Kultur um die Ecke

Kinder der 50er/60er Jahre werden sich erinnern: Was machte man, wenn „Professor Flimmrich“ lockte, es zu Hause aber noch keinen Fernsehapparat gab? Man klingelte beim Nachbarn oder ging zu Freunden, deren Eltern sich schon so ein Gerät leisteten. Und wenn all das nicht klappte – ging man in die nächste Fernsehstube. In Görlitz gab es solche in einigen Kulturhäusern, etwa dem Haus der Jugend. Und natürlich in allen Straßenklubs.
Straßenklubs? Tatsächlich sind Klubs keine Neuerfindung heutigen Vereinslebens. In jedem Wohnbezirk wollte die frühe DDR mit solchen Einrichtungen nachbarschaftliche Kontakte über die Hausgemeinschaften hinaus mit einem örtlich nahen Kulturangebot bereichern. An den ersten solchen Klub wird sich vielleicht keiner mehr so recht erinnern – es war der Südstadt-Klub Fischerstraße 1. Am 13. Februar des Jahres 1959 wurde er eingeweiht.
Die Straße hat ihren Namen nach Justizrat Friedrich Wilhelm Fischer, der im frühen 19. Jahrhundert in Görlitz der zweite Bürgermeister war. Die große Villa gehörte zu den Richard-Raupach-Werken. Hier lebte der Maschinenfabrikant Raupach. Das für ihn 1884 errichtete Gebäude steht mitsamt einem Villengarten und dem Einfriedungszaun mittlerweile unter Denkmalschutz. Raupachs privater Park gegenüber ist heute als Tierpark gut bekannt. Rund um die Fabrikantenvilla boten Eichen, Buchen, Kastanien, Bergahorn, Eiben, Lebensbaum und Haselnuss eine abwechslungsreiche botanische Gestaltung. Die DDR-Hausverwaltung hatte das Gebäude treuhänderisch übernommen und schließlich für die Einrichtung des ersten Görlitzer Straßenklubs zur Verfügung gestellt. „In diesem kleinen Kulturzentrum werden sich unsere Werktätigen wohlfühlen“, schrieb die Sächsische Zeitung Görlitz vor 60 Jahren zur Eröffnung.
Stolz berichtete das Blatt vor allem über viele ehrenamtliche Initiativen, die den Klub ermöglicht hatten. Malermeister Rücker hatte im „Nationalen Aufbauwerk“ alle Räume vorgerichtet, der VEB Leuchtenwerk die Lampen gespendet, der VEB Kema das Fernsehgerät Typ „Cranach“ geschenkt, der Demokratische Frauenbund (DFD) sich unentgeltlich zu Reinigungsarbeiten verpflichtet. Vom Rat des Bezirkes aus Dresden kamen Gemälde der IV. Deutschen Kunstausstellung als Dauerleihgabe, notwendige Umbauten in den Räumen bezahlte die Stadtverwaltung. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass die Staatliche Handelsorganisation (HO) eine regelmäßige gastronomische Versorgung übernahm.
Zur offiziellen Eröffnung erschienen Oberbürgermeister Bruno Gleißberg, der gemeinsam mit Kema-Werkleiter Sander den neuen Klub dem Ortausschuss Südstadt der Nationalen Front (genannt Wohnbezirksausschuss) zur Nutzung übergab. Auf einem Rundgang schauten sie sich alle Räume an, die Fernsehstube ebenso wie das Spielzimmer mit einer großen Auswahl an Schach-, Halma- und anderen Brettspielen. Wie sich bald herausstellen sollte, eroberten vor allem Skatspieler diesen Raum, es wurden auch Rommé-Meisterschaften ausgetragen. Es gab Räume, die für Kollektiv-, Hochzeits-, Jugendweihe-, runde Geburtstags- und sonstige Feiern gebucht werden konnten. Diese Räume waren aber auch für spezielles Vereinsleben aufgeteilt. So trafen sich zu festen Zeiten die Damen des Nähzirkels ebenso wie die Interessenten von Verkehrsaktiven.
Ein besonderer Raum hieß Vorführ- und Diskussionsstube. Für diesen kleinen Saal wurde vom Wohnbezirk ab sofort ein Monatsprogramm erarbeitet. Für Februar und März 1959 fehlten zwar noch Kleinkunstdarbietungen, an populären Vorträgen indes mangelte es nicht. Da lud Professor Sieber aus Dresden zu einem Vortrag über das Bildungswesen, stellte ein Dresdener Musikhochschulprofessor „musikalische Träume“ vor, berichteten Angehörige von Volkspolizei und Kreisgericht über aktuelle Kriminalitätsentwicklungen. Und auch die Sächsische Zeitung war von Beginn an Gast solcher Klubs. „Aus der Arbeit unserer Redaktion“ stellte sich der damalige Lokalchef ebenso Diskussionsrunden wie es auch Theater-, Kino- und Bibliotheksmitarbeiter gern taten.
Für die Kinder des Viertels war das alles noch weniger bedeutsam. Hauptsache, ihr Fernsehstar „Professor Flimmrich“ stand ihnen nun immer zur Verfügung.
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