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Knastvögel machen Jugendarrest leichter

Seit Oktober leben Großenhainer Hühner im Jugendarrest Dresden. Sie machen ihre Arbeit gut.

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Von Susanne Plecher

Berlusconi ist der Star im Jugendarrest. Der weiß-grau gefiederte Zwerghahn flattert auf das Dach des Hühnerhauses, plustert sich auf und kräht. „Das macht er ganz schön oft, manchmal geht das schon morgens um drei Uhr los“, sagt Nick und blinzelt zum Hahn hinüber. Nick ist der einzige Jugendliche, der über Ostern im Jugendarrest der Justizvollzugsanstalt Hammerweg in Dresden einsitzt. Normalerweise sind acht bis 14 sogenannte Arrestanten da. Berlusconi und die Hühner Gudrun, Bärbel und Chantal bieten ihm eine willkommene Abwechslung im Arrestalltag. Das liebe Federvieh war eine Spende des Großenhainer Geflügelhofes und lebt seit Oktober hier. Es soll helfen, straffällig gewordenen Jugendlichen eine Tagesstruktur zu geben. Denn füttern, ausmisten, beobachten und eine Checkliste über all das führen, müssen die jungen Männer, die hier zwischen zwei und vier Wochen verbringen.

Knastvögel sorgen für Gespräch

Berlusconis Kamm schwillt. Er kräht und kräht. Seinen Namen haben ihm „die Jungs“ gegeben. „Weil er so gerne bunga bunga macht“, sagt Ulrike Lange mit einem Lachen. Sie ist die Leiterin des Jugendarrestes und überzeugt von dem Projekt. „Wir sind eine kleine Abteilung und können keine langfristigen therapeutischen Projekte anbieten. Aber was möglich ist, das machen wir“, sagt sie. Die Idee mit den „Knastvögeln“ habe von Anfang an funktioniert. „Man kommt über die Tiere selbst mit sehr aggressiven oder verschlossenen Jugendlichen ins Gespräch.“ Dann führt man eine ganz normale Unterhaltung über Hühner, nicht über Vergehen oder Strafen. „Das ist eine gute Kommunikationsbrücke“, sagt Lydia Wolff. Die Sozial- und Kunsttherapeutin arbeitet für das Xenos-Projekt „Plan b“ von Inpro Dresden.

Sie hat das tiergestützte Projekt zusammen mit dem Großenhainer Geflügelhof angeschoben. Christian Riedel gibt Tiere und Futter, „Plan b“ kümmert sich um alles Weitere. Geld gibt es drei Jahre lang vom Ministerium für Arbeit und Soziales und vom Europäischen Sozialfonds. Schon der Bau des Geheges und des Hühnerhauses war ein Teil der Therapie. „Für die Jungs ist es gut, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen, Vertrauen ausgesprochen zu bekommen und direkt mit den Tieren zu arbeiten. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl“, sagt sie. Es kann auch Aggressionen abbauen und Ablenkung schaffen, wenn sich Krisen anbahnen.

Die Jugendlichen, die hier landen, haben sich kleinerer Vergehen schuldig gemacht. Sie haben geklaut, die Schule geschwänzt, haben sich Leistungen erschlichen oder sind ohne Führerschein gefahren. Eine mehrmonatige Haftstrafe wäre nicht angemessen für das, was sie angestellt haben. Manche sind mehrmals da, so wie Nick. Der 20-jährige Freitaler ist am Montag zum zweiten Mal in den Jugendarrest gekommen. Er hat seine Auflagen nicht erfüllt: Sozialstunden, die er wegen Beamtenbeleidigung und Sachbeschädigung ableisten müsste. Jetzt leistet er täglich Hühnerdienst, zwei Wochen lang. Die Arrestzeit wird auch genutzt, fällige Arbeitsstunden zu erbringen, erklärt Ulrike Lange. Fünf Stunden am Tag können die Jugendlichen in ausgewählten gemeinnützigen Einrichtungen abdienen. Für Nick wird das nicht reichen, er hat noch knapp 70 Stunden offen.

Wie findet er das mit den Hühnern? „Das ist cool, da hab ich was zu tun“, sagt er. Bärbel und Gudrun fressen ihm sogar schon aus der Hand. Das zwickt ein bisschen, aber die Zutraulichkeit der Hühner wärmt Nicks Herz. Eine Stunde pro Tag hat er Freigang. Dann kümmert er sich um die Hühner. Die restliche Zeit, die nach dem Arbeitseinsatz noch übrig ist, verbringt er in seiner Zelle, ohne Handy, Fernseher, Radio. Was er macht? „Lesen. Oder schlafen.“ Lydia Wolff hat einige Fachbücher über Hühnerhaltung ausgelegt. Auch sonst hat der Jugendarrest eine erkleckliche Bibliothek. „Manche lesen hier zum ersten Mal freiwillig ein Buch, weil ihnen sonst zu langweilig ist“, weiß die Therapeutin. Nick hat mit ihr sogar Eier bemalt und beim Koch- und Backkurs Arrest-Eier verarbeitet.

Hühner-Ausbruch war das Thema

Den Hühnern geht es sehr gut zwischen den Gitterzäunen. Sie dürfen sich sogar jenseits ihres Geheges bewegen, haben ringsum in den Baumscheiben Staubkuhlen gegraben. Einmal sind sie sogar unter dem Zaun durchgekrochen und auf den benachbarten Parkplatz abgehauen. Mit vereinten Kräften hat das Arrestpersonal sie wieder eingefangen. Das war lange Thema unter den Jugendlichen. Die haben auch nach dem Ende des Arrestes noch Anteil an ihren Hühnern. Lydia Wolff postet hin und wieder Fotos und kleine Berichte zu dem Federvieh bei Facebook und bekommt regelmäßig Rückmeldungen.

„Viele unserer Arrestanten haben ganz schlimme Dinge erlebt, Nick ist Halbwaise und war im Kinderheim“, reißt Lydia Wolff die Schicksale an, die die Jugendlichen hierher geführt haben. Viele fangen sich wieder. Auch Nick will mal eine Familie haben und nichts Kriminelles mehr machen. Er hat schon ein bisschen damit angefangen: Auf 400 Euro-Basis arbeitet er als Trockenbauer bei einer Freitaler Firma. Am liebsten würde er dort auch eine Ausbildung beginnen. Die Firma, hofft er, wird ihm das möglich machen.

Plan b veranstaltet am 28. Mai einen Fachtag in Dresden. Web: www.planb-dresden.de