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Kinder benötigen mehr Betreuer

In Uhsmannsdorf weisen Erzieherinnen aus Niesky und Weißwasser auf schlechte Arbeitsbedingungen hin. Die schaden ihnen und den Kleinsten.

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Von Alexander Kempf

Die Zeit der warmen Worte ist vorbei. Denn sie helfen nicht, wenn am Nachmittag eine Erzieherin, weil eine Kollegin fehlt, die Verantwortung für 26 Kinder trägt. Darunter fünf Krippenkinder, erzählt die Leiterin der Kindertagesstätte „Gummistiefelchen“ aus eigener Erfahrung. Wenn sich nun noch ein Kind in die Hose macht, sei das Chaos perfekt. „Das ist Körperverletzung!“, sagt Ilona Pfuhl. An den Kindern, aber auch an sich selbst.

Jan Hrdlika ist Vorsitzender des Vereins Kinderland Gummistiefelchen. Der ist Träger der gleichnamigen Kita in Uhsmannsdorf. Fotos: André Schulze
Jan Hrdlika ist Vorsitzender des Vereins Kinderland Gummistiefelchen. Der ist Träger der gleichnamigen Kita in Uhsmannsdorf. Fotos: André Schulze © André Schulze
Ilona Pfuhl ist Leiterin der Kita Gummistiefelchen in Uhsmannsdorf. Die beteiligt sich an der Kampagne „Weil Kinder Zeit brauchen“.
Ilona Pfuhl ist Leiterin der Kita Gummistiefelchen in Uhsmannsdorf. Die beteiligt sich an der Kampagne „Weil Kinder Zeit brauchen“. © André Schulze

Wegen Situationen wie diesen regt sich Protest von Görlitz über Niesky bis Weißwasser. Mit der Kampagne „Weil Kinder Zeit brauchen“ wollen die Erzieher auf ihre extremen Belastungen hinweisen. Sie üben scharfe Kritik an der sächsischen Regierung, die nach Meinung der Erzieherinnen nicht die notwendigen Bedingungen schafft, um die ambitionierten Anforderungen zu bewältigen. Ein sogenannter Schlüssel regelt, wie viele Kinder ein Erzieher betreuen soll. Denn daran ist indirekt seine Stelle geknüpft. Gegenwärtig kommen auf einen Betreuer 13 Kindergartenkinder. Schon ein Kind weniger würde den Erzieherinnen in Uhsmannsdorf eine spürbare Erleichterung bringen, sagen sie selbst. „Kinder wissen nicht, was so ein Schlüssel ist“, meint Ilona Pfuhl, „Sie wissen aber, was es bedeutet, wenn eine Erzieherin für sie da ist.“

Die dünne Personaldecke in sächsischen Kindertagesstätten ist ein bekanntes Problem. Neu sei aber, dass sich auch die Eltern stärker in die Diskussion einmischen. „Wir haben es mit einer neuen Generation zu tun“, sagt Ilona Pfuhl. Es sind Frauen wie Anett Zichner, die sich im Elternbeirat der Kita Samenkorn in Görlitz engagiert. „Ich spüre die Arbeitsanforderung an die Erzieher und frage mich, wie lange das noch gut geht“, sagt sie in Uhsmannsdorf vor eingeladenen Politikern. In der Kita ihres Kindes finden ab Herbst vielleicht keine Feste mehr statt, weil das Personal diese nicht mehr stemmen könne.

Das Problem kennen viele Erzieherinnen. Nicht nur den Protest gegen die Arbeitsbedingungen haben die Frauen der Uhsmannsdorfer Kindertagesstätte in ihrer Freizeit organisiert. Auch die Dokumentation und die Nachbereitung ihrer Arbeit würden „seine Mädels“ mittlerweile Zuhause machen, kritisiert der Vorsitzende des Trägervereins, Jan Hrdlika. Er fürchtet, dass die Erzieherinnen aufgrund des hohen Arbeitspensums über Gebühr geschädigt werden. „Es geht nicht um mehr Geld für die Erzieherinnen“, erklärt der 49-Jährige. Wichtiger seien mehr helfende Hände.

Doch genau die kosten Geld, rechnet der Landtagsabgeordnete Lothar Bienst den Erzieherinnen und Eltern vor. Ohne einen dreistelligen Millionenbetrag sei der Schlüssel nicht zu verändern. „Das wäre auf keinen Fall finanzierbar“, sagt der CDU-Politiker. Doch, widerspricht Kathrin Kagelmann. Sie sitzt für die Linke im Landtag. „Sachsen ist nicht arm“, sagt sie und verweist auf Rücklagen des Freistaats. Doch Jan Hrdlika und die Erzieherinnen wollen keine Wahlkampfdebatte, sondern Lösungen. „Wir verlangen kein Unding“, sagt er. Denn andere Bundesländer würden sich durchaus einen besseren Betreuungsschlüssel leisten. „Wir haben einen Superbildungsplan“, lobt Kita-Leiterin Ilona Pfuhl den Freistaat. Aber ohne Personal könne er schlicht nicht umgesetzt werden. Finanzielle Ausreden will sie wie viele andere in Uhsmannsdorf nicht mehr gelten lassen. Empört reagieren Eltern und Erzieher auf einen Vorstoß der CDU, Langzeitarbeitslose und Ruheständler in den Kindertagesstätten einzusetzen. „Wir wollen eine Lobby für Fachpersonal“, sagt Ilona Pfuhl als Reaktion auf den Vorschlag.

Schon jetzt fehlen Fachleute an allen Ecken und Ende. Es komme sogar vor, dass Auszubildende ganze Gruppen beaufsichtigen. „Wir bewegen uns auf einem Pfad mit einem Bein im Gefängnis“, sagt die Leiterin der Kita „Gummistiefelchen“. So könnten und wollten die Kolleginnen nicht weiterarbeiten. Auch ein Nuckel stelle ein Kind kurzfristig ruhig, löse das Problem aber nicht. „Wir lassen uns nicht mehr mit Krümeln beruhigen“, sagt Ilona Pfuhl in Richtung Politik.

Um den Forderungen ihrer Eltern und Erzieher Nachdruck zu verleihen, trampeln in Uhsmannsdorf schließlich zahlreiche Kinder mit den Füßen und schicken mit lautem Geschrei imaginäre Raketen nach Dresden und Berlin.