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Kommt die Kunst durch die Krise?

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verzeichnen nur wenige Besucher. Weitermachen wie bisher ist nicht möglich, sagt SKD-Chefin Marion Ackermann.

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Kunstsammlungs-Chefin Marion Ackermann in der Gemäldegalerie Alte Meister
Kunstsammlungs-Chefin Marion Ackermann in der Gemäldegalerie Alte Meister © Jürgen Lösel

Seit dem Herbst gingen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden durch ein extremes Wellenbad. 2019 verbuchten sie einen Rekord mit 2,6 Millionen Besuchern und erlebten zugleich den schwärzesten Tag in ihrer jüngeren Geschichte. Im September war die Eröffnung der Paraderäume im Schloss ein europäisches Ereignis. Im November folgte der Schock: der Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe. Enormen Zuspruch gab es im Februar für die neu eingerichtete Gemäldegalerie Alte Meister mit der Skulpturensammlung bis 1800. Kaum war sie eröffnet, mussten alle Museen wegen Corona schließen.

Frau Ackermann, wie hoch sind die Einnahmeverluste in den zwei Monaten der Schließzeit?

Für alle 15 Museen zusammen verzeichnen wir für die Zeit seit der Schließung am 14. März bis Ende Mai insgesamt 2,5 Millionen Euro Einnahmeverluste. Plötzlich abhängig zu sein von äußeren Mächten, das war nicht nur uns unheimlich.

Gab es auch positive Momente?

Die Krise brachte viele gute Eigenschaften der Kollegen und Kolleginnen zum Tragen: eine große Fürsorge füreinander, volle Bereitschaft eines jeden Einzelnen. Innerhalb einer Woche haben wir fast alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt und in kürzester Zeit die notwendigen technischen Ausstattungen vorgenommen. Das, was uns schon immer wichtig war, haben wir einmal mehr umgesetzt: flexible Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Niemanden haben wir in Kurzarbeit geschickt, aber Überstunden abgebaut und Aufgaben umorganisiert. Schätzen gelernt habe ich die hohe Effektivität der Videokonferenzen. Die Besprechungen waren kürzer, sachorientierter, kreativer und humorvoller. Das werden wir beibehalten. Man muss nicht immer auf die Autobahn oder zum Flughafen, um sich mit den Kollegen in Leipzig, Herrnhut oder in der Welt abzustimmen. Wir haben mehr digitale Angebote entwickelt als wir bislang realisieren konnten, aber wir haben auch die Grenzen des Digitalen gespürt wie noch nie. Nach ein paar Wochen hatten wir Sehnsucht nach echten Begegnungen mit unseren Besuchern und den originalen Kunstwerken.

Sind Museen systemrelevant?

Sie sind geschützte Räume, aber anders als Kirchen und andere öffentliche Räume. Museen sind wichtige Plattformen für gesellschaftlichen Austausch. Wir überlegen uns nun, wie wir diesem Auftrag auch in Zeiten von „social distancing“ gerecht werden können: über echte Begegnungen und parallel auf unseren digitalen Kanälen. Zudem müssen wir dieselben Energien für unser hiesiges Publikum aufwenden wie für den internationalen Austausch.

Man kann Konferenzen im Internet stattfinden lassen, zu denen man Teilnehmer einlädt. Aber wie organisieren Sie öffentliche Diskussionen und Begegnungen mit dem Publikum vor Ort?

Tatsächlich machen wir Konferenzen lieber digital als gar nicht. Wir können den internationalen Austausch nicht auf Eis legen und werden uns nicht provinzialisieren. Für dieses Jahr sind hochkarätige internationale Tagungen geplant. Unsere Arbeit mit dem Publikum konzentriert sich jetzt vor allem auf die Sachsen. Touristen werden auf absehbare Zeit keine kommen. Sonderausstellungen haben wir teilweise verschoben, aber nicht gestrichen. Zuerst haben wir das Kunstgewerbemuseum in Pillnitz geöffnet, weil der Park ja auch ein schönes und beliebtes Ausflugsziel ist. Dann kam die Gemäldegalerie. Die Leute stehen dort jetzt an, weil sie Abstand halten müssen. 200 Besucher pro Stunde sind in normalen Zeiten in der Galerie. Jetzt haben wir 350 Besucher am Tag. An Freitagen mit der Abendöffnung bis 20 Uhr sind es 450 Besucher.

Woran liegt das?

Ich denke, viele Menschen fühlen sich derzeit unwohl mit Fremden in geschlossenen Räumen. Deshalb haben wir uns Outdoorprogramme überlegt: in Pillnitz, im Zwinger, am Japanischen Palais, auf der Brühlschen Terrasse. Nach und nach werden wir alle Museen öffnen, aber manches Haus vorerst nur am Wochenende. Es ist eine Frage von Aufwand und Nutzen. Sicherheit kostet viel Geld.

Im Kunstgewerbemuseum in Pillnitz zeigt eine Ausstellung, wie Fake-News und Datenvisualisierungen rund um die Corona-Pandemie Teil einer größeren Informationskrise sind.
Im Kunstgewerbemuseum in Pillnitz zeigt eine Ausstellung, wie Fake-News und Datenvisualisierungen rund um die Corona-Pandemie Teil einer größeren Informationskrise sind. © Arvid Müller

Wie werden Sie die Museen nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe sicherheitstechnisch aufrüsten?

