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Kleine Fraktionen pochen auf ihre Rechte

Wie groß soll eine Fraktion im neuen Stadtrat mindestens sein? Die Frage birgt Zündstoff.

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Von Sebastian Beutler

Die erste Sitzung des neuen Stadtrates verlief wenig aufregend, zeitigte aber ein überraschendes Ergebnis: Der Chef der Linksfraktion, Thorsten Ahrens, und der frühere Oberbürgermeister, Joachim Paulick, waren einer Meinung. Das gab es selten, solange Paulick noch als OB die Sitzungen des Stadtrates leitete. Da prallten meist die Meinungen der beiden konträr aufeinander. Aber es ging ja dieses Mal auch nicht um politische Inhalte, sondern um die Frage: Gilt die Geschäftsordnung des Stadtrates auch nach der Wahl noch?

Knapp 90 000 Euro für Fraktionen

Das mag auf den ersten Blick eine wenig spannende Frage sein, doch steckt darin Zündstoff. Politischer, und letztlich auch finanzieller. Denn Oberbürgermeister Siegfried Deinege findet, dass die Geschäftsordnung mit der Wahl des neuen beziehungsweise der letzten Sitzung des alten Stadtrates aufgehört hat, zu existieren. Ahrens und Paulick sind in diesem Punkt ganz anderer, nämlich einhelliger Meinung: Für sie gilt die Geschäftsordnung noch. Zumal die Verwaltung Paulick als aktuell gültige Fassung eine Geschäftsordnung des Stadtrates von 1997 übermittelte. Würde diese Satzung immer mit der Wahl eines Stadtrates ihre Gültigkeit verlieren, so Paulick, hätte der Stadtrat schon seit 1999, also seit 15 Jahren, keine geltende Geschäftsordnung.

Diese formale Frage ist deswegen wichtig, weil die politischen Kräfte nach der Wahl bemüht waren, sich im Stadtrat zu Fraktionen zu finden. Bislang galt es als ungeschriebenes Gesetz, dass vier Stadträte nötig sind für eine Fraktion. So hatten es viele Parteichefs und Kandidaten im Wahlkampf nicht nur gegenüber der SZ erklärt. Doch genau in der Geschäftsordnung, die das Rathaus als die zuletzt gültige an Paulick jetzt aushändigte, steht im entsprechenden Abschnitt etwas ganz anderes: „Eine Fraktion muss aus mindestens zwei Stadträten bestehen“. Deswegen haben sich jetzt nicht nur die CDU, die Bürger für Görlitz/Bündnisgrünen/Piraten sowie die Linkspartei als Fraktion konstituiert. Sie alle liegen sowohl über der Zweier- als auch der Vierer-Hürde. Auch die Wählervereinigung Zur Sache hat dem Oberbürgermeister mitgeteilt, dass sie eine Fraktion ist. Und selbst die SPD/FDP, die sich zunächst nur als Gruppe gebildet hatte, versteht sich jetzt als Fraktion. Gilt die alte Geschäftsordnung fort, dann würde selbst die NPD mit ihren zwei Stadträten die Bedingungen für eine Fraktion erfüllen. Warum aber ist der Fraktionsstatus so wichtig? Die Sächsische Gemeindeordnung legt lediglich fest, dass sich Stadträte zu Fraktionen zusammenschließen können und in Gemeinden mit mehr als 30 000 Euro finanziell von der Verwaltung unterstützt werden sollten. In Görlitz ist es so, dass Fraktionen eine räumliche, sachliche und finanzielle Unterstützung erfahren. Große Fraktionen können dadurch sogar Teilzeit-Geschäftsführer bezahlen, die die Arbeit der Stadträte koordinieren. Diese Gelder fließen nicht an die Stadträte, sondern werden für deren Arbeit verwendet. Wer nicht Mitglied einer Fraktion ist, erhält zwar auch eine finanzielle Unterstützung, doch fällt sie geringer aus. Im Haushalt sind 67 000 Euro eingeplant, plus Räume – Mietwert 22 700 Euro.

Stadtrat entscheidet im September

Joachim Paulick jedenfalls plädiert dafür, entweder die Zahl der notwendigen Stadträte für eine Fraktion bei zwei zu lassen oder maximal auf drei zu erhöhen. „Der Minderheitenschutz sollte dem Stadtrat ein Anliegen sein“, sagt der Ex-OB. Die beiden großen Fraktionen sehen das anders. So hatten sich bereits deren Fraktionsvorsitzende Dieter Gleisberg und Rolf Weidle an Deinege gewandt. Zumindest bei der CDU ist die Linie klar: In die neue Geschäftsordnung soll die Fraktionsstärke auf mindestens vier Stadträte festgelegt werden. Damit würden Zur Sache und SPD/FDP den begehrten Fraktionsstatus verlieren.

Um das zu klären, wird es Anfang September gleich einen Verhandlungsmarathon geben, der in eine Stadtratssitzung am 11. September mündet. Dann soll die neue Geschäftsordnung beschlossen werden. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Linkspolitiker Thorsten Ahrens und Joachim Paulick auch inhaltlich neue Gemeinsamkeiten entdeckt haben.