten die musikalisch-literarischen Lesungen mit Wilfried Baiers heiteren Lebensgeschichten immer als Selbstläufer und „Schenkelklopfer“. Auch die zeitgenössischen Vertonungen seiner Alltagslyrik durch den Komponisten und Musikprofessor Manfred Weiss, Baiers Nieskyer Schulfreund, wurden als „originell“ wahrgenommen.

Von einer vergessenen „Traufe“ (Trauung mit Taufe), vom Diensttrabanten, der unter der Anteilnahme der Landbevölkerung unfreiwillig im Dorfbach getauft wurde, und von einer abenteuerlichen Beerdigung in einem sorbischen Dorf mit allerhand abergläubischem Hokuspokus erzählen Baiers heitere Geschichten. Die gab er seit Beginn seiner Krankheit vor 18 Jahren, einer von den Füßen nach oben fortschreitenden Lähmung, Band für Band im Eigenverlag heraus. Immer wieder spielen darin Menschen, „die nicht im Rampenlicht stehen und dennoch Leuchtspuren des Segens hinterlassen“, bei ihm die Hauptrolle: Konfirmanden, die sich „Sioux“ nennen und ihn verschmitzt in ihre „Bude“ zum geklauten Hühnerschmaus einladen. Oder ein an Alzheimer erkrankter alter Mann, der sich selbst nicht mehr kannte, aber beim Klang von Baiers Waldhorn anfing, viele Choralstrophen zu singen. Bewegend ist die Begegnung mit einer Frau auf dem Sterbebett zu lesen, die den damals jungen Pfarranfänger mit ihrer Zuversicht beeindruckte: „Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade gegeben zu meiner Reise“, ist sie überschrieben.

Nun ist auch Wilfried Baier am Ziel seiner Lebensreise angekommen. Am Mittwochabend ist er mit 81 Jahren in Kunnersdorf gestorben. Die Nachricht traf in Markersdorf während der Übungsstunde des Kirchenchores ein, in dem er lange mitgesungen hatte. Nun wird er von der Markersdorfer Kirche aus, in der er 25 Jahre lang Pfarrer war, zur letzten Ruhe geleitet. Noch am letzten Wochenende hatte eine Bläserabordnung unter seinem Balkon in Kunnersdorf musiziert.

1933 war Wilfried Baier in Marklissa am Queis in eine Kantoren- und Lehrerfamilie geboren worden. Nicht nur die heiteren Anekdoten, auch die Tagebuchaufzeichnungen von der Flucht aus Schlesien, vom Kriegsende und vom Neubeginn sind äußerst lesenswert. Nach der Schulzeit in Horka und Niesky studierte Baier in Halle Theologie, war Pfarrvikar in Hoyerswerda und später Pfarrer in Ruhland, bevor er mit seiner Familie 1972 nach Markersdorf kam. Er war zugleich auch viele Jahre Leiter der Evangelischen Akademie der Görlitzer Landeskirche. 35 Jahre lang prägte er als leidenschaftlicher Landesposaunenpfarrer und sprachtalentierter Theologe die Posaunenmission der Görlitzer Kirche. Die Stasi konstatierte 1981: „Es kann eingeschätzt werden, dass der Pfarrer Baier die Fäden im Dorf zusammenhält und für die Stimmung im Dorf sorgt.“ Zu der Zeit bearbeitete sie den Pfarrer im Operativen Vorgang „Mission“. Der den Menschen immer zugewandte Theologe las auch in seinen Akten, dass die Stasi ihn für einen „verstockten Christen“ (in Ruhland) und für einen „Kommunistenhasser“ (in Markersdorf) hielt, der nach Paragraf 106 („Staatsfeindliche Hetze“) im Visier stand und im Falle einer DDR-Staatskrise für „vorbeugende erzieherische Maßnahmen“ in einem Internierungslager unterzubringen gewesen wäre.

Seiner Lebensfreude tat das keinen Abbruch. Kein runder Geburtstag in Markersdorf, an dem Baier nicht mit einer Bläserabordnung erschienen wäre. „Keine Feier ohne Baier!“, diesen Witz prustete Baier noch, als er schon krumm vor Krankheit war, die Sprechwerkzeuge erlahmt waren und er im Rollstuhl von treuen Freunden zu Gemeindefesten und Konzerten gebracht wurde. Das lebendige Interesse an seinen Mitmenschen und an der Musik blieb bis ins hohe Alter ungebrochen.