Über Sicherheitskonzepte darf und werde ich nicht sprechen. Die beste Sicherheit bieten Menschen, also unsere Aufsichten. Wir bezahlten für sie 2019 acht Millionen Euro. 2020 kommen Lohnsteigerungen hinzu und mehr Flächen, wenn wir zum Beispiel den Langen Gang am Stallhof eröffnen. Man muss perspektivisch mit zehn Millionen Euro rechnen. Leere Museen zu öffnen, können wir uns nicht leisten. Deshalb überlegen wir, das Schloss am 30. Mai vorerst in Teilen zu öffnen. Wenn die Besucher wieder zu uns kommen wie vor Corona, werden wir in allen Häusern in gewohntem Umfang für sie da sein.

Werden Sie auf Corona mit Ausstellungen reagieren?

Ja, zum Beispiel im Kunstgewerbemuseum. Dessen Direktor Thomas Geisler wird in einer Ausstellung in Pillnitz zeigen, wie Fake-News und Datenvisualisierungen rund um die Corona-Pandemie Teil einer größeren Informationskrise sind, in der wir stecken. Wie Design und die Zugänglichkeit zu Wissen zusammenhängen und welche neuen Ansätze es braucht. In der Aktion #wemask haben wir Masken gesammelt, die wir vielleicht im Japanischen Palais ausstellen. Im September haben wir dort eine Handwerksausstellung, die zutiefst mit Sachsen zu tun hat. Auch die Kinderbiennale, die 2018/19 ein großer Erfolg war, muss sich in diesem Jahr verändern. Man könnte Kinder in Schutzanzüge stecken, sie hätten vielleicht sogar Spaß daran, sich zu verkleiden. Aber man könnte auch weglassen, was mit Anfassen zu tun hat. Künstler könnten digitale Räume entwerfen, in denen Kinder, Eltern, Großeltern sich frei bewegen und neue Kunst erleben können.

Wie wird Corona die Kunstproduktion verändern?

Schwierige Zeiten haben oft große Kunst hervorgebracht. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass in dieser globalen Krise weltweit neue intensive künstlerische Reaktionen entstehen. Oft wird globale Kunst als oberflächlich, vom Kunstmarkt bestimmt abgewertet. Aber jetzt sind wir in einer existenziellen Situation, zu der es keine Referenz gibt – und zwar weltweit. Künstler sind es gewohnt, allein in ihrem Atelier zu arbeiten, aber sie brauchen öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung. Museen sollten deshalb jetzt nicht aufhören zu sammeln, sonst entstehen Lücken, die man nicht mehr schließen kann. Und wenn Menschen nicht mehr in dem Maß wie vor Corona reisen können, dann sollen die Kunstwerke reisen. Nicht mehr in so einer Überproduktion wie früher, aber doch so, dass immer wieder neue Brücken entstehen. Das ist im Moment schwierig. Aber noch nie habe ich so eine starke internationale Loyalität und Solidarität erlebt, wenn es um Terminverschiebungen, Ausstellungsverlängerungen und Leihverträge geht. Alle sind in derselben Situation, das verbindet. Wir halten fest an der großen Romantikausstellung „Träume von Freiheit“, die wir mit der Tretjakow-Galerie vorbereiten und hoffen, sie in Moskau im Dezember zu eröffnen.

Was können Museen in dieser Situation für die Künstler tun?

Die SKD haben mit der Hochschule für Bildende Künste das Projekt „Hier und Jetzt“ gestartet. Wir haben Künstlern angeboten, in Dresden unsere digitalen Stelen zu bespielen, auf denen wir sonst unser Programm ankündigen. Es sind tolle zeitgenössische Arbeiten zu sehen mitten in der Stadt. Ein weiteres, sehr schönes Projekt hat Erika Hoffmann angeregt, die 2018 ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst nach Dresden geschenkt hat. Künstler aus ihrer Sammlung werden in vier Kulturräumen Sachsens ausstellen und die Künstler vor Ort sollen darauf direkt reagieren. In diesen „Ortsgesprächen“ sollen die nicht-institutionelle Kulturarbeit und Kunstproduktion im ländlichen Raum durch eine gezielte Kooperation gestärkt werden.

Mit welchen wirtschaftlichen Konsequenzen rechnen Sie für die SKD?

Wir können nicht so weitermachen wie bisher. In jeder Krise steckt eine Chance, die wollen wir nutzen und neue Strategien entwickeln, uns selbst überprüfen und notfalls schmerzhafte Entscheidungen treffen. Schon vor Corona hatten wir uns vorgenommen, 2023 zu einem Jahr der Entschleunigung zu machen. Nicht mehr so viele Sonderausstellungen, nicht mehr so viel zu reisen, uns mehr auf unsere Sammlungen zu konzentrieren. Die Sehnsucht war da. Dass die Krise davon bestimmte Aspekte aufnimmt, das euphorisiert uns.

Interview: Birgit Grimm

